: Klein-Klein wird büßen
aus Frankfurt am Main HEIDE PLATEN
Alle waren sie da. Prominente Zeugen in einem Prozess, der morgen mit dem Urteilsspruch der 21. Großen Strafkammer des Frankfurter Landgerichts sein Ende finden wird: Bundesaußenminister Joschka Fischer, der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit, der Kabarettist Matthias Beltz. Ihre Auftritte im grellen Licht der Öffentlichkeit haben den Angeklagten dahinter fast verschwinden und vergessen lassen, dass nicht sie und ihre Vergangenheit als Häuser- und Straßenkämpfer vor Gericht stehen, sondern Hans-Joachim Klein (53) und Rudolf Schindler (57), angeklagt wegen Mordes und Beihilfe zum Mord.
Ein Foto ging am 21. Dezember 1975 um die Welt: Ein Terrorist, schwarze Haare, das Gesicht schmerzverzerrt, die Hand auf den Bauch gepresst. Die Schussverletzung ist lebensgefährlich. Freunde in Frankfurt erkennen den Mann. Der Verwundete ist „der Jochen“, in der Frankfurter Spontiszene auch Klein-Klein genannt, einer der sechs Täter, die gemeinsam und schwer bewaffnet die Ministerkonferenz Erdöl exportierender Länder (Opec) in Wien überfallen und 33 Geiseln genommen haben. Sie alle werden auf Befehl des Kommandeurs des deutsch-palästinensischen Terrorkommandos, des Venezuelaners Illich Ramirez Sanchez, berüchtigt als „Carlos“, nach Algier ausgeflogen. Klein wird dort im Krankenhaus behandelt, die Geiseln kommen frei. Zurück bleiben drei Tote: ein österreichischer Polizist, ein libyscher und ein irakischer Sicherheitsmann.
Morde verjähren nicht und sollen nun nach 26 Jahren eine späte Sühne erfahren. Seit Oktober 2000 steht Klein, ausgeliefert aus Frankreich, in Frankfurt am Main vor Gericht. Ein klarer Fall eigentlich: ein geständiger Täter, ein Terroristenprozess, ein Urteil. Und dennoch ein schwieriger Fall für den Vorsitzenden Richter Heinrich Gehrke, der schon zu Beginn in Richtung der Staatsanwaltschaft gemahnt hatte, das Verfahren sei kein „historisches Seminar“ zur Aufarbeitung der Vergangenheit prominent gewordener Zeugen.
Diese vorgegebene Orientierung musste jedoch immer wieder abhanden kommen: in Disputen über die Nachkriegsjahre im Wirtschaftswunder-Deutschland, über die Studentenrevolte 1968, über Repression und Widerstand, über die Entstehung des bundesdeutschen Terrorismus. Die Zeugenvernehmungen, die eigentlich der Beleuchtung des Lebensweges, des Charakters des Hans-Joachim Klein und der Umstände, unter denen so einer zum Mörder wird, dienen sollten, gerieten unter der Regie von Staatsanwalt Volker Rath zur öffentlichen Spekulation über die damalige Gewaltbereitschaft und Terrorismusnähe des heutigen Außenministers. Und zur Abrechnung mit denjenigen in Fischers Bekanntenkreis, die Klein 25 Jahre lang als unerkannte „Jemande“ geholfen hatten, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Eine Schlappe der Ermittler, die für Staatsanwalt Rath schwer zu verkraften zu sein scheint. Denn Klein, der sich 1977 vom Terrorismus lossagte, schrieb im Untergrund nicht nur sein Buch „Rückkehr in die Menschlichkeit“, sondern gab Dutzende Interviews, erzählte seine Geschichte immer wieder.
Einfach wäre der Fall auch ohne das alles nicht. Das Gericht muss entscheiden, ob Klein als Kronzeuge behandelt werden kann, obwohl diese umstrittene Strafmilderung für Verrat schon seit Ende 1999 nicht mehr in Kraft ist. Es wird außerdem daüber befinden, ob der durch eben diese Regelung – durch belastende Aussagen Kleins – auf die Anklagebank geratene Mitangeklagte Rudolf Schindler tatsächlich 1975 in Wien Beihilfe geleistet hat, indem er als Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ) an der Vorbereitung des Attentats beteiligt war. Schindler bestreitet das und wehrt sich auch gegen der Vorwurf, er habe dem Aussteiger Klein später im Auftrag der RZ-Genossen nach dem Leben getrachtet. Schindler, so seine Verteidigung und deren Zeugen, sei Opfer einer Verwechslung geworden, entstanden durch „falsche Erinnerung“ des psychisch schwer angeschlagenen Klein.
Strafmildernd für Klein könnte sein, dass er geständig ist und sich stellen wollte, als ihn die Fahnder 1998 im Dorf Sainte-Honorine-la-Guillaume in der Normandie verhafteten. Und dass er nach seinem Ausstieg sowohl geplante Attentate der RZ verriet als auch seine Kampfgefährten zum Ausstieg aus dem Terrorismus aufrief. Klein selbst hatte vor Gericht immer wieder für sich in Anspruch genommen, dass er bereits genug gebüßt habe. Die 25 Jahre auf der Flucht, eine zerbrochene Ehe, gesundheitliche Schäden seien Strafe genug gewesen für die „zehn Minuten“ in Wien, die sein Leben zerstört hätten.
Das Gericht wird diese Sichtweise nicht teilen können. Dennoch bestätigt sie ein Selbstbild des Hans-Joachim Klein, das auch andere vor Gericht zeichneten. Klein scheint auf der Anklagebank in Reue, Selbstmitleid und Verdrängung zu versinken. Selbst als Hauptangeklagter bleibt er jene Nebenfigur, die er schon im Frankfurter Häuserkampf gewesen sein muss: ein Mitläufer, einer, der sich durch Maulheldentum und körperlichen Einsatz bei Demonstrationen zu profilieren versuchte, ein unsicherer Mensch, der die Anerkennung anderer brauchte. Einer auch, der die Anwerbung durch die RZ als Aufstieg empfunden haben mag, als Beförderung sozusagen im Kampf gegen den Imperialismus, von der zweiten Reihe der Spontiszene in die erste des internationalen Befreiungskampfes. Einer, der sich vermutlich wahrhaftig einbildete, er könne nach dem Opec-Attentat unerkannt in seine kleine, heile Welt im Frankfurter Szenestadtteil Bockenheim zurückkehren, sich als geheimnisumwitterter, romantischer Held fühlen. So mag es auch wahr sein, dass er jahrzehntelang an den Konsequenzen seiner Tat gelitten hat.
Die Staatsanwaltschaft forderte vor zwei Wochen 14 Jahre Haft für Klein, fünf Jahre für Schindler. Kleins Verteidigung plädierte für eine Freiheitsstrafe, die acht Jahre nicht überschreiten möge. Die Rechtsanwälte von Rudolf Schindler verlangten einen Freispruch und die sofortige Haftentlassung ihres Mandanten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen