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Tatort Friedhof

■  Grabschändungen sind alltäglich. In die Schlagzeilen geraten sie nur, wenn ein rechtsradikaler Hintergrund vermutet wird. Aber wie oft sind die Täter wirklich rechts?

Umgeworfene Grabsteine, herausgerissene Pflanzen, zerschmetterte Gedenkplatten – auf den Berliner Friedhöfen gehört das beinahe zum Alltag. Doch schlagzeilenträchtig ist das nur, wenn rechtsgerichtete Motive vermutet werden, wie bei der Schändung von 103 Gräbern auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee vorige Woche. Vorfälle ähnlichen Ausmaßes auf den evangelischen, katholischen oder städtischen Friedhöfen bleiben dagegen unbeachtet. Nur im Zusammenhang mit Weißensee gab es eine Ausnahme. Auch die 26 Grabsteine, die am selben Tag auf dem Friedhof der evangelischen Georgen-Parochial-Gemeinde in Friedrichshain umgestürzt wurden, fanden Erwähnung.

Landesweite Zahlen über Grabschändungen gibt es nicht. In der polizeilichen Kriminalstatistik wird das Delikt „Störung der Totenruhe“ nicht einmal aufgeführt. Weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaft können sagen, wie viele Friedhofsschändungen in Berlin angezeigt werden. Fast jeder Friedhofsverwalter in Berlin weiß aber von solchen Fällen zu berichten.

Rund 120 Grabschändungen hat beispielsweise Verwalter Johann Weber auf seinem katholischen und dem benachbarten evangelischen Friedhof an der Konrad-Wolf-Straße in Hohenschönhausen im vergangenen Jahr registriert. 60 Grabsteine wurden vorigen Dezember nach einer Veranstaltung in der benachbarten Eissporthalle umgestürzt. Weber, der dem Verband der Friedhofsverwalter Berlin-Brandenburg vorsteht, vermutet „keinen politischen Hintergrund, sondern schlicht und einfach Vandalismus“. Gegen einen rechtsradikalen Hintergrund spreche, dass den Übergriffen auch ein Kriegerdenkmal zum Opfer fiel.

Peter Dorn, Verwalter der evangelischen Friedhöfe an der Neuköllner Hermannstraße, vergleicht die regelmäßigen Schändungen mit Naturkatastrophen: „Wie nach einem Sturm“ sehe es aus, wenn unbekannte Täter eine Schneise durch die Gräberreihen geschlagen hätten.

Allein im August wurden mehr als 100 Grabsteine gefällt. Ein einzelner Polizist habe den Vorgang aufgenommen, berichtet Dorn. Einige Wochen später teilte die Staatsanwaltschaft mit, das Verfahren sei eingestellt. Häufig seien den Polizisten nicht einmal die einschlägigen Paragrafen bekannt, sagt Weber.

Auch die kommunalen Bestattungsorte sind vor Übergriffen nicht gefeit. Rund 60 Gedenkplatten für Kinder und Jugendliche, die in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs gefallen waren, wurden vor drei Wochen in der Nähe des Zentralfriedhofs Friedrichsfelde zerstört. Sie werden nicht wieder aufgestellt. Eine Sprecherin des Bezirksamts vermutet die Täter „im Bereich der Jugendlichen“.

Über Hintergründe ist wenig zu erfahren. Schließlich hat die Polizei seit etlicher Zeit keinen Täter dingfest gemacht. Die Ursachenforschung bleibt daher Spekulation. Fest steht aber: Grabschändungen sind kein aktuelles Phänomen. Gerhard Dobbertin, Friedhofsverwalter an der Charlottenburger Heerstraße, erinnert sich an eine Begebenheit Mitte der 70er-Jahre. Eines Tages fand er rund 30 umgestürzte Grabsteine vor – am Morgen nach einem Fußballspiel.

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