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Archaische Attacke auf Hollywood

Im „Krieg der Worte und Bilder“ enthüllt sich ein kulturelles Dilemma des Westens: Seine Bilder sind verschlissen, seine Worte haben ihr Gewicht verloren

von KLAUS KREIMEIER

Wenn das, was wir seit dem 11. September erleben, als ein Krieg der Bilder zwischen Gut und Böse, Zivilisation und Barbarei zu lesen ist, hat das Böse, haben die Barbaren bisher einen Sieg nach Punkten errungen. Zugleich beschreibt der kulturelle Prozess der Menschheit, der von der Bilderschrift bis zu den algorithmischen Piktogrammen des Computers geführt hat, seit längerem eine merkwürdige Ellipse. Einen Weg zurück zu den „erschütternden Zeichen“, die – wie die Höhlenzeichnungen von Altamira oder die „Bildersprache“ der Apokalypse – ins kollektive Nervensystem zielen. Begreift man mit John MacArthur, dem Herausgeber von Harper’s Magazine, die Ereignisse als einen „Krieg der Logos und Symbole“, so ist einzuräumen, dass der Feind zur Zeit die weitaus eindrucksvolleren Logos produziert. Was ist geschehen?

Unbekannter Absender

In den ersten Wochen nach dem Anschlag auf die Twin Towers stand die Informationsgesellschaft vor einem informationstheoretischen Problem. Das Modell Sender-Botschaft-Empfänger schien außer Kraft getreten. Einigermaßen klar war den Interpreten nur der Adressat: die USA! Der Westen! Die Zivilisation! Der weltweit dominierende Kapitalismus! Unklar war die Botschaft, die furchtbare Zerstörung anrichtete und mehr als fünftausend Menschen mordete, aber von keinem Bekennerschreiben begleitet war. Und unbekannt war der Absender. Nur ein Abstraktum stand zur Verfügung: der „islamische Fundamentalismus“. Und unter den üblichen Verdächtigen ein hinlänglich berüchtigter Bösewicht: Ussama Bin Laden himself.

Konstruktionen, basierend auf Ideologemen und Erkenntnissen der Geheimdienste, ersetzten die Gewissheiten, die einem normalen Kommunikationsprozess Stabilität und „Sinn“ verleihen. Die Überraschung kam am Sonntag, dem 7. Oktober. Nach den Regularien der von Scholl-Latour bereits verabschiedeten Spaßgesellschaft fand an diesem Abend auf CNN – das heißt: alsbald auf allen anderen TV-Kanälen der Welt – ein Outing statt. Kein anderer als Bin Laden himself bekannte vor der Weltöffentlichkeit: Ja, ich bin der Bösewicht! Er sagte nicht: Ich habe das Word Trade Center zerbombt. Er sagte Schlimmeres: Ich werde den Westen vernichten! Und zwei Tage später ließ er den al-Qaida-Sprecher Suleiman Abu Gheith einen Satz sagen, auf den weder die Bush-Administration noch CIA oder FBI noch die Philosophie der Aufklärung und am allerwenigsten die Theorien der Postmoderne eine Antwort wissen: „Es gibt Tausende junge Menschen, die sich ebenso sehr nach dem Tod sehnen wie die Amerikaner nach dem Leben.“

Formal war das informationstheoretische Grundmodell wieder hergestellt. Der Absender hatte sich zu erkennen gegeben. Er hatte seine Botschaft, die als ein trans-politisches Bild der Zerstörung über die Welt hereingefallen war, in Sprache, in ein mündlich vorgetragenes Bekennerschreiben, mithin in Politik übersetzt. Politik? Ussama Bin Laden konstruierte für seine Botschaft ein außergewöhnliches Bild. Der Ikonographie der Beschleunigung, dem Bild der zusammenbrechenden Türme, das Hollywood übertrumpfte, ließ er ein Tableau aus archaischen Tiefen folgen: Der Prophet in felsiger Wüstenei, eingerahmt von zwei Jüngern – Idol einer neuen Generation von Märtyrern. Ein orientalischer Wahrsager, entschlossen, mit erhobenem Zeigefinger und sanfter Stimme der Menschheit die Leviten zu lesen. Ein Lehrer der letzten Dinge, ein mit dunkler Weisheit Geschlagener, ein Anachoret, der sich bedingungslos mit Gott im Bunde weiß und der falschen Welt, dem Tanz um das goldene Kalb mit gerechter Vernichtung droht. Ein Bild aus den imaginären Archiven der Gründerreligionen, eingespeichert im kollektiven Gedächtnis der Menschheit –und aller Leser von „Tausendundeiner Nacht“.

Ikone des Mordens

Der politische Clou bestand darin, dass sich Bin Laden eines modernen Speicherverfahrens, der Videotechnik, bediente, um seine Botschaft aufzuzeichnen und „just in time“, nämlich termingerecht nach Beginn der US-Luftangriffe auf Afghanistan, ins globale Informationsnetz einzuspeisen. Das brachte die Amerikaner auf die Idee, Bin Ladens archaische Rhetorik müsse, außer Propaganda, verschlüsselte Anweisungen an das weltweite Terroristennetz enthalten. Geheimdienste sind offenbar trainiert, auch die „große Erzählung“, das Märchen, die Bußpredigt und die mythische Rede als codierte Texte zu lesen und sie solange zu decodieren, bis sie mit ihnen etwas anfangen können. Diskurstheoretisch interessanter ist, dass die Terroristen mit ihrem zweiten „großen Bild“ – dem predigenden Bin Laden vor dem Felsgestein – den Text als Medium rehabilitiert und nach der monströsen Ikone des sprachlosen Massenmords das Wort in sein Recht gesetzt, ihm seine Macht zurückgegeben haben. Wie sich zeigt, ist der Westen auch auf diesem Feld ins Hintertreffen geraten. Demokratien sind redselig, aber nicht wortmächtig.

Einem demokratischen Führer nimmt man die erschütterte Rede, gar das markerschütternde Donnerwort nicht ab. In Kriegszeiten delegieren Demokratien den offiziellen Text an die Pressesprecher der Army. Es fällt auf, dass die Verlautbarungen des Pentagon seit dem Golfkrieg spröder, redundanter und im Ganzen nichtssagender geworden sind -– als wüssten die Sprecher, dass ihre Adressaten wissen, wie wenig die Angreifer über den Kriegsschauplatz wissen. Sie wissen so wenig, dass es schwierig geworden ist, Texte zu verfassen, die außer den von allen erwarteten Lügen auch die Einsicht in die Notwendigkeit der Lüge vermitteln –eine Grammatik, die Churchill, beispielsweise, noch glänzend beherrscht hat.

Die Kargheit der Worte entspricht der seit dem Golfkrieg und den Bomben auf Belgrad weit vorangeschrittenen Unsichtbarkeit des Schlachtfelds. Der Präsident der USA: „Viele unserer Siege werden unsichtbar bleiben.“ John MacArthur: „Das heißt natürlich im Umkehrschluss, dass niemand etwas über unsere Niederlagen und Fehler erfährt.“ In Bagdad saß noch Peter Arnett von CNN auf dem Dach seines Hotels und meldete die Einschläge der US-Raketen an seinen Sender und ans Pentagon. In Afghanistan hat der in Katar stationierte Sender al-Dschasira den Amerikanern das Monopol über das Feld der Wahrnehmung abgenommen – der Sender ist eine Art pluralistische Schaltzentrale unterschiedlichster arabischer und islamischer Diskurse mitten im Krisenherd von Nahost. Ein beträchtliches Korrespondenten-Netz liefert die News, und natürlich ist man auch mit Bin Laden vernetzt. Der Westen macht ja die Vernetzung vor. Aber er verliert an Boden. Vergeblich bat Colin Powell den Emir von Katar, Scheich Hamad Bin Chalifa al-Thani, al-Dschasira zu schließen. Inzwischen antichambriert, wie man hört, George Bush bei den Arabern um ein Interview.

Herrschaft über Bilder

Schleichend verlagert sich die Herrschaft über die Bilder. Der „große Text“ ist erst recht nicht verfügbar – oder er gerät in Konkurrenz mit dem patriotischen Logo schnell unter Generalverdacht. John MacArthur kritisierte nach den Terroranschlägen, dass Fox und CNN ständig die US-Flagge auf dem Bildschirm zeigten – schließlich handle es sich ja eigentlich nicht um Regierungssender. „Ich habe also vorgeschlagen, die Flagge durch die Bill of Rights’ zu ersetzen. Am nächsten Tag bekam ich mindestens 100 E-Mails der Art: Schade, dass Sie am 11. September nicht im World Trade Center waren.“

Das Beispiel enthüllt ein grundlegendes kulturelles Dilemma des Westens. Die großen Texte, die „erschütternden Zeichen“ wurden vom Logo, von den Werbe-„Banners“ der Websites verdrängt. Die amerikanische Flagge auf den Trümmern des Ground Zero signalisierte ein doppeltes Aufbäumen: gegen die erlittene Schmach und gegen den Verschleiß der Bildsprache durch die Monotonie der Audiovision. Aber dieses große Zeichen verschwand schnell von den Bildschirmen. Jetzt holt sich, meldet die Filmzeitschrift Variety, die US-Army bei Hollywoods Spezialisten für Action- und Katastrophenfilme Rat. Geht es um neue, nie gesehene Bilder für den „neuen Krieg“? Branchengerüchten zufolge handelt es sich eher um Planspiele: Hollywood soll der Armee bei der Analyse der „Drehbücher“ des Terrors, der taktischen und strategischen Winkelzüge Bin Ladens auf die Sprünge helfen. Seitdem im Filmparadies die digitalen Zauberer die Macht ergriffen haben, bilden Videospiele und andere Simulationen das Kettenglied zwischen Kino und Krieg.

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