: Leichen am Weg
Renate Künast verkündet die Agrarwende. Doch entweder setzt sie alte Politik um – oder macht unrealistische Versprechungen. Sie muss mehr mit den Bauern an der Basis reden
Eine schwierige Ausgangssituation: eine neue Ministerin, die Quereinsteigerin ist; zwei neue Staatssekretäre ohne spezifisch landwirtschaftliche Fachkenntnisse; zwei übernommene Staatssekretäre, die über dieses Wissen verfügen, aber Vertreter des alten Apparats sind. Jeder, der sich mit der Durchsetzung politischer Positionen auskennt, weiß, dass als erstes wichtige Posten neu besetzt werden müssen. Im Bundeslandwirtschaftsministerium ist davon bisher nichts zu spüren.
Insofern ist es keine Überraschung, dass die neue Ministerin bei ihren beiden ersten wichtigen agrarpolitischen Entscheidungen das macht, was ihr Vorgänger begonnen bzw. der Bauernverband gefordert hat. Zum einen wird die Tötung einer ganzen Herde fortgesetzt, sobald BSE bei einem Einzeltier auftritt – obwohl dadurch kein Vertrauen zurückgewonnen wird. Sinnlos werden stattdessen das Berufsverständnis der Bauern und das ethische Verhältnis von Millionen Menschen zum Tier missachtet. Zum anderen soll das Abschlachten von 400.000 Rindern „den Markt bereinigen“ und Geld sparen. Für mich wie für Generationen von Menchen waren bislang das Verbrennen von Getreide während der Weltwirtschaftskrise sowie die Vernichtung von Lebensmitteln durch die EU-Administration Symbole für einen unverantwortlichen Umgang mit Agrarerzeugnissen. Der Berg aus getöteten Milchkühen verweist hier auf eine neue Dimension. Dabei wird die Massentötung der Rinder an dem Überangebot nichts ändern, da die Ursache bestehen bleibt: Die Konsumenten haben das Vertrauen verloren. Daher sieht die EU auch schon neue Abschlachtaktionen voraus.
Die Ablösung von Minister Funke wurde eingeleitet mit der Forderung, wegzukommen von der Agrarindustrie. Tierschutz, Verbraucherschutz, redliche bäuerliche Landwirtschaft waren weitere wichtige Stichworte. Hier muss Klarheit im Kopf geschaffen werden, sonst kann – wie schon geschehen – das Auftreten von BSE auf einem kleinen Bauernhof genutzt werden, um die Ablehnung der Agrarindustrie in Frage zu stellen. Agrarindustrie ist aber mehr als Massentierhaltung; Agrarindustrie ist ein wirtschaftliches, politisches und kulturelles Prinzip: extreme Arbeitsteilung und kapitalintensive Mechanisierung, Entwertung der Qualifikation und der Würde der Arbeit, Gleichgültigkeit gegenüber Standort, Natur oder Produktionsstoff, Konzentration auf engem Raum, billige Massenproduktion für anonyme Märkte, Ausrichtung allein am Profit. Dies ist seit Jahrzehnten die Leitlinie der Agrarpolitik – und fand weitreichende Zustimmung in der Gesellschaft. Wer an Prinzipien der bäuerlichen Landwirtschaft festhalten wollte – Denken in Generationen, Wirtschaften in Kreisläufen, Verantwortung für Mensch und Tier, Einkommensorientierung statt Gewinnmaximierung –, wurde nicht ernst genommen. Industrialisierung der Landwirtschaft schien gesellschaftlicher Konsens zu sein – bis BSE sichtbar werden ließ, auf wie viel Ablehnung sie inzwischen stößt. Die Totalverweigerung bei Rindfleisch reicht weit über BSE hinaus. Nicht kurzfristige „Marktbereinigung“, sondern grundsätzliche Neuausrichtung von Landwirtschaft, Lebensmittelherstellung und Lebensmittelverbrauch sind nötig.
Bewertet man danach die gestrige Regierungserklärung von Frau Künast, so ergibt sich kein erfreuliches Bild. Wichtige neue Grundsätze sind zwar, dass sie nur noch zwei „Großvieheinheiten“ pro Hektar zulassen will und dass Monokulturen durch eine verbreiterte Fruchtfolge auf dem Ackerland ersetzt werden sollen. Richtig ist auch, dass künftig sämtliche Inhaltsstoffe von Lebensmitteln und Viehfutter angegeben werden müssen.
Aber wenn die Ministerin demnächst „statt nach Ertrag nach Fläche“ fördern will, dann ist sie schlecht beraten – das ist nämlich schon der Fall. Und auch ihre Forderung, die Landwirtschaft solle sich am Reinheitsgebot für Bier orientieren, ist zwar als Analogie eingängig – aber eine Falle: Im Bier ist längst viel mehr drin als Wasser, Hopfen und Malz. Und schließlich ist es auch illusorisch, zu hoffen, dass allein die vollständige Angabe aller Inhaltsstoffe in den Lebensmitteln eine Wende zugunsten der Verbraucher auslösen würde. Eine so scharfe Lupe können die Konsumenten gar nicht besitzen, um die Liste zu entziffern. Die üblichen Zuckerbeigaben, Geschmacksverstärker, Farbzusätze und Konservierungsmittel muss man nicht nennen – sondern schlicht verbieten.
Auch die Forderung „Die Bauern dürfen nicht länger mit der Gießkanne voll Antibiotika durch den Stall gehen“ ist so überzogen, dass es sich Künast selbst mit den gutwilligsten Bauern verscherzt. Wer ihr diesen gnadenlos plakativen Satz ins Redemanuskript geschrieben hat, bereitet ihren Sturz vor. Und schließlich ist auch das Versprechen unhaltbar, den biologischen Landbau bis zum Jahre 2010 auf einen Anteil von 20 Prozent zu steigern. Zwar wäre ein Ausbau unbedingt wünschenswert, da momentan nur 3 Prozent der Landwirtschaft ökoloigsch ausgerichtet sind. Doch ein solch explosionsartiges Wachstum, wie Frau Künast es vorsieht, würde die Biobauern schwer schädigen. Es käme zu Überangebot und Preisverfall, denn es fehlen die vielen zusätzlichen Verbraucher, die die höheren Produktionskosten akzeptieren würden.
Was ist erforderlich? Die Agrarwende fängt im Kopf an – oder sie fängt nicht an. Als vor 200 Jahren landwirtschaftliche Hochschulen gegründet wurden, hatten sie eine klare Aufgabe: Sie sollten die Landwirtschaft zu einem Gewerbe machen, das Gewinn erzielt. An diese Aufgabe haben sie sich gehalten, mit unerschütterlicher Intensität und Einmütigkeit (closed shop). Wie heute in Ministerien und Verwaltungen gedacht wird, das hat seine Wurzeln vor allem in den Hochschulen. Eine Agrarwende muss deshalb die landwirtschaftlichen Fakultäten einbeziehen.
Das agrarindustiell-agrarwissenschaftliche System bedeutet für die Bauern und Bäuerinnen eine klare Rollenzuweisung. Sie haben sich den vorgegebenen Forderungen anzupassen. Wer mitmacht und Erfolg hat, wird finanziell und ideologisch unterstützt. Wer eigene Vorstellungen umsetzen will oder nicht mitmachen kann, der hat aufzuhören. „Leichen am Weg der Marktwirtschaft“ nannte das mal ein Landwirtschaftsdirektor. Dabei ist die praktische Landwirtschaft voller Kreativität, ob dies der biologische Landbau ist, die eigenständige Regionalentwicklung, die Entwicklung von neuen Einkommensmöglichkeiten durch Nutzung nachwachsender Rohstoffe. Die Bereitschaft, die Ziele und Formen neu zu bestimmen, ist innerhalb der Landwirtschaft so groß wie meiner Erfahrung nach noch nie. Hier knüpfen sich große Hoffnungen an die Ministerin. Das öffentliche Aussetzen von Kälbern (Telefonzellen als Babyklappen) ist doch geradezu ein Hilferuf: Lasst uns mitmachen, aber setzt euch nicht über unsere Lage hinweg! Ein neuer Gesellschaftsvertrag ist möglich – aber dafür muss man die praktische Landwirtschaft (und nicht einige Funktionäre) mit einbeziehen. Es muss wieder Spaß machen, Landwirt zu sein – und nicht ein Spießrutenlaufen.
Nötig ist an ersten Schritten zur Lösung der Krise der Rindviehhaltung:
1. Keine Tötung ganzer Herden, sondern nur jener Tiere, die das gleiche Futter bekommen haben.
2. Keine Stigmatisierung der Höfe, wo BSE aufgetreten ist.
3. Nicht nur Verbot des „Risikomaterials“ wie Hirn und Augen bei der Fleischverwertung – sondern vor allem auch: rigide Kontrolle der Lebensmittelindustrie. Sie hat vor Ort als oft einziger Arbeitgeber sehr viel Macht, eine Macht, die bisher gern genutzt wurde, um bei den zuständigen Ämtern laxe Überprüfungen durchzusetzen. Gleiches gilt für das Verbot von Tiermehl als Futterzusatzstoff.
4. Aufkaufen von 10 Prozent der Milchquote (dadurch wird indirekt die Zahl der neu geborenen Kälber und direkt derMilchüberschuss vermindert).
5. Abschaffung der EU-Förderung für die Herstellung von „Milchaustauschern“; stattdessen sollte bezuschusst werden, dass Kälber ausschließlich mit frischer Vollmilch gefüttert werden.
6. Statt die Rinder maximal auszumästen, sollten sie als Jungrinder geschlachtet werden (im Alter von acht bis zehn Monaten). Dies ist die Zeit, wo sie auch in der Natur von ihren Müttern getrennt werden und besonders gutes Fleisch liefern.
7. Begünstigt werden sollte eine Milchkuhhaltung, die vorzugsweise auf hofeigenem Grundfutter basiert (Weidegang von 80 bis 90 Prozent). Die Umstellung auf Strohhaltung ist zu unterstützen.
Was dafür unumgänglich ist: der stete Kontakt zwischen Politik und Basis. ONNO POPPINGA
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