: Nachrichten aus der roten Zone
Menschenrechtsverletzungen an Schwulen und Lesben: Ein Dokumentationsband von amnesty international gibt Auskunft
Normalerweise ist amnesty international (ai) schnell zur Stelle, wenn Menschen verfolgt, gefoltert oder diskriminiert werden. Seit rund 40 Jahren setzt sich die Organisation lautstark und häufig erfolgreich für die Opfer ein. Doch erst in den Neunzigerjahren entdeckte ai, dass auch Homosexualität ein Grund für Menschenrechtsverletzungen sein kann.
Als das Thema vor 20 Jahren erstmals bei einer internationalen Ratstagung von ai diskutiert wurde, war der Widerstand groß: Einige Teilnehmer sagten, Homosexualität existiere in ihren Ländern nicht, andere, aus afrikanischen und asiatischen Ländern, begriffen sie als westlichen Import. So unterstützte ai nur vereinzelt Häftlinge, die wegen ihrer sexuellen Orientierung einsaßen.
Offiziell wurde das Mandat erst 1991 auf diese Personengruppe erweitert. Eine besonders rege Initiative ist die 1995 gegründete Aktionsgruppe Homosexualität, die seit zwei Jahren von ai anerkannt ist. Inzwischen arbeitet sie bundesweit und setzt sich unter anderem für den Abschiebeschutz von sexuell Verfolgten ein.
Der bisher größte Erfolg der Aktionsgruppe: die Freilassung der Rumänin Mariana Cetiner, die wegen „Verführung zur Homosexualität“ inhaftiert und im Gefängnis misshandelt worden war. Sie erhielt schließlich hierzulande Asyl. Ihr Fall ist nachzulesen in dem von der Gruppe publizierten Buch „Das Schweigen brechen“.
Es dokumentiert die rechtliche Situation von Homosexuellen in rund fünfzig Ländern und zeichnet zahlreiche Einzelschicksale detailliert nach. Schockierend sind die Berichte aus Staaten mit islamischer Rechtsprechung wie Saudi-Arabien, Afghanistan, Sudan oder Iran. Homosexualität wird dort als Verstoß gegen Allahs Willen gesehen und mit Peitschenhieben oder dem Tod bestraft. So wurden in Afghanistan ein 18-Jähriger und ein 22-Jähriger wegen Sodomie exekutiert: Man stellte sie vor eine Lehmmauer, die von einer Planierraupe überrollt wurde.
Erschreckend auch die Zahlen aus den USA: Im Land der Homohochburgen San Francisco und New York wurden 1998 insgesamt 2.552 Übergriffe gegen Andersliebende gezählt. MenschenrechtlerInnen sehen in den antihomosexuellen Gesetzen einiger US-Staaten eine Motivation zur Gewalt gegen Nichtheterosexuelle.
Oklahoma beispielsweise bestraft Homosexualität als crime against nature mit bis zu zehn Jahren Haft. In Europa ist gleichgeschlechtliche Liebe mit Ausnahme von Rumänien überall legal – allerdings: In Österreich ist schwuler Sex erst ab 18 Jahren erlaubt; Heteros dürfen hingegen schon ab 16. Jährlich werden dort etwa zwanzig Männer wegen Verführung Minderjähriger zu bis zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.
Explizit verboten ist in vielen Ländern häufig nur der Sex zwischen Männern. Frauen werden in den Antihomogesetzen oft nicht erwähnt. Sehr plakativ demonstrieren zwei farbige Weltkarten am Ende des Buches die Unterschiede der Homosexualitäten. Rot (illegal) und gelb (legal) dominieren die schwule Karte, wobei die roten Zonen vor allem in Afrika und Asien liegen. Bei den Lesben gibt es viele blaue Gebiete – dort steht nichts über Sex zwischen Frauen in den Gesetzestexten, wie etwa in Indien und Brasilien. Wer es ganz genau wissen will, kann in einer Länderliste nachschlagen, die zudem die entsprechenden Paragraphen und Strafen auflistet. Ebenfalls ein guter Service: das umfangreiche Bücherverzeichnis sowie die Kontaktadressen von Menschenrechtsorganisationen.
Der zweite Teil von „Das Schweigen brechen“ skizziert die Arbeit von Gruppen, die sich in ihren Ländern für Schwule und Lesben sowie HIV-Infizierte einsetzen. Viele Initiativen sind vor allem in Europa sowie in Latein- und Nordamerika verzeichnet. In Regionen mit homofeindlichem Klima tun sich MenschenrechtlerInnen natürlich schwerer. So nennt das Buch für ganz Afrika lediglich vier Organisationen. Eine von ihnen errang jedoch einen historischen Erfolg: Die südafrikanische Gay and Lesbian Organization of Witwatersrand erreichte 1996, dass die Republik Südafrika als erste Nation der Welt die sexuelle Orientierung in den Antidiskriminierungskatalog ihrer neuen Verfassung aufnahm. Davon ist die Bundesrepublik Deutschland – auch mit einer rot-grünen Regierung – noch weit entfernt.
Nadine Lange
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