piwik no script img

Hühott: Hier kommt der neue Senat

■ Kaum ist die Große Koalition im Amt, schon ist das Chaos perfekt. Böger will Religion in der Schule, Strieder den „Lichtdom“, der Koalitionsvertrag den Sparkurs. Oder doch nicht?

Viele Fragen an die Neulinge im Senat, aber keine Antworten: Will Schulsenator Klaus Böger (SPD) Religion zum Pflichtfach machen? Kann Gesundheitssenatorin Gabriele Schöttler (SPD) die Allgemeine Ortskrankenkasse retten? Ist Bausenator Peter Strieder (SPD) ein Freund martialischer Lichtkunst? Findet Finanzsenator Peter Kurth (CDU) für seinen Sparkurs Rückhalt in den Koalitionsparteien?

Die größte Verwirrung richtete Böger an. Eine Nachrichtenagentur hatte vermeldet, der Senator wolle an Berlins Schulen Religion, Ethik oder Philosophie womöglich zur Pflicht machen – der CDU also genau jenes Zugeständnis machen, das die SPD in den Koalitionsgesprächen noch verweigert hatte. Selbst enge Mitarbeiter rätselten den ganzen Tag: Hatte Böger das wirklich gesagt? Der SPD-Politiker, nach Einschätzung aus Parteikreisen „kein Kommunikationstalent“, trug zur Erhellung wenig bei. Am späten Nachmittag zeigte der gerade ernannte Staatssekretär Thomas Härtel (SPD), bislang Bildungsstadtrat in Steglitz, Bekennermut: Einen „ergebnisoffenen Dialog“ wolle Böger zu diesem Thema führen.

Der umstrittene „Lichtdom“ zu Silvester brachte den „Supersenator“ Peter Strieder ins Schlingern. Strieder werde „darauf hinwirken, dass dieses Ereignis wie vorgesehen stattfinden kann“, versicherte Senatssprecher Eduard Heußen. Wenig später kam aus der Bauverwaltung ein Rückzieher: Strieder verlange eine neues Konzept, das „eine deutliche Distanz zum Hitler-Architekten Albert Speer ergeben“ müsse, hieß es nun.

Der frisch gebackene Finanzsenator Kurth schließlich musste sich gestern mit Zweifeln an der rot-schwarzen Haushaltsdisziplin herumschlagen. Die Grünen hatten entdeckt, dass die Internet-Version der Koalitionsvereinbarung das Kapitel „Konsolidierung“ nicht enthielt. Die Parteisprecher von CDU und SPD versicherten, es handele sich um ein technisches Problem. „Die Tabellen waren nicht als Dateien verfügbar“, so die Erklärung.

SPD-Kollegin Schöttler muss sich gleich in der ersten Amtswoche mit der drohenden AOK-Pleite plagen. Die Senatorin, bislang mit Gesundheitsfragen nicht befasst, hielt sich an ihren Akten fest. Ging es um die politische Gesamtwertung, musste CDU-Kollegin Christa Thoben steuernd eingreifen. Thoben ist zwar als Wissenschaftssenatorin nur für die Uni-Kliniken zuständig, aber aus ihrer Zeit als Bonner Staatssekretärin mit allen politischen Wassern gewaschen. So nutzte sie die Gelegenheit auch, um sich von ihrem Vorgänger Peter Radunski abzugrenzen: Jene „Rechenkunststücke“, mit denen Radunski Haushaltslöcher kaschiert habe, werde es mit ihr nicht mehr geben.

Seit gestern aber hat Kollegin Schöttler Unterstützung. Ihre Verwaltung ist die erste, in der bereits beide Staatssekretärsposten besetzt sind: Der Senat ernannte gestern die Kreuzberger Sozialstadträtin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) und den früheren Staatssekretär im Thüringer Sozialministerium, Klaus Theo Schröder. Unklar ist dagegen noch, ob SPD-Mann Frank Bielka in der CDU-geführten Finanzverwaltung bleiben darf. Dann müsste der Sozialdemokrat Strieder im Gegenzug ein christdemokratisches U-Boot dulden, was er strikt ablehnt. Für das Verkehrsressort suche der Senator, so heißt es, bundesweit nach „einer Frau Anfang 40“ – bislang ohne Erfolg. Ralph Bollmann

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen