: Mit B-52 auf Verbrecherjagd?
Moderation STEFAN REINECKE und HEIDE OESTREICH
taz: Herr Nassauer, heute demonstriert die Friedensbewegung gegen die Angriffe auf Afghanistan. Aber ist es nicht legitim, dass die USA die Täter des Anschlags vom 11. September dingfest machen wollen?
Nassauer: Doch, das ist legitim. Verbrecher müssen bestraft werden. Aber das ist erst mal eine polizeiliche und keine militärische Aufgabe. Wenn Militär als Alternative zur Polizei zum Einsatz kommen soll, besteht immer die Gefahr, dass aus rechtlicher Ahndung Rache wird.
Herr Breuer, kann man mit B-52-Bombern Kriminelle fangen?
Breuer: Das kann man sicherlich nicht. Aber man kann mit Raketen die militärische Handlungsfähigkeit der Taliban und von al-Qaida erheblich einschränken und ihre logistische Basis schwächen.
Das moralische Problem bleibt: Wie viele zivile Opfer will man in Kauf nehmen, um den Anschlag in New York zu vergelten?
Breuer: Es geht nicht um Vergeltung. Es geht nicht um eine Aufrechnung der Opfer. Das wäre billig. Es geht um die Frage, wie viele potenzielle Opfer Nichthandeln fordern kann. Al-Qaida hat ja neuen Terror angedroht. Das können wir nicht ignorieren. Wer nicht handelt, macht sich schuldig.
Nassauer: Wir sind uns doch einig, dass wir handeln müssen, dass wir zum Beispiel die Finanzquellen der terroristischen Netzwerke trockenlegen müssen. Aber mit Bomben wird man des Terrors nicht Herr. Im Gegenteil. Man schafft zusätzliche Gefahren, Kriegsgefahren. Ein internationaler Polizeieinsatz, von der UNO gebilligt, das wäre verantwortungsvolles Handeln.
Breuer: Das ist doch Spiegelfechterei.
Nassauer: Nein.
Breuer: Wie wollen Sie denn mit Polizeikräften al-Qaida ausschalten?
Nassauer: Die GSG-9 in Mogadischu, das war doch ein effizienter Einsatz. Was Bush nun tut, birgt große Eskalationsrisiken. Was geschieht, wenn es noch viel mehr zivile Opfer gibt? Was, wenn eine Reihe islamischer Staaten unter massiven inneren Druck gerät? Was, wenn andere Staaten in den Konflikt hereingezogen werden? Das ist Schuldigwerden durch falsches Handeln.
Breuer: Sie argumentieren fatalistisch, mit Ängsten. Richtig ist: Es gibt die Gefahr einer Eskalation. Deshalb reagieren wir, deshalb wird alles getan, um die Lage in Pakistan zu stabilisieren. Es geht aber um realistische Einschätzungen, nicht um wüste Vermutungen, mit denen man den Leuten Angst macht.
Und: Die Idee, mit Polizeieinheiten Bin Laden im afghanischen Gebirge mit einem Haftbefehl dingfest zu machen, ist doch naiv. Bin Laden kann man nur militärisch bekämpfen, indem man seine Basis zerstört und versucht, die Taliban zu spalten. Und das hat auch Erfolg: Es gibt ja schon die ersten Überläufer.
Nassauer: Was Sie sagen, ist typisch. Das Beste, was uns einfällt, wenn uns nichts einfällt, ist Militär – anstatt nachzudenken, welche anderen Mittel es gibt.
Breuer: Und die Taliban sind ein humanitäres Regime?
Nassauer: Unsinn. Es gibt doch einen offenkundigen Mangel an zivilen Instrumenten, etwa an einer verbindlichen, überkulturellen Rechtsprechung. Uns fehlt ein internationaler Strafgerichtshof, der Terroristen, die aus einer anderen als der christlichen Kultur kommen, legitimiert und akzeptiert verurteilen könnte.
Die UNO hat den Angriff auf Afghanistan abgesegnet. War das ein Fehler?
Nassauer: Die UNO hat den Anschlag vom 11. September als „bewaffneten Angriff“ bezeichnet – und das ist riskant. Denn daraus folgt, dass die USA das Recht haben, sich militärisch zu verteidigen. Doch die Waffen waren Passagierflugzeuge, und der Akteur war kein Staat. Es war also kein klassischer militärischer Angriff eines Staates auf einen anderen Staat im Sinne der UNO-Charta. Die UNO verändert also derzeit ihre eigene völkerrechtliche Grundlage.
Breuer: Aber der Sicherheitsrat ist von dieser alten Definition – dass ein Staat einen anderen Staat angreift – schon öfter abgewichen: Er hat auch Beschlüsse zu inneren Konflikten gefasst. Wir haben es also mit rechtssetzendem Handeln zu tun, das durch neue Herausforderungen erzwungen wird. Und das ist in diesem Fall überzeugend: Die militärischen Einsätze in Afghanistan sind ja kein Krieg. Sie zielen auf militärische Anlagen. Und das entspricht genau dem Beschluss des UNO-Sicherheitsrats: Die Schuldigen und die, die sie unterstützen, sollen zur Rechenschaft gezogen werden.
Nassauer: Die Praxis der UNO hat sich schleichend verändert – und zwar in Richtung Intervention. Es gibt aber keine gemeinsame Konvention, die festlegt, wann das legitim ist. Vielmehr haben die USA die UNO gedrängt, einzelnen Staaten oder der Nato das Handeln zu überlassen.
Breuer: Aus gutem Grund. UNO-Missionen sind oft genug gescheitert.
Nassauer: Dann muss man bessere Missionen möglich machen – anstatt durch Beitragsschulden die UNO zu schwächen und zu Alleingängen zurückzukehren.
Breuer: Aber man kann den Amerikanern heute doch keinen Alleingang vorwerfen: Sie haben auf der ganzen Welt geworben und eine Anti-Terror-Koalition geschmiedet O auch mit islamischen Ländern. Sogar so problematische Führer wie Arafat und Chatami sind offensichtlich sensibilisiert. Das heißt, der Militäreinsatz ist politisch eingebettet.
Also alles okay? Bleibt die Frage, ob Bin Laden auch der Täter ist. Reichen die Beweise?
Nassauer: Nein. Bin Laden und al-Qaida sind im Westen Symbole für den Terrorismus. Es gibt zahlreiche andere Gruppierungen, von denen einige sicher auch das Potenzial hätten, Anschläge wie in New York und Washington durchzuführen. Bin Laden ist für die öffentliche Rechtfertigung dessen, was der Westen nun tut, die geeignetste Figur. Deshalb spielt es keine große Rolle, ob die Beweise reichen oder nicht. Ich zweifle, ob sie gerichtsverwertbar wären . . .
Breuer: Geeignet oder nicht – Bin Laden ist vor allem eines: die schuldige Figur.
Nassauer: Woher wissen Sie das? Kein unabhängiges Gremium, kein Gericht, kein Tribunal hat die konkreten Beweise der USA bisher prüfen können. Und ich erinnere an den Anschlag von Oklahoma: Da glaubten auch viele lange, dass die Tat auf das Konto von Islamisten ginge. Zu Unrecht.
Breuer: Sie machen sich aber große Sorgen, dass bin Laden Unrecht geschehen könnte . . .
Nassauer: Nein, ich mache mir Sorgen, dass wir vorschnelle Schlüsse ziehen, dass wir unter dem Eindruck des 11. September zu rasch, zu radikal, zu alarmistisch handeln. Das betrifft flexibel handhabbare Interventionen auf UNO-Ebene – und im Innern die Einschränkung von Freiheitsrechten. Es kann gut sein, dass uns beides in zehn Jahren bitter Leid tun wird. Wehrhaft ist eine Demokratie, wenn sie auch in Krisen nicht überreagiert.
Breuer: Gut, aber ich kann momentan wirklich keine Überreaktion erkennen. Die Bekämpfung des Taliban-Regimes und von al-Qaida, die humanitäre Hilfe, der Versuch, die Finanzquellen der Terroristen zum Versiegen zu bringen, die Initiative der Weltbank zur Armutsbekämpfung – wo ist die Überreaktion?
Das Gleiche gilt im Innern: Die Grundlage westlicher Demokratie, die Freiheitsrechte des Individuums, die die Überlegenheit des Westens verbürgen, ist nicht in Gefahr. Es gibt allerdings Zumutungen für die Bürger, etwa die Rasterfahndung. Das stimmt. Aber in der Bevölkerung wächst die Zustimmung zu beidem: zu den Militärschlägen und zur Rasterfahndung.
Sehen Sie, auch wir, auch die CDU, geht doch nicht leichtfertig mit Krieg und Frieden um. Das haben Umfragen gleich nach dem 11. September gezeigt: Auch die Klientel der CDU, gerade Ältere, hatte schlimme Befürchtungen. In Deutschland hat das Trauma des Zweiten Weltkriegs noch immer Prägekraft. Und gleichwohl wächst die Zustimmung zu der Aktion in Afghanistan. Und zwar auch, weil hierzulande kein Politiker mit dem Säbel rasselt. Wer das tut, zum Beispiel spekulierend wie Scharping, macht sich unbeliebt in Deutschland.
Herr Nassauer, wenn das so ist, wenn hierzulande Volk und politische Klasse so gut harmonieren – wozu dann noch Friedensdemos?
Nassauer: Na ja, das Gleiche hat Herr Breuer auch in den 80er-Jahren schon gesagt – und damals war das Volk zu hunderttausenden auf der Straße. Wer heute demonstriert, zeigt, dass er Sorge hat, dass der Konflikt eskaliert. Zweitens zeigt er, dass die Weltwirtschaftsordnung eine Ursache für Terrorismus ist, drittens, dass innere Sicherheit die Freiheit nicht zerstören darf. Drei gute Gründe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen