piwik no script img

Gefällige Gutachten

Ärtzekammer, Verwaltungsgericht und Behandlungszentrum für Folteropfer kritisieren Polizeiärzte, die Kriegsflüchtlingen eine Traumatisierung absprechen. Studie vermutet politische Absicht

von SABINE AM ORDE

Die Ärztekammer, das Verwaltungsgericht und das Behandlungszentrum für Folteropfer (BZFO) haben die Praxis der Innenverwaltung, alle traumatisierten bosnischen Flüchtlinge dem Polizeiärztlichen Dienst (PÄD) zu einer Zweitbegutachtung vorzuführen, scharf kritisiert. Untermauert wird diese Kritik durch eine vom BZFO in Auftrag gegebene und bislang unveröffentlichte Studie, die die Gutachten der Polizeiärzte mit denen anderer Mediziner und Psychologen vergleicht.

Die Diagnosen der Polizeiärzte attestieren im Gegensatz zu niedergelassenen Ärzten den Flüchtlingen in der überwiegenden Mehrzahl keine Traumatisierungen. Die der taz vorliegende BZFO-Studie kommt nun zu dem Ergebnis, die Polizeidiagnosen seien „unter medizinisch-psychologischen Gesichtspunkten widersprüchlich, nicht nachvollziehbar und unverständlich“. Sinn machten die polizeiärztlichen Argumentationen ausschließlich im politischen Kontext, der die Durchsetzung von Abschiebungen fordert. Die klinische Psychologin Angelika Birck, die für die Studie Stellungnahmen zu insgesamt 26 Personen im Zeitraum von Oktober bis Dezember 1999 untersucht hat, kommt daher zu dem Schluss: „Damit sind die Mitarbeiter des Polizeiärztlichen Dienstes offenbar nicht vorrangig medizinisch oder psychologisch tätig, sondern erfüllen fachfremde politische Aufgaben und werden so ihrem diagnostischen Auftrag nicht gerecht.“

Die Vorgeschichte: Nach dem Daytoner Abkommen beschloss die Innenministerkonferenz, traumatisierte bosnische Flüchtlinge von der Rückführung auszunehmen. In Berlin einigten sich die Senatsverwaltungen für Inneres und Gesundheit mit dem BZFO und anderen Behandlungseinrichtungen auf Kriterien zur Begutachtung dieser Flüchtlinge. Die Atteste wurden von der Gesundheitsverwaltung aktenmäßig überprüft und nur in begründeten Zweifelsfällen zurückgewiesen.

Bis Ende 1998 hatte sich diese Praxis bewährt. Seit Anfang 1999 aber gibt es eine Weisung der Innenbehörde, nach der der PÄD überprüfen muss. Der Vorwurf der Innenverwaltung: Bei den Gutachten der niedergelassenen Ärzte handele es sich um Gefälligkeitsatteste. Bislang sind 300 Kriegflüchtlinge von der Maßnahme betroffen. Insgesamt leben noch 800 traumatisierte bosnische Flüchtlinge in Berlin.

Ärztekammerpräsident Günther Jonitz hält das Vorgehen der Innenverwaltung für „überzogen“. Um zu vermitteln, habe er dem PÄD ein Gespräch über über das Krankheitsbild Posttraumatische Belastungsstörungen angeboten, das die Polizeiärzte häufig nicht anerkennen. Diesem Gespräch aber habe die Innenverwaltung ihre Zustimmung verweigert. „Wenn sich die Innenverwaltung auf einen fachlichen Austausch nicht einlässt, setzt sie den PÄD dem Vorwurf aus, dass er vorsätzlich Gefälligkeitsgutachten im Sinne der Innenverwaltung ausstellt“, so Jonitz. Nach seiner Ansicht sollten nicht Polizeiärzte, sondern Amtsärzte oder Gerichtsmediziner die Zweitgutachten erstellen. Diese stünden erst gar nicht in dem Verdacht, im Sinne der Innenverwaltung zu handeln.

Das Verwaltungsgericht hat bereits im Dezember festgestellt, dass das Vorhaben der Innenbehörde, alle traumatisierten Flüchtlinge ohne Einzelfallprüfung einer polizeiärztlichen Untersuchung zu unterziehen, verfassungsrechtlich unzulässig ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen