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Fehlende Sorgfalt

■ Verfassungsgericht nahm bei Demo-Verbot keinen Bezug auf Hamburg

Ist das Verbot des Neonaziaufmarsches vom Wochenende vom Bundesverfassungsgericht (BVG) gekippt worden, weil das Hamburger Verwaltungsgericht nicht sorgfältig gearbeitet hat? Diese Vermutung drängt sich beim Studium der Verwaltungsgerichtsbeschlusses auf, durch den das Demoverbot der Hamburger Polizei bestätigt wurde und der dem BVG als Entscheidungsgrundlage diente.

Das BVG legt an Verbote von Demonstrationen hohe Kriterien an. Erst im Juli bekräftigte der 1. Senat des Gerichtes – dem auch der Hamburger Ex-Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem angehört – in Bezug auf das Verbot eines Aufmarsches in Göttingen, der bloße Verdacht, es könnten Straftaten begangen werden, reiche für ein Verbot nicht aus. Es müssten „konkrete Anhaltspunkte“ für die aktuellen Demos vorliegen.

Die Polizei hatte den rechten Aufmarsch unter dem Motto: „Die Lügen und Hetze der Bildzeitung“ untersagt und diesen als „Tarnveranstaltung“ zum Gedenktag von Hitlerstellvertreter Rudolf Heß eingestuft. Zu Recht: Denn die Anmelder des Aufmarsches waren die Neonazis Thomas Wulff und Christian Worch vom „Aktionsbüro Norddeutschland“. Das „Aktionsbüro“ organisiert auch die Heß-Kampagne. Über ihr „Freies Infotelefon“ wurde dann auch vorige Woche zu Heßaktionen aufgerufen. Unter der Parole: „Also voran Kameraden“ wurden Aufmärsche in Rostock, Berlin und Hamburg angekündigt. Die ersten beiden standen aufgrund der Heßlosungen sogar in direktem Bezug zum Gedenktag. Polizeisprecher Hans-Jürgen Petersen: „In unserer Verbotsverfügung wurde gerade dieser personelle Zusammenhang zum Infotelefon hergestellt.“

Im Beschluss des Verwaltungsgerichtes ist davon aber nichts zu lesen. Da muss vielmehr eine Internet-Seite der „Kameradschaft Germania/Berlin“ zur Verbotsbegründung herhalten, wo unter anderem Termine zu „Rudolf Heß-Demonstrationen in Rostock und Hamburg“ angekündigt waren. Ob dieser mangelnde „konkrete Bezug“ zu Worchs und Wulffs Doppelstrategie für die Entscheidung des obestern deutschen Gerichtes entscheidend war, weiß selbst BVG-Sprecherin Carola von Paczensky noch nicht: „Ich warte extrem gespannt auf die schriftliche Begründung.“

Kai von Appen

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