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Fundis in Selbstauflösung

Im Herbst wird auch in der Union die Annäherung an die Lebenswirklichkeit Homosexueller beginnen: Wenn Eiferer wie Norbert Geis und Andreas Birkmann nicht mehr allein den Ton angeben, sondern liberalere Kräfte, die ihre Partei mit der Moderne auszusöhnen suchen – allein schon deshalb, um mehrheitsfähig zu werden

von JAN FEDDERSEN

„Das Elend der Kopisten“ war am 31. Juli ein Text in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung überschrieben, verfasst von Andreas Birkmann, CDU-Mitglied und Justizminister Thüringens. Am Vorabend der ersten Trauungen von Lesben und Schwulen in Deutschland argumentierte der Unionspolitiker in diesem Aufsatz gegen den rechtlichen Schutz homosexueller Partnerschaften.

Der Jurist, der namens seines Bundeslandes wie Sachsen und Bayern in Karlsruhe gegen das Gesetz zu Eingetragenen Lebenspartnerschaften klagt, bündelt abermals all das, was er für Argumente gegen ein eigenes familienrechtliches Institut hält – und das wenige Tage nachdem Karlsruhe den Antrag auf Einstweilige Anordnung, die Wirksamkeit des Gesetzes zum 1. August zu stoppen, abschlägig beschieden hatte.

Birkmann geht nicht so weit wie sein Parteifreund Norbert Geis, rechtspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Schwulen und Lesben generell die Fähigkeit zur Liebesbeziehung abzusprechen, ihnen gar die Verantwortung für die Ausbreitung von Aids zuzuschreiben. Aber auch Birkmann bleibt fundamental, wenn er behauptet, das Grundgesetz schütze Ehe und Familie und schlösse deshalb andere, nicht auf die persönliche Zeugung von Nachwuchs orientierte Beziehungen aus. Denn Familie, das wird auch der thüringische Politiker wissen, ist nach den Worten des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog überall da, wo Kinder sind (er meinte nicht: sein könnten) – also nicht in der Ehe der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel, jedoch in zahllosen Beziehungen von Homosexuellen.

Birkmann begreift, so lässt sich sein Essay summieren, die Ehe als Ziel aller Familienpolitik: Als bedürfte es einer Aufforderung an das Staatsvolk, sich doch zu paaren, wenn dessen Mitglieder es nur gemischtgeschlechtlich tun.

Der Witz an diesen Stellungnahmen – die extraabsurde von Geis lässt sich auf der CDU-Homepage nachlesen – ist nur: Sie gilt unter Spitzenpolitikern innerhalb der größten Oppositionspartei des Landes als nicht mehr majoritär. Und deshalb, was die eigenen Chancen anbetrifft, wieder regierungstauglich zu werden, als zukunftslos. Postulate Birkmann’scher oder Geis’scher Provenienz haben den Charme von Traktaten, von Erbauungsliteratur für einen Teil der Wählerschaft, dem beim Gedanken an Lebensformen außerhalb der klassisch-patriarchalischen Familie unbehaglich ist. Mehr noch: der sich gegen den Zeitgeist die Fünfzigerjahre zurückwünscht.

Dabei hat sich die Union längst darauf eingestellt, dass das Bundesverfassungsgericht spätestens im kommenden Frühjahr die von Bayern, Sachsen und Thüringen angestrengte Normenkontrollklage gegen das Gesetz im Sinne seiner Initiatoren, der rot-grünen Fraktionen im Bundestag, verwirft. Denn die Wirklichkeit hat die Union allenthalben erreicht. Nicht nur, dass Kommunalpolitiker wie Fritz Schramma in Köln oder Frank Steffel in Berlin um Stimmen in der Gay Community buhlen.

Vielmehr war ja schon auffällig, dass die Bundestagsfraktion der Union sich der Verfassungsklage nicht anschloss – mangels genügender Unterstützung. Die meisten glauben ja selbst nicht, was Geis & Co. so den ganzen Tag lang behaupten: dass staatlich abgesegnete Homopartnerschaften im Sinne eines Gegenleitbildes irgendeinen Heterosexuellen davon abhalten werde, zu tun, was er oder sie tun will – zu heiraten oder es zu lassen.

Kürzlich hat Wolfgang Bosbach, hinter Friedrich Merz mächtigster Mann in der Bundestagsfraktion der Union und ein Pragmatiker, wie es in diesem Job zwingend ist, in einem Brief an den Grünenpolitiker Volker Beck erkennen lassen, man könne über einzelne Passagen des Homoehengesetzes sprechen. Beck antwortete umgehend, alles könne beredet werden, nur dürfe es nicht hinter das Niveau des verabschiedeten Gesetzes zurückfallen. Im Herbst wird das Publikum erleben, dass die Union im Vermittlungsausschuss beginnen wird, ihre fundamentale Verweigerung aufzugeben, um einen Konsens zu erreichen: Nötigenfalls gegen die eigenen Hardliner wie Norbert Geis.

Diesen wird insbesondere dann wenig Spielraum bleiben, wenn erst einmal das Bundesverfassungsgericht die Eingetragene Lebenspartnerschaft als mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt haben wird. In diesem Falle kann die Union auch wieder politikfähig werden. Und das muss sie auch, wenn sie die von Gerhard Schröder okkupierte neue Mitte zurückerobern will: Ohne dieses Spektrum sind alle Mühen umsonst, die Hegemonie in der Bundesrepublik (und damit Regierungsfähigkeit) zu gewinnen. Homosexuelle zu attackieren, und seien es ihre Ansprüche auf Anerkennung ihrer Partnerschaften, gilt als gestrig, aggressiv und intolerant – also abschreckend: Damit mobilisiert man neonazistische Mobs, aber keine auf Einvernehmen orientierten Wähler der Mitte.

So viel zum Stand der Dinge. Aber muss es interessieren, was die Union so treibt, um in der Wirklichkeit anzukommen? Weshalb ist es wichtig zu registrieren, dass unionsgeführte Länder wie das Saarland oder Hessen nicht die gleiche homophobe Politik kultivieren wie Bayern? Und warum ist es, momentan jedenfalls, vergleichsweise irrelevant, was sozialdemokratische Länder wie Hamburg oder Niedersachsen in Sachen Homosexuelle zu sagen haben?

Weil die Haltungen von unionsgeleiteten Ländern Homosexuellen gegenüber Leitbilder des Hasses und der Aversion verkörpern. Und sobald diese aufgegeben werden (um eben der liberaler gesinnten Mitte Anschlussfähigkeit zu signalisieren), wird für die Integration von Schwulen und Lesben mehr gewonnen als mit (freundlich gemeinten und tatsächlich unverzichtbaren) Solidaritätsadressen von rot-grünen Politikern: Ablehnung hat dann keine Stimme mehr in Form einer mächtigen Partei.

Dieser, sagen wir: Mechanismus galt auch auf anderen Politikgebieten: Als die Wirtschaftsverbände zu verstehen gaben, dass sie auf hochqualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen sein werden, erschien Roland Kochs hetzerischer Wahlkampf gegen Ausländer selbst in Unionskreisen als unnachahmenswert. Ein viel früheres Beispiel: Die an die Sprache der Nazis erinnernde Hetze gegen Willy Brandt und seine Ostpolitik Anfang der Siebzigerjahre seitens der Union wurde auch durch Richard von Weizsäckers Minderheitenvotum erodiert – was dem gerade gewählten Kanzler Helmut Kohl half, die sozialliberale Ostpolitik fortzusetzen und auf Rücksichtnahmen auf Stahlhelmer in seiner Partei zu verzichten.

Gleiches galt, als die Union sich von ihrem Bild von der Frau (und von der Familie) verabschiedete: Noch Mitte der Siebzigerjahre erschienen der Union Frauen, die auf einem eigenen Berufsleben bestanden, als verdächtig, undeutsch, unmütterlich. Frauen, die im Stern bekannten, abgetrieben zu haben, waren ihrem Verständnis nach Furien, mindestens nicht ernst zu nehmen. Erst Politiker wie Heiner Geißler (und später Rita Süssmuth) konnten ihrer Partei nahebringen, dass die Fünfzigerjahre nicht nur vorbei sind, gesellschaftliche Zustände wie damals auch nicht wiederzugewinnen sein werden. Ihr Engagement – in einer der konservativsten Parteien der Europäischen Union – war die Voraussetzung dafür, dass Bilder von einer modernen Familie nicht mehr als stigmatisierenswert galten. Mittlerweile gelten in dieser Partei Vorschläge für Ganztagsschulen und -kindergärten nicht mehr als verkappte Konzepte von Kommunisten, um die Kinder aus familiärer Obhut zu reißen.

Gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexuellen ist auf lange Sicht nicht zu haben, ohne von der Union mitgetragen zu werden. Weniger geht es dabei um Parteitagsbeschlüsse, um offizielle Goodwillgesten, obwohl die auch nicht zu verachten wären. Vielmehr wäre ein Verzicht auf Fundamentalismus von der Sorte des Norbert Geis wichtig, um den Hass innerhalb der christlich-konservativen Wählerschaft zu mindern.

Sie müssen es ja nicht gut finden, was Schwule und Lesben machen. Viel gewonnen wäre aber, wenn sie wenigstens nicht sabotieren, was auch ihr homosexueller Nachwuchs tun könnte. Sich das Jawort zu geben und füreinander einstehen zu können, um es christlich zu formulieren. Homosexualität wäre dann kein Gegenstand eines Kulturkampfes mehr. Homophobie wäre dann eine reine Privatveranstaltung. Die Betroffenen hätten am meisten davon. Eine Utopie: Sie könnten dann aus ihren Leben machen, was sie selbst nicht verhindern.

JAN FEDDERSEN, 44, ist taz.mag-Redakteur

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