: Die Reinheit des Vertrauens
Der kritische Dialog mit dem Islam muss die „Scheintoleranz“ islamistischer Gruppierungen thematisieren. Denn deren antipluralistische Haltung stellt eine gesellschaftliche Gefahr darvon Ozan Ceyhun
Die deutsche Gesellschaft hat endlich den langwierigen Prozess begonnen, den Islam als eine in diesem Lande selbstverständlich praktizierte Religion zu akzeptieren. Auf diesem Weg werden Fragen aufgeworfen, deren Antwort die Eckpfeiler für das „neue“ Zusammenleben der Religionen darstellen werden. Die wichtigste dieser Fragen lautet: Wer vertritt den Islam in einem interreligiösen Dialog, und welche Maßstäbe müssen für diesen Dialog gesetzt werden?
Als deutscher Europaabgeordneter türkischer Herkunft setze ich mich seit langem für einen Dialog zwischen der deutschen Gesellschaft und einflussreichen Gruppierungen des politischen Islams ein und treffe oft auf Widerstand. Allerdings musste auch ich inzwischen meine Forderung nach einem bedingungslosen Dialog mit Gruppierungen des politischen Islams relativieren. Die heutige Realität zeichnet eine gefährliche Entwicklung ab. Unter dem Vorwand des Dialogs wird die Unwissenheit mancher deutscher Politiker, Verbände oder Kirchen über den politischen Islam ausgenutzt.
Auf diese Art bauen einige sunnitisch geprägte islamistische Gruppierungen aus der Türkei nicht nur ihre Machtposition aus. Sie spielen auch bei der Ausgrenzung anderer islamischer Minderheiten wie der Ahmadiya oder der Aleviten eine entscheidende Rolle. „Muslim“ ist nur, wer die Position der Vertreter der sunnitischen islamistischen Vereinigungen trägt.
Es ist in diesem Zusammenhang zumindest als sehr bedenklich zu betrachten, wenn Vertreter der Kirche oder anderer Organisationen bereit sind, zum Beispiel die alevitischen Anhänger des Islams als „Nichtmuslime“ zu bezeichnen. Und das nach der Beratung mit sunnitischen Ansprechpartnern. Dabei setzen viele Vertreter der evangelischen Kirche in gutem Glauben so viel Hoffnung in ein gegenseitiges Gespräch mit den großen sunnitischen Organisationen, dass sie bereit sind, auch deren diskriminierenden und teilweise antipluralistischen Ansichten anderen muslimischen Gruppen gegenüber zu übernehmen. Dieser absurden Entwicklung muss Einhalt geboten werden.
Man stelle sich einmal vor: Menschen alevitischen Glaubens, die durch die Aufhetzung politischer Islamisten in ihrer Heimat, der Türkei, keine Chance mehr sahen, friedlich und außer Lebensgefahr zu leben und deshalb ihre Heimat verlassen mussten, werden nun in Deutschland von Kirchenvertretern, wenn auch gut meinenden, als Muslime nicht anerkannt!
Wenn Micha Brumlik in seinem Beitrag in der taz vom 17. Juni 2000 beim Umgang mit dem politischen Islam von einem „wehrhaften Missverständnis“ der Skeptiker spricht, wird die Notwendigkeit eines Dialogs deutlich. Die Kritiker nennt er unreflektiert „Investigationsjournalisten“ und „Geheimdienstliche“. Durch diese Einseitigkeit folgt er der im Koran erwähnten „Al-Ichlás“, der Reinheit des Vertrauens. Nur: Wenn die Reinheit des Vertrauens zum politischen Instrument wird, entlässt man sich selbst aus der Verantwortung. Mir stellt sich die Frage, ob uns bei der möglichen Existenz verfassungsfeindlicher Organisationen des politischen Islams Vertrauen weiterbringt oder ob wir damit nicht eine gesellschaftliche Gefahr ignorieren. In diesem Fall bin sogar ich, ein grüner Innenpolitiker, erleichtert, dass die verfassungsschützenden Organe der Bundesrepublik ihre Aufgaben wahrnehmen.
Die Trennung von Staat und Kirche in Deutschland setzt eine Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften voraus. Gleichzeitig müssen jedoch die demokratischen Grundwerte eines Rechtsstaats geschützt werden. Dies darf weder zu einem Abbruch des Dialogs mit islamischen Gruppierungen führen, noch eine pauschale Kriminalisierung der Muslime in Deutschland beinhalten. Es ist sicher richtig, dass Deutschland noch weit von der Gleichstellung des Islams gegenüber anderen Religionen entfernt ist. Es ist auch richtig, dass ein differenzierter deutschsprachiger Islamunterricht für die sunnitischen und alevitischen Schüler an hiesigen Schulen ein ebenso fester Bestandteil des Zusammenlebens werden muss, wie der Islam als Wertegemeinschaft seine Berechtigung finden sollte. Dennoch: Die Bemühungen, das Leben in Deutschland nach dem „saudischen“ oder „afghanischen“ Islam zu gestalten, müssen unterbunden werden. Sie bedeuten die Ablehnung eines Zusammenlebens auf den Grundlagen demokratischer Werte in Europa. Das kann nicht das Ziel eines möglichst konfliktfreien und friedlichen „interkulturellen“ Zusammenlebens sein.
Die Unterscheidung zwischen legitimerweise „observierten“ Islamisten und in Ruhe gelassenen so genannten „reaktionären“ Christen, wie sie einige Experten immer wieder heranziehen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Es darf nicht zu einer strukturellen Ungleichbehandlung zwischen beiden Gruppen kommen. Jedoch muss ein besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, was artikuliert und veröffentlicht wird. Eine Predigt, die einen Angriff auf die Trennung von Staat und Kirche formuliert, ist Ausdruck einer politischen Geisteshaltung. Verteidigt derselbe Prediger an anderer Stelle die Verfassung, dann liegt der Verdacht auf Unglaubwürdigkeit nahe. Nicht nur die auf Deutsch vorliegenden „Sonntagsreden“ der Islamisten sind zur Kenntnis zu nehmen. Auch die auf Türkisch gestalteten Internetseiten oder andere Medienangebote müssen unter die Lupe genommen werden. So kann man Unterschiede zwischen externer Sympathiewerbung für die Vermittlung islamistischer „Scheintoleranz“ in Deutschland und interner Betreuung eigener Anhänger mit intoleranten Inhalten feststellen. Im Umgang mit dem politischen Islam gibt es also weiterhin nur eine Lösung: den Dialog als Beitrag auf dem Weg zur Entstehung eines europäischen Islams. Der Auseinandersetzung muss aber eine Aufklärung über die verschiedenen Gruppierungen des politischen Islams vorausgehen, um Probleme und eventuelle Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Aus diesem Dialog dürfen Minderheiten wie die Aleviten nicht ausgeschlossen werden.
Der Erfolg eines solchen Dialogs zwischen den Religionen ist zwingend notwendig. „Setzt sich der Trend fort, wird das Mutterland der Reformation am Ende des Jahrhunderts religiös in erster Linie nicht mehr vom Christentum, sondern vom Islam geprägt sein“, schreibt die um die eigene Mitgliederzahl besorgte Kirchenzeitschrift idea Spektrum in ihrer Ausgabe 23/2000 und befürchtet Verhältnisse wie „auf dem Balkan oder in Libanon“. Aus meiner Sicht sollte man dringend „die Kirche im Dorf lassen“, aber trotzdem, in einem Punkt teile ich ihre Sorge: Sollte der kritische Dialog zwischen den Religionen scheitern, dann ist ein friedliches Zusammenleben in Deutschland nicht mehr möglich. Deswegen müssen wir diese Auseinandersetzung hoffnungsvoll annehmen.
Hinweis:Ein Angriff auf die Trennung von Staat und Kirche drückt eine politische Geisteshaltung ausNicht nur die auf Deutsch vorliegenden Sonntagsreden der Islamisten sind zur Kenntnis zu nehmen
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