: Lächeln für den inneren Machterhalt
Einsame Heldin oder Opfer des Oggersheimers? Bei der medialen Aufarbeitung von Hannelore Kohls Selbstmord verknäueln sich die medialen Diskurse. Nun wird die Leerstelle hinter dem Medienbild gefüllt – Stoff genug für einen exemplarischen Familienroman der Bundesrepublik ist allemal vorhanden
von DIRK KNIPPHALS
Bei Helmut Kohl hat man sich zwar spät, aber dann eben doch irgendwann dazu entschieden, einmal genau hinzugucken. Spätestens als sich seine Regierungsjahre dem einsamen Streckenrekord näherten, war die Irritation darüber mit Witzeleien allein nicht mehr zu beruhigen. Auch bei diesem späten Blick wurde Hannelore Kohl aber aus irgendeinem Grund vergessen. Bei ihr, dachte man, würde es auch nichts zu entdecken geben. Sie blieb die ganze Zeit die Karikatur, die Helmut Kohl lange war: die Frau, die am Wolfgangsee Rehe füttert, die Frau desjenigen deutschen Kanzlers, der – ein ehemals beliebter Spruch – wie der Pudding war, den man bekanntlich nicht an die Wand nageln konnte.
Da haben unsere Medien nun also einiges nachzuholen. Seit vergangenem Donnerstag, 12.30 Uhr, als die Nachricht von ihrem Tod – mit hoher Dringlichkeitsstufe – über die Ticker der Nachrichtenagenturen lief, besteht erhöhter Erklärungsbedarf. Keineswegs wird man behaupten wollen, dass die Medien ihre Sache schlecht machten; tapfer betreiben die Boulevardblätter ihr normal-zynisches Spiel mit der Produktion von Emotionen, die seriösen Zeitungen bleiben diskret, und die Nachrichtenmagazine schaufeln Informationen heran, über den Alltag einer Politikerfrau und seltene Hautkrankheiten, über letzte Telefonkontakte und – es geschah mitten unter uns! – die Nachbarn in Oggersheim. Eine Arbeitsteilung, die gut eingeübt ist und bisher vielleicht nur bei Lady Di jemals durchbrochen wurde; da konnte sich kein Presseorgan dem allgemeinen Taumel entziehen.
Die Medien machen, was ihr Job ist: Archive auswerten, einordnen, die mediale Leerstelle, die Frau Kohl bislang offenbar war, mit Inhalten füllen. Nur scheinen die Erzählungen, die dazu aufgeboten werden, in sich windschief zu sein. Es mag ein wenig gewollt klingen: aber vielleicht erleben wir tatsächlich gerade, wie es zugeht in unserer Medienwelt, wenn etwas wirklich Unvorhergesehenes passiert, etwas, für das kein Platz vorgesehen war in den tagtäglich umgewälzten Themenlisten. Und man sieht: Keineswegs reagiert die Medienwelt mit Sprachlosigkeit, das wäre ja auch ein romantisches Klischee, sondern sie reagiert, indem sie Einzelheiten, Lebensfragmente, Schicksalsdetails hin und her wendet wie Quadrate auf einem Zauberwürfel. Aufs ständige Umwenden kommt es hier an, nicht aufs stimmige Bild.
In diesem speziellen Fall aber scheinen die angebotenen Erzählmuster die Einzelheiten, die sie enthalten, nur mit Mühe fassen zu können. Da kann es dann schon mal passieren, dass man nicht recht weiß, ob nun der Lichtallergie oder der Einsamkeit die dramaturgische Schlüsselposition zukommt. Und es ist auch recht zweifelhaft, wie man diese stahlharten, klaren Sätze, mit denen Hannelore Kohl ihr Leben beschrieben hat, mit den Bildern der vordergründig lächelnden Frau in Einklang bringen soll, die nun wieder herumgehen. Wie kann ein Mensch, der sagt, er habe in seinem Leben viel von einem Hund gelernt, sich wirklich so dermaßen prototypisch hausfrauenmäßig über das Leben an der Seite dieses Mannes freuen, wie Hannelore Kohl es auf vielen Fotografien getan hat? Seltsam. Es gibt sozusagen zu stark wirkende Details, als dass sie sich nahtlos in eine übergeordnete Geschichte integrieren ließen.
Wer sich daranmacht, das Knäuel ein wenig zu entwirren, wird feststellen, dass hier vor allem zwei Diskurse miteinander verwoben sind: ein Helden- und ein Opferdiskurs. Erzählt wird von den Medien zum einen die Vorgeschichte eines selbst bestimmten Sterbens, eines Freitodes, wie man so sagt, nebst dazugehörendem souveränem Leben. Dieser Heldendiskurs muss zentral auf das Motiv der Lichtallergie setzen, auch wenn die Krankheit etwas obskur sein mag. Denn nur von diesem Motiv aus lässt sich Hannelore Kohl als Subjekt ihres eigenen Lebens und Sterbens einsetzen; sie erscheint als jemand, der mit kaltem – fast ist man geneigt zu sagen: soldatischem – Blick Vor- und Nachteile des Weiterlebens abgewogen und sich dann für den Tod entschieden hat. Das Motiv vermag also Rationalität zu produzieren, nur fallen alle Emotionen, die doch eigentlich immer auch dazugehören, aus diesem Diskurs heraus.
Und diese Form der Herangehensweise hat natürlich auch Auswirkungen auf die Art und Weise, die Biografie der Hannelore Kohl zu betrachten. Bei all dem, was man nun weiß, ist es ja nicht einfach, sie als Subjekt ihres Lebens zu zeichnen: Die Gnadenlosigkeit sich selbst gegenüber, mit der sie sich offenbar mit ihrem Leben abgefunden hat, muss man noch als ihre eigene Tat zu interpretieren suchen.
Auch hier wäre für Gefühle kein Raum. Stattdessen müsste Hannelore Kohl mit einer geradezu unglaublichen Kälte des Verzichts ausgestattet sein, mit einer eisenharten Zähne-zusammenbeißen-und-durch-Mentalität. Neben Helmut Kohl, dem Pfälzer, erschiene sie als unbedingter Pflichtmensch, preußisch geradezu. Zugleich ließe sich das Paar Kohl aber auch als Gegensätze, die sich anziehen, beschreiben: Helmut Kohl als Taktiker des äußeren Machterhalts, Hannelore Kohl als ihm in der Konsequenz durchaus ebenbürtige Kämpferin um den inneren Machterhalt sich selbst gegenüber – bis in den Tod hinein.
Um das wirklich zu verstehen, muss man wohl in die Phase ihrer frühen Prägungen zurückgehen, vor allem natürlich in ihre Sozialisation während der Nazizeit. Man müsste auf pädagogische Kältelehren zu sprechen kommen, auf erlittene und weitergegebene emotionale Verletzungen, auf psychische Strukturen, die auf Anpassung und Unterwerfung angelegt sind. Das wäre dann aber vermutlich der Punkt, an dem sich der Heldendiskurs wieder in nichts auflösen würde. Über den Kontext der Boulevardpresse, in der er gerade blüht, wird er sowieso kaum hinauskommen.
Der Opferdiskurs dagegen kann mit mehr Verständnis und Entgegenkommen auch bei den großen Teilen des Publikums rechnen, bei denen Helmut Kohls geistig-moralische Wende niemals angekommen ist. Tatsächlich liegt hier umfangreiches Material bereit, um einen Familienroman nachzuzeichnen, der ganz auf die Entfaltung des Mannes und den Verzicht der Frau aufgebaut ist – vom Zurückdrängen ihrer beruflichen Ambitionen über ihre Beschränkung auf den häuslichen Bereich bis hin zu ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit immer zwei Schritt hinter den großen Fußstapfen ihres Mannes.
„Ich verbrenne innerlich“: Wenn solche Sätze aus dem Mund von Hannelore Kohl, die nun als Schlagzeilen an die Öffentlichkeit kommen, nur einen halbwegs wahrhaftigen Einblick in ihren Seelenhaushalt offenbaren, wird hinter dem Familienroman ein geradezu idealtypisches Frauenschicksal aus der Vor-Emanzipations-Zeit sichtbar – bildlich eingefangen durch den Bungalow in Oggersheim, der ungeheuer modern wirken soll, spätestens auf den zweiten Blick aber klaustrophobische Anwandlungen auslöst. Dies Haus, so wirkt es auf Fotos, muss gar nicht erst gegenüber dem Tageslicht abgedunkelt sein, um wie ein Grabmal ehemals höherer Ambitionen zu wirken.
Trotz alledem bleibt allerdings der Eindruck bestehen, dass der Opferdiskurs nur mit halber Kraft gefahren wird, was nicht allein in der Pietät begründet sein dürfte. Es ist darüber hinaus auch so, dass die Lichtallergie hier wie eine Bremse wirkt.
„Auf Grund der Hoffnungslosigkeit ihrer gesundheitlichen Lage entschloss sie sich, freiwillig aus dem Leben zu scheiden.“ Indem das Büro Helmut Kohls noch am Tage des Selbstmordes diese Erklärung herausgab, baute es zugleich einen diskursiven Schutzschild vor dem Altkanzler auf. Immerhin existiert so ein Erklärungsmodell, das vollkommen depressionsfrei daherkommt. Wer Hannelore Kohl vollends als Opfer ihres Mannes, der familiären Strukturen, der Verhältnisse oder was auch immer zeichnen wollte, müsste dieses Modell herunterspielen. Um Raum für Gefühlsdispositionen und Seelenhaushalte zu gewinnen, müsste man also die manifesten Symptome negieren. Das scheint sich, obwohl die Lichtallergie zur Erklärung des Selbstmordes allein kaum ausreicht, bis in die letzte Konsequenz niemand zu trauen.
Es kommt noch etwas hinzu. Das gesteigerte Problem besteht nämlich darin, dass man es nie im Traum für möglich gehalten hätte, Hannelore Kohl irgendwann mit einem dieser Diskurse zusammendenken zu müssen. Mit dem Heldendiskurs natürlich schon gar nicht. Aber auch nicht mit dem Opferdiskurs. Bis vergangenen Donnerstag gehörte Hannelore Kohl zum scheinbar unverrückbaren Inventar der Bundesrepublik Deutschland. Man konnte sie ignorieren, sich an ihr abarbeiten, sich über sie lustig machen; aber dass es hinter ihrem Medienbild – das man eins zu eins bis in die Sphäre verlängerte, in der sie es verkörperte – eine wie auch immer geartete Geschichte geben könnte, das hätte man nicht erwartet.
So ist der Selbstmord geeignet, nicht nur, wie gemeldet wurde, den geplanten Fernsehzweiteiler zu gefährden, an dem Hans-Christoph Blumenberg gerade für die ARD sitzt. Er ist auch geeignet, die Abgrenzungsmechanismen zu erodieren, die man gegenüber der als ebenso spießig wie gefestigt angenommenen konservativ-bürgerlichen Vorortvillenwelt entwickelt haben mag. Auch bei den Kohls, so viel immerhin kann man aus der Sache lernen, arbeiteten also hinter dem Medienbild eine ganze Menge Konflikte. Die eigentliche Überraschung ist, dass das wirklich eine Nachricht ist.
Derzeit sind Rückblicke auf die Achtzigerjahre in. Wer in einem solchen diese Zeit als langweiliges Jahrzehnt beschreibt, kann die vergangenen Tage nicht recht aufgepasst haben.
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