: Mehr Hilfe und weniger Profit
Es gibt sie, die preiswerte Therapie für Aids-Patienten. Doch der Widerstand der Pharmariesen gegen billigere Kopien von Medikamenten bleibt
von ANDREAS ZUMACHund DOMINIC JOHNSON
Dürfen arme Länder billigere Kopien teurer und patentierter Medikamente einsetzen, um Aids zu bekämpfen? Oder sollen die Pharmakonzerne selbst ihre Preise senken, um Aidsbehandlung auch in den ärmsten Ländern ohne Verletzung des Patentrechts erschwinglich zu machen? Mit der Zusage sechs großer Pharmakonzerne an die UNO, ihre Preise deutlich zu senken, ist dieser Grundsatzkonflikt beim Kampf gegen Aids zunächst zu Gunsten des Patentschutzes entschieden. Die Hersteller so genannter Generika – kostengünstigerer Äquivalente bereits patentierter Medikamente – haben das Nachsehen.
Vor diesem Hintergrund ist den Experten, die ab morgen im norwegischen Oslo auf Einladung der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Welthandelsorganisation WTO über „Preisdifferenzierung und die Finanzierung notwendiger Drogen“ diskutieren, die Richtung eindeutig vorgegeben. Die Konferenz „wird erforschen, wie Ziele der öffentlichen Gesundheit innerhalb des Rahmens der Handels- und Patentregeln der WTO erreicht werden können“. Die WTO wacht über die Einhaltung des so genannten Trips-Abkommen zum Schutz von Urheberrechten (Trips steht für „Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights“). Die USA und andere einflussreiche Staaten unter den 137 WTO-Mitgliedern halten die unter anderen von Brasilien, Südafrika, Indien und Mexiko betriebene Produktion beziehungsweise den Import von Billigalternativen zu patentierten Medikamenten für einen Verstoß gegen das Trips-Abkommen. Dieser Interpretation schließt sich WTO-Chef Mike Moore an.
Recht gegen Recht
Nun scheint sich diese Haltung in der gesamten UNO durchgesetzt zu haben. Noch Anfang März hatte die WHO Partei für die Regierung Südafrikas ergriffen, die von 39 Pharmakonzernen wegen des Imports von Billigkopien patentierter Medikamente verklagt wird (siehe Text unten). „Wir lehnen diese Klage ab“, erklärte der Sprecher der WHO auf einer Pressekonferenz in Genf. Doch bereits wenige Tage später musste der WHO-Sprecher auf Geheiß seiner Generaldirektorin Gro Harlem Bruntland zurückrudern : „Die WHO unterstützt die Bemühungen Südafrikas und anderer Länder, die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit erschwinglichen Medikamenten sicherzustellen“, lautet seitdem die abgeschwächte Sprachregelung. Zu dem Prozess in Südafrika äußern sich Vertreter der WHO nicht mehr.
Zwar verweisen Mitarbeiter der Genfer WTO-Zentrale seit Wochen immer wieder auf die Ausnahmeklauseln des Trips-Abkommens, denen zufolge Vertragsstaaten „im Fall nationaler Notlagen“ den Schutz von Patenten lockern oder zeitweise ganz aufheben dürfen. Ist die Aids-Katastrophe in Südafrika eine nationale Notlage? Nicht nach Ansicht der 39 Pharmakonzerne, die die Regierung in Pretoria verklagt haben.
Und auch nicht nach Ansicht der USA. Washington hat noch unter der Clinton-Admininistration vor dem Beschwerdeausschuss der WTO eine Klage gegen Brasilien eingereicht. 1997 hatte die brasilianische Regierung unter Bezug auf die Ausnahmeklausel des Trips-Abkommens den Patentschutz für Aids-Medikamente aufgehoben und einheimischen Firmen die Produktion preiswerter, aber in der Qualität gleichwertiger Alternativen zu den teuren Markenimporten der Pharmamultis erlaubt.
Korrektur in Sicht
Seitdem sind die Endverbraucherpreise für Aidsmedikamente in Brasilien um über 80 Prozent gefallen. Die Sterblichkeitsrate von Aidskranken sank dort seit 1997 um 50 Prozent; im öffentlichen Gesundheitssystem des Landes konnten bereits über 400 Millionen US-Dollar eingespart werden. Die Alternative zum brasilianischen Weg ist der, den manche afrikanischen Länder wie Uganda, Ruanda und Senegal eingeschlagen haben: Die Patentrechte zu respektieren und zugleich mit den Pharmakonzernen billige Preise für deren Produkte auszuhandeln. Die Erfahrungen damit sind bisher weniger gut. In Senegal kostet die Aidsbehandlung immer noch über 1.000 US-Dollar pro Patient im Jahr – zu teuer für fast alle Senegalesen. In Uganda haben trotz Preissenkungen von über 50 Prozent nur 10.000 der 2 Millionen Infizierten Zugang zu Medikamenten, und viele benutzen weiterhin indische Generika, die immer noch billiger sind.
Die noch für dieses Jahr erwartete Entscheidung im Beschwerdeverfahren der USA gegen Brasilien sowie der Ausgang des Prozesses in Südafrika werden die Entwicklung bestimmen. Wird die Beschwerde gegen Brasilien zurückgewiesen, ist eine Korrektur des Trips-Abkommens in Richtung weiterer Ausnahmeregelungen nicht mehr auszuschließen. Sollten sich die USA durchsetzen, ist mit ähnlichen Beschwerden etwa gegen Indien oder Mexiko zu rechnen. Und wenn der von Kofi Annan verkündete „Durchbruch“ bei der Verbilligung patentierter Medikamente Wirklichkeit wird, werden die Argumente, warum ein armes Land das Patentrecht in nationalen Notsituationen aussetzen können sollte, weiter geschwächt.
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