: Rechter Kitt von tschechischen Märkten
Vietnamesen verkaufen auf den zahlreichen Märkten auf tschechischem Hoheitsgebiet rechte Musikscheiben an deutsche Rechte. Die grenzüberschreitende Bekämpfung dieses Handels ist Fehlanzeige. Ein SPD-Politiker ruft das Prager Parlament um Unterstützung an
von MARINA MAI
„Ganz Deutschland hört Landser“, steht auf der CD. Der Schriftzug ist in SS-Runen eingerahmt. Die CD, die in Deutschland auf dem Index steht, liegt zwischen Musik von Herbert Grönemeyer und DJ Ötzi auf einem Grenzmarkt in dem tschechischen Dorf Dolní Poustevna an der sächsischen Grenze.
„Nicht gut?“ Die Verkäuferin macht ein Gesicht wie ein Schulmädchen, das mit einem Spickzettel erwischt wurde. Sie heißt Van, ist Vietnamesin, wie alle, die in diesem gottverlassenen Grenzdorf deutschen Grenzpendlern unterschiedlichste Waren anbieten. Als 1995 ein Grenzübergang zwischen dem sächsischen Sebnitz und dem nordböhmischen Dolní Poustevna öffnete, hatte ein geschäftstüchtiger Vietnamese das Stück Brachland direkt am Übergang erworben und einen Wochenmarkt eingerichtet. Der sei jetzt Millionär, munkelt man in Dolní Poustevna. Die Markthändler, die Textilien, Getränke, Naschereien, böhmisches Glas, Korbwaren oder eben Musik-CDs verkaufen, sind alle Vietnamesen. Sie müssen umgerechnet 400 Mark Standmiete pro Monat an ihren Landsmann zahlen. Nach und nach übernahmen Vietnamesen, die jeden dritten der gut 2.000 Einwohner im Ort stellen, auch die meisten anderen Läden. Anders als Tschechen kümmern sich die Zuwanderer aus Südostasien weder um Öffnungszeiten noch um Verkaufskultur. Die Ware wird in Kisten angeboten wie in einem Discounter und ist oft nicht mit Preisen ausgezeichnet. Tschechische Händler hingegen geben sich viel Mühe bei der Gestaltung der Schaufenster und schließen ihre Läden meist um 17 Uhr. Die Vietnamesen verkaufen so lange, wie Kunden kommen, auch am Wochenende. Das drückt die Preise. In Dolní Poustevna werden nur noch ein Schreibwaren- und ein Miederwarenladen, die Apotheke und der Supermarkt von Tschechen betrieben.
Die Vietnamesin Van, die auf dem Markt steht, ist eine von insgesamt 23.556 Vietnamesen in Tschechien. Nach Slowaken und Ukrainern sind sie die drittgrößte Migrantengruppe. Van gibt bereitwillig Auskunft: Männer seien es, die diese CDs kaufen. Junge Männer und große Schuljungen. Deutsche. Natürlich. Alle Kunden, die ihre CD oder Sportkleidung hier kaufen, seien Deutsche. Einige hätten auch kahl geschorene Köpfe. Aber das störe sie nicht. Sie zahlen das Geld und bekommen die Ware. „So einfach ist das.“
Dass die 30-jährige Van ein wenig Deutsch spricht, kommt ihr zugute. „Ich habe sechs Jahre in Berlin gewohnt,“ sagt sie. In Köpenick. Ihre Schwester wohnt heute noch in Berlin-Rummelsburg. Van darf nicht mehr nach Deutschland fahren, wo ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Ihrer Abschiebung nach Vietnam kam sie zuvor, indem sie vor drei Jahren über die Grenze nach Tschechien zog. Hier übt sie, von den rechten CDs abgesehen, ein legales Gewerbe aus.
Wer 109.500 tschechische Kronen investiert – umgerechnet rund 6.000 Mark –, der hat die Chance, ein Aufenthaltsrecht zu erwerben. Gerade im grenznahen Raum zu Deutschland und Österreich haben sich größere vietnamesische Gemeinden angesiedelt, die vom kleinen Grenzhandel leben. Vor allem in Orten, die nach 1945 von den Sudetendeutschen verlassen werden mussten und in die kaum Menschen nachzogen. In florierenden Industrie- und Verwaltungsstädten entlang der Grenze wie Děčín und Liberec haben sich keine größeren vietnamesischen Gemeinden ansiedeln können.
In Berlin hatte Van manchmal Angst vor den jungen Männern mit den Glatzen und den Springerstiefeln. Die sagten „böse Worte“, erzählt sie. Van hatte auch gehört, dass sie Ausländer schlagen. „Aber ich hatte nur kleine Angst.“ Einen Zusammenhang zwischen den gewalttätigen Attacken auf Ausländer und der Musik auf den rechten CDs, die sie verkauft, sieht Van nicht. Ob sie Sportkleidung und CDs oder – wie in Berlin – Zigaretten verkauft, ist ihr egal. Hauptsache, sie verdient damit Geld und kann ihre Familie in Mittelvietnam unterstützen. Für sie zählt, dass die Mutter zu essen kaufen und kleine Modernisierungen am Haus finanzieren kann von dem Geld, das Van und die Berliner Schwester nach Vietnam schicken.
Eine moralische Diskussion über ihre Verkaufstätigkeit im Ausland gibt es innerhalb der vietnamesischen Gemeinde in Tschechien nicht. Eine solche Diskussion fehlt auch unter Vietnamesen in Deutschland. Die vietnamesischen Auslandsvertretungen in Europa fördern die Geldmacherei ihrer Landsleute im Ausland. Wenn ihre Staatsbürger in Europa Geld verdienen, unterstützen sie ihre Verwandten in der Heimat und bringen damit dringend benötigte Kaufkraft in das südostasiatische Land. Außerdem will auch der eine oder andere Diplomat etwas von dem Geld abbekommen, das Auslandsvietnamesen in Europa verdienen. Diese Geldmacherei kritisch zu begleiten wäre für die Auslandsvertretung also geradezu kontraproduktiv.
Dolní Poustevna ist nicht der einzige tschechisch-sächsische Grenzort, in dem CDs mit rechtsextremer Musik an Deutsche verkauft werden. Zwanzig Kilometer weiter im Grenzort Hřensko in der Böhmischen Schweiz haben Händler auf dem Grenzmarkt zwei Musikscheiben im Angebot. Die Gruppe „Reichsmusikkammer“ spielt unter anderem das Horst-Wessel-Lied. Und „Kraftschlag“ wirbt geradezu mit dem Index. „Trotz Verbot nicht tot“ steht neben SS-Runen auf der CD-Hülle. Die Verkäufer sind auch hier Vietnamesen. Sie haben die Grenzmärkte fest in der Hand. Dass deutsche Rechte keine Skrupel haben, ihre Musikscheiben bei Vietnamesen zu erwerben, die sie, so ist es in einem einschlägigen Titel zu hören, „mit einem Tritt in den Arsch“ abgeschoben haben wollen, mag verwundern. Auch dass dieser Handel in der Grauzone florieren kann. Aber wenn vietnamesische Händler an deutsche Kunden auf tschechischem Hoheitsgebiet NS-Propaganda verkaufen, fühlt sich kaum jemand zuständig. Dies erleichtert die Verbreitung der Musik, die den Kitt für den Zusammenhalt in der rechten Szene darstellt. Zumindest hilft sie dabei, dass rechte Rattenfänger neue Anhänger unter den Jugendlichen rekrutieren können.
„Wir wissen nicht, ob die CDs von den Vietnamesen in Tschechien schwarz gepresst werden oder ob sie sie von rechten Verlagen in Deutschland erwerben“, sagt Pavel Kelly-Tychtl von der tschechischen Organisation für Flüchtlingshilfe in Prag. Allerdings hat noch kein rechter Verlag einen Diebstahl seiner Lizenzen durch Vietnamesen öffentlich gemacht.
Bis vor wenigen Wochen war der CD-Verkauf in Tschechien völlig legal. Nur die Einfuhr nach Deutschland war verboten, aber Kontrollen gab und gibt es kaum. Drei bis fünf verbotene Musikscheiben haben die Beamten des für die Sächsische Schweiz zuständigen Zollkommissariats Bad Schandau im vergangenen Jahr monatlich im Gepäck von Einreisenden gefunden und sichergestellt. Ein Hinweis von Bürgern an deutsche Zöllner am Grenzübergang Sebnitz über Verkaufsorte von NS-Musik geht ins Leere.
Auch der Mann am „Bürgertelefon“ des Bundesgrenzschutzes reagiert verständnislos auf Anrufe. Das Telefon wurde eingerichtet, damit Bürger in der Grenzregion Flüchtlinge bei den Behörden denunzieren können, die illegal ins Land gekommen sind. Doch dass die Grenzschützer jetzt auch für die Bekämpfung des Rechtsextremismus zuständig sein sollen, wie es der Bundesinnenminister kürzlich verkündete, hat sich noch nicht bis zu dem Telefonbeamten herumgesprochen. „Wenn die CDs in Tschechien angeboten werden, können wir nichts machen.“ Weil die Strafverfolgungsbehörden bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht grenzüberschreitend arbeiten, kann der NPD-Nachwuchs sich nach wie vor seine Musikscheiben aus Tschechien holen.
Zivilgesellschaftliche Aktivitäten, die sich mit dem grenzüberschreitenden CD-Handel auseinander setzen, gibt es wenige. Einer dieser Engagierten ist der sächsische SPD-Politiker Klaus Fiedler. „Ich dachte, das Thema hätte sich inzwischen erledigt“, sagt der Pirnaer, der in seiner Partei für die Zusammenarbeit mit den tschechischen Sozialdemokraten zuständig ist. „Aber offensichtlich hat sich das Verkaufsverbot auch bei den tschechischen Beamten noch nicht herumgesprochen.“ Eine von Fiedler vorangetriebene gemeinsame Arbeitsgruppe sächsischer und böhmischer Sozialdemokraten aus der Euroregion Elbe/Labe hat im vergangenen November das tschechische Parlament auf diesen Missstand aufmerksam gemacht. „Als deutsche Sozialdemokraten fühlen wir uns von diesem braunen Ungeist besonders betroffen“, heißt es in dem offenen Brief. „Dabei denken wir auch an das unermessliche Leid, das der deutsche Faschismus den Menschen Ihres Landes zugefügt hat.“
Inzwischen hat sich die Arbeitsgruppe, so Fiedler, mit dem sozialdemokratischen Parlamentsabgeordneten Vladimir Laštůvka getroffen. „Der hat zugesagt, die Behörden erneut auf das Verkaufsverbot hinzuweisen.“
In Tschechien regieren die Sozialdemokraten in einer von den Konservativen tolerierten Minderheitsregierung. Dass die Scheiben noch immer unbehelligt angeboten werden und eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Ordnungshüter fehlt, ist für Fiedler ein Ärgernis. „Ich werde das auf dem nächsten ČSSD-Parteitag ansprechen“, so der Sozialdemokrat, der von seiner Bundespartei mit diesem Anliegen recht allein gelassen wird.
Železná Ruda ist ein schmucker Kurort an der tschechisch-bayerischen Grenze. Hier sind 600 der 2.000 Einwohner Vietnamesen. Sie haben das Handelsleben des Grenzorts fest in der Hand. Becherovka, Sportschuhe, Bier, Zigaretten, böhmische Knödel und böhmisches Glas – all das bieten sie hier feil. An den CD-Ständen fehlen allerdings die rechten Titel. Der Grund ist einfach: Im benachbarten Bayerischen Wald ist die Nachfrage nach dieser Musik bei weitem nicht so groß wie in der NPD-Hochburg Sächsische Schweiz. Für die vietnamesischen Kleinhändler lohnt sich hier der Verkauf nicht.
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