: Das Jahr des Ökotourismus 2002
Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen weltweit fordern eine grundlegende Überprüfung des „Ökotourismusmodells“
von MARIANNE FREI
Die landschaftliche Schönheit hat die Kordilleren-Region im Norden der Philippinen weltberühmt gemacht. Die Attraktivität für auswärtige BesucherInnen wird durch die oft als „exotisch“ gepriesene Vielfalt der indigenen Kordillerenvölker noch erhöht. Ein „ideales Tourismusgebiet“, findet die philippinische Regierung. Deshalb will sie im großen Stil in den Ausbau der touristischen Infrastruktur investieren, während sie für die Landwirtschaft kaum Fördergelder übrig hat. Doch die „Natur“ und „Kultur“, die das Tourismusdepartement auf dem Markt zum Kauf anbiete, gehöre nicht der Regierung, empört sich Joan Carling von der Indigenenorganisation „Cordillera Peoples Alliance“. „Die Menschen haben das Recht, darüber zu entscheiden, was sie mit ihren Ressourcen und ihrer Kultur tun wollen. Die Regierung hat kein Recht, einen touristischen ‚Masterplan‘ für sie zu erstellen und sie zu verkaufen. Und falls die BewohnerInnen der Kordilleren beschließen, ihre Ressourcen für den Tourismus zu nutzen, so wollen sie davon profitieren.“
Die Mitbestimmung der ansässigen Bevölkerung und ihre wirtschaftliche Teilhabe an der Tourismusentwicklung liegen nicht nur in den philippinischen Kordilleren im Argen. Sie sind ungelöste Probleme der verschiedensten „Ökotourismusprojekte“ in naturnahen Gebieten des Südens. Initiiert und kontrolliert wird die Mehrheit dieser Projekte von auswärtigen Akteuren. Ein Großteil der Einnahmen fließt daher in die nationalen Zentren und zum Teil ins Ausland ab und steht für den Naturschutz und die Einkommensschaffung vor Ort meist nur bedingt zur Verfügung. Die Vorteile für die Einheimischen beschränken sich nicht selten auf ein paar wenig qualifizierte Arbeitsplätze. Dass die Bevölkerung in abgelegenen Gebieten bei der Tourismusentwicklung übergangen wird, hängt oft damit zusammen, dass sie nicht über gesicherte Land- oder Nutzungsrechte verfügt. Auch heute noch werden Menschen von ihrem Land vertrieben oder ihre traditionellen Gewohnheitsrechte werden aufgehoben, sodass sie die natürlichen Ressourcen in den neu ausgewiesenen Schutzgebieten nicht mehr nutzen dürfen.
Unter der Fahne des „Ökotourismus“ segeln in der Praxis die unterschiedlichsten Tourismusangebote, die zuweilen nur eine Gemeinsamkeit haben: Sie sind mit dem Besuch eines naturnahen Gebietes verknüpft. Eine international anerkannte Definition, an welchen Kriterien man das „Ökotourismusmodell“ in der Praxis messen könnte, existiert bis heute nicht.
Nichtsdestotrotz haben die Vereinten Nationen das Jahr 2002 zum „Internationalen Jahr des Ökotourismus“ erklärt. Dies hat viele indigene Gemeinschaften, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen alarmiert. Sie befürchten, dass transnationale Unternehmen das „Ökotourismusjahr“ dazu nutzen könnten, ihre eigenen Vorstellungen und Definitionen durchzusetzen. Problematisch ist weiterhin, dass im Namen des „Ökotourismus“ vielfach neue – als „unberührt“ geltende – Gebiete für Investoren erschlossen und nur selten bestehende Tourismusangebote verträglicher ausgestaltet werden. Dies habe vielerorts zu einer zusätzlichen ökologischen Beeinträchtigung der Naturgebiete geführt, beklagen KritikerInnen aus den verschiedensten Ländern.
So ziehe die touristische Erschließung unter anderem illegale Holzfäller, Minengesellschaften und SiedlerInnen an. Das Ziel, mit „Ökotourismus“ weniger nachhaltige Nutzungen fern zu halten, schlägt so häufig ins Gegenteil um. Aber auch das Vermitteln von traditionellem Wissen um Heilpflanzen und Kultursorten, das oft den besonderen Reiz solcher „Ökoreisen“ ausmacht, birgt Risiken. Dem philippinischen Umweltministerium sind mehrere Fälle von Biopiraterie bekannt, in denen WissenschaftlerInnen wertvolle Naturressourcen außer Landes geschmuggelt und mittels Patentierung in den Besitz ausländischer Pharma- und Agrarunternehmen gebracht haben. Werden keine vorsorgenden Maßnahmen getroffen, können die Dienstleistungen der einheimischen NaturinterpretInnen allzu leicht von profitorientierten Forschungsinteressen missbraucht werden.
Die Vereinten Nationen haben laut den Organisatoren bei der Welttourismusorganisation (WTO) und beim UN-Umweltprogramm (Unep) keinerlei Richtlinien für die Organisation des „Ökotourismusjahres“ vorgegeben. Bis auf weiteres wollen sich WTO und Unep an den Definitionen der Internationalen Ökotourismusgesellschaft und des WWF orientieren, die vorrangig die Finanzierung von Naturschutzmaßnahmen, die Schaffung von lokalem Einkommen sowie die Erhöhung der Naturschutzakzeptanz zum Ziel haben. Für die Indigenenorganisation „Rethinking Tourism Project“ (RTP) ist es unverständlich, dass diese von indigenen Völkern mehrfach abgelehnten Definitionen weiterhin zur Diskussion stehen, während die von mehreren NROs, indigenen Völkern und Gewerkschaften entwickelte „Ökotourismusdefinition“ ignoriert werde. Letztere stellt die selbstbestimmte und nachhaltige Entwicklung in den Vordergrund, bei der alle Betroffenen als gleichberechtigte, vollumfänglich informierte TeilnehmerInnen einbezogen sind. Den indigenen Gemeinschaften wird das Recht eingeräumt, sich auch gegen eine touristische Entwicklung in ihrem angestammten Lebensraum zu entscheiden.
Hinter dieser Forderung steht die viel zu selten gestellte Frage nach Macht und Einfluss der involvierten Akteure. Ausgeblendet wird, dass die traditionellen BewohnerInnen vieler Naturgebiete nicht selten Ziel einer Unterdrückungs- und Ausbeutungspolitik durch die dominanten sozialen Gruppen ihres Landes (gewesen) sind. Dementsprechend gering ist ihr politischer und ökonomischer Einfluss.
Inzwischen hat sich eine internationale Koalition von Nichtregierungsorganisationen (NRO) formiert, die sich für eine Neuausrichtung des Jahres stark macht. Statt ein „Promotion-Jahr“ für eine nur vage definierte Tourismusform durchzuführen, solle das Jahr dazu benutzt werden, zu untersuchen, welche positiven und negativen Folgen der so genannte Ökotourismus für die Umwelt und den Lebensalltag der betroffenen Menschen bis heute tatsächlich gehabt hat. In einem Brief an UN-Generalsekretär Kofi Annan sowie an die verantwortlichen Organisatoren bei der WTO und Unep forderte die Koalition im Januar 2001, den Anlass in ein „Internationales Jahr zur Überprüfung des Ökotourismus“ umzutaufen und eine unabhängige Evaluierungskommission einzurichten. Zudem fordert die Koalition die WTO und Unep auf, den „Multi-Stakeholder-Dialogue“ – die Partizipation aller betroffenen Parteien –, zu dem sich die Vereinten Nationen im Rio-Folgeprozess verpflichtet haben, bei ihren Vorbereitungsarbeiten künftig ernster zu nehmen.
Zum Vorbereitungstreffen im vergangenen Februar hatten die WTO und Unep lediglich eine NRO-Vertreterin aus dem Süden eingeladen, die zudem aus finanziellen Gründen absagen musste, weil sie Reise und Unterkunft selber hätte bezahlen müssen.
Eine gründliche Evaluation tut wahrlich Not. Der „Ökotourismus“ gilt heute als einer der dynamischsten Wachstumsnischen der globalisierten Tourismusindustrie. Seit kurzem ist er auf dem internationalen politischen Parkett ein hofiertes Thema. Dass die Tourismusindustrie einen wesentlichen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten könnte, hat sie bis heute nicht beweisen können. Im Gegenteil, die Erfolgsbilanzen der transnationalen Tourismuskonzerne und die Konzentrationsprozesse in der Branche legen die Vermutung nahe, dass das große Geschäft eher zur Umverteilung von Arm nach Reich beiträgt. Die immer wieder geäußerte Hofnung, der „Ökotourismus“ sei mehr als ein Nischenprodukt, ja vielleicht gar ein Vorbild für eine nachhaltige Ausgestaltung der Tourismusindustrie, scheint angesichts der finanz- und handelspolitischen Rahmenbedingungen gewagt. Solange die Auswirkungen der Liberalisierungsabkommen im Dienstleistungsbereich (GATS) auf Natur und Gastbevölkerung aus der Debatte ausgeklammert werden, sind die Hoffnungen auf einen insgesamt nachhaltigen „Ökotourismus“ schwerlich ernst zu nehmen. Gerade die Liberalisierung der Dienstleistungen, die auch vor „Ökotourismusprojekten“ nicht Halt macht, verschlechtert die Chancen finanzschwacher und verwundbarer Akteure in einem weltweit zunehmenden Konkurrenzkampf.
Selbstbestimmte kommunale „Ökotourismusprojekte“, die auf eine nachhaltige Ressourcennutzung und möglichst breite wirtschaftliche und politische Partizipation setzen, verfügen oft nicht über die nötigen unternehmerischen Erfahrungen, um nennenswerte Einnahmen zu generieren. Zudem haben sie bei einer Konkurrenz finanzkräftiger Großunternehmen schlechte Karten. Eine effektive Berücksichtigung von Umweltbelangen sieht GATS nicht vor. Der Spielraum für nationale und lokale Behörden, Regelungen zum Schutze der natürlichen Ressourcen einzuführen, dürfte sich durch die internationalen Verpflichtungen stark einschränken. Die indische Organisation „Equations“ befürchtet, dass der freie Import von Technologie, Knowhow, Finanzen, Arbeitskräften und anderen Dienstleistungen dazu führen könnte, dass lokale Anbieter marginalisiert und die Naturerschließung und der Ausbau der touristischen Infrastruktur ohne Berücksichtigung ökologischer Kriterien forciert würden.
Wer „Ökotourismus“ als Zielvorgabe ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit rückt, darf über die handels- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen, unter denen sich jede Form von Tourismus entwickelt, nicht schweigen. Dies haben die Umweltorganisationen begriffen und bieten nun den marktwirtschaftlichen Akteuren im Tourismus und in den Naturgebieten eine marktwirtschaftliche Antwort auf die Frage, wieso Naturschutz ein erstrebenswertes Ziel sei. Mit „Ökotourismus“ soll die Natur wirtschaftlich „in Wert gesetzt“ werden, womit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen wären: Geld für den Naturschutz würde generiert und die ansässige Bevölkerung würde sich so des Wertes einer intakten Umwelt bewusst.
Implizit wird damit der Annahme Vorschub geleistet, dass die traditionellen Subsistenzwirtschaften weder produktiv noch profitabel seien und die Lokalbevölkerung die natürlichen Ressourcen grundsätzlich nicht nachhaltig nutzte. Dabei wird ignoriert, dass indigene Völker mit ihrer angepassten Wirtschafts- und Lebensweise in vielen Naturgebieten über Generationen hinweg dafür gesorgt haben, dass sich die artenreichen Ökosysteme erhalten konnten. Auch wenn in Einzelfällen schlimmere Nutzungen – wie etwa die Erdölförderung – abgewendet werden können, stellt sich die Frage, ob die marktwirtschaftliche „Inwertsetzung“ der Naturräume durch den Tourismus mit den Zielen des Naturschutzes und den Interessen der traditionellen Wirtschafts- und Kultursysteme vor Ort langfristig kompatibel ist.
Das „Internationale Jahr zur Überprüfung von Ökotourismus“ böte hier die Gelegenheit, längst fällige Untersuchungen in Angriff zu nehmen und von den Erfahrungen der betroffenen Menschen im Süden zu lernen.
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