: Narrenfreiheit für Rechts-Anwalt
Freispruch für Volksverhetzung: Hamburger Neonazi-Verteidiger Jürgen Rieger darf vor Gericht ungestraft Auschwitz leugnen ■ Von Elke Spanner
Selbst Staatsanwalt und Richter hatten ratlos und deshalb schweigend zugehört. Unverhohlen wurde im Oktober 1996 vor ihnen die Massenvernichtung von Juden im Nationalsozialismus bestritten. Doch der den Holocaust leugnete, trug selber eine Robe, also schritten sie nicht ein. Erst im Nachhinein zeigte der damalige Staatsanwalt den Hamburger Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger wegen Volksverhetzung an. Der wurde gestern vom Landgericht freigesprochen.
Als er damals den Hamburger Neonazi-Kader Thomas Wulff verteidigte, wollte Rieger durch einen von Geschichtsrevisionisten hofierten Chemiker beweisen lassen, dass die Nationalsozialisten im Vernichtungslager Auschwitz das Gas Zyklon B gar nicht eingesetzt hätten. Zwar steht laut Gericht außer Frage, dass der rechte Anwalt damit eine Volksverhetzung begangen habe. Die Tat sei jedoch nicht strafbar, so das gestrige Urteil, sondern „zulässiges Verteidigerhandeln“. Hätte Rieger seine Äußerungen auf der Straße kundgetan, hätte das juristisch eine andere Qualität gehabt. Einem Verteidiger aber müsse „in einer Demokratie ein gewisses Maß an Narrenfreiheit eingeräumt werden“.
Die Kammer berief sich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes von April. Das höchste Gericht hatte entschieden, dass ein Rechtsanwalt sich nicht der Volksverhetzung strafbar machen könne, während er jemanden wegen eben dieses Deliktes verteidige. Ausnahme: Das anwaltliche Tun weist keinen Bezug zu dem auf, was im Prozess geschieht.
Die Kammer des Landgerichtes aber sah gestern diesen Zusammenhang. Der Staatsanwalt hingegen stellte darauf ab, dass es eine historisch gesicherte Erkenntnis ist, dass die Nazis Juden industriell vernichteten und Auschwitz Schauplatz des Massenmordes war. Da diese Tatsache offenkundig sei, sei eine Beweiserhebung zu dem Thema nicht erforderlich.
Riegers Verteidiger Günther Eisenecker, der ebenfalls überwiegend Mandanten aus dem rechtsextremistischen Spektrum vertritt, wollte die Anklage schon einen Schritt früher abwürgen: Rieger habe seine Thesen nicht – wie die Volksverhetzung voraussetzt – öffentlich kundgetan. Da sich damals Gericht und Staatsanwaltschaft nicht zum Einschreiten veranlasst sahen, hätten die juristisch ungebildeten ProzesszuschauerInnen erst recht nicht auf Anhieb verstehen können, dass durch Riegers Antrag der Holocaust geleugnet werde.
Auch gestern als Angeklagter holte Rieger erneut zu einem geschichtsrevisionistischen Vortrag aus. Und wieder wurde er nicht gestoppt.
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