: Hohe Stelle – männlicher Kandidat
Die Frauenbeauftragte der Humboldt-Universität, Marianne Kriszio, kritisiert, dass zu wenige Frauen zu Professorinnen berufen werden. Karrieren scheitern an befristeten Stellen und männlichen Vorgesetzten
taz: Sie haben einen Bericht über die Situation der Frauen an der Humboldt-Uni vorgelegt. Was ist Ihr Resümee?
Marianne Kriszio: Das Resümee ist, das sich in Bezug auf die Anteile des wissenschaftlichen Personals in den vergangenen Jahren fast nichts verbessert hat. An der Humboldt-Universität gibt es jetzt 14 Prozent weibliche Professoren. Damit hat sich in den letzten sechs Jahren der Anteil um genau einen Prozentpunkt erhöht. Von der Politik ist vorgegeben worden, dass bis zum Jahr 2005 20 Prozent der Professoren weiblich sein sollen. Das schaffen wir bei dem bisherigen Tempo nie.
Insgesamt liegt in Deutschland der Anteil der weiblichen Professoren aber noch niedriger, nämlich unter 10 Prozent. Die Humboldt-Universität steht wegen des höheren Potenzials aus der Zeit vor 1989 noch ganz gut da.
Wie hoch ist denn der Anteil von Frauen, die an den Universitäten studieren?
An den Universitäten in Deutschland liegt der Anteil der Studienanfängerinnen seit diesem Jahr bei über 50 Prozent. Bei den Studierenden insgesamt liegt er noch bei unter 50 Prozent. Der Prozentsatz sinkt aber deutlich in dem Moment, wo es Geld für wissenschaftliche Mitarbeiterstellen gibt. An der Humboldt-Uni liegt er bei Promotionsstellen bei 42 und bei den Habilitationsstellen bei 36 Prozent.
Warum machen Frauen an den Universitäten kaum Karriere?
Weil der Mittelbau an Universitäten idealtypischerweise bis zu 80 Prozent aus befristeten Stellen besteht. Das ist für die dort Arbeitenden eine besonders risikoreiche Struktur. Bei jeder anstehenden Vertragsverlängerung können Frauen neu diskriminiert werden. In Spitzenpositionen der Wirtschaft sind die Anteile von Frauen aber noch geringer als in der Wissenschaft.
Ist Frauenpolitik überhaupt noch ein Thema? Gibt es nicht eine Roll-back-Bewegung?
Frauenpolitik hatte in den Achtziger- und Neunzigerjahren sicher einen höheren Stellenwert als heute. Andererseits sind bestimmte Dinge damals erreicht worden. Und dadurch ist manches heute selbstverständlich, was damals erkämpft wurde. Heutzutage hat Frauenpolitik einen geringen Stellenwert, aber auf einem höheren Niveau.
Es ist heute für Professoren selbstverständlich, dass Frauen auch Wissenschaftlerinnen sein wollen, und es ist selbstverständlich, dass es qualifizierte Wissenschaftlerinnen gibt.
Haben die Frauenförderrichtlinien und Förderpläne den Frauen insgesamt geholfen?
Ja, auf jeden Fall. Weil es nun mal gewisse Vorgaben durch diese Richtlinien in Bezug auf die Verfahrensregelungen gibt, an denen die Männer nicht mehr vorbeikommen. Die Rechtfertigungspflicht wird insgesamt größer.
Warum gibt es keine Quoten?
Das ist ein Kernproblem der bundesdeutschen Hochschullandschaft überhaupt. Bei uns wird nicht gleichzeitig über viele Nachwuchsstellen entschieden, sondern wir haben eine Personalstruktur, bei der einzelne Nachwuchsstellen einem Professor oder einer Professorin zugeordnet sind, und der entscheidet dann individuell. Oft heißt es dann: Im konkreten Einzelfall finde ich den Mann interessanter.
Wie ist das in den USA?
Dort ist der Frauenanteil bei Professuren an Universitäten viel höher. In den USA gibt es aber auch nicht so eine Struktur, die den wissenschaftlichen Nachwuchs persönlich vom Wohl und Wehe des Professors abhängig macht.
Interview: ANNETTE ROLLMANN
Marianne Kriszio (52) ist seit 1993 hauptamtliche Frauenbeauftragte an der Humboldt-Universität. Die promovierte Soziologin arbeitete von 1974 bis 1993 an der Universität Oldenburg. Dort war sie vier Jahre lang Frauenbeauftragte. Im Rahmen des Women’s-Studies-Programm verbrachte sie zwischendurch ein Jahr in den USA. Seit 1997 ist sie auch eine von fünf Sprecherinnen der Bundeskonfrenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen.
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