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berlin: spd will ampelDumme Westler, trotzige Ostler

Von der Berliner SPD kann man derzeit etwas lernen – wie man effektiv Anti-West-Ressentiments im Osten verstärkt. Dazu muss man jenen 47 Prozent Ostberliner PDS-Wählern das Gefühl geben, dass man sie nicht braucht. Aber das reicht nicht: Um alle Ost-Klischees vom ignoranten Westen zu bedienen, führt man sie vorher noch an der Nase herum. Und dann muss man die Absage an Rot-Rot auch noch miserabel begründen.

Kommentarvon STEFAN REINECKE

Seit der Wahl hat Klaus Wowereit viel Ungefähres von sich gegeben, doch ein Kernsatz, ein Versprechen blieb: Entscheidend ist nicht, was Kanzler Schröder will, sondern was sinnvoll für Berlin ist. Das ist in einer föderalen Republik eigentlich selbstverständlich. Und genau das gilt nicht mehr. Schröder will, mit Blick auf die Bundestagswahl 2002, kein Rot-Rot in Berlin. Berlin braucht aber Geld vom Bund – und das bekommt es nur ohne PDS. Geld gegen Wohlverhalten – ist es übertrieben, das Erpressung zu nennen?

Schröder hat, ganz pragmatisch, getan, was Roland Koch und Friedrich Merz angedroht hatten: PDS-mitregierten Ländern einfach das Geld zu kürzen. So mobilisiert man zielsicher ostdeutschen Trotz. Die Sondierungsgespräche mit der PDS hätte sich die SPD eingedenk dieser Machtverhältnisse jedenfalls sparen können. Mehr noch: Warum hat Berlin eigentlich neu gewählt, wenn am Ende sowieso die Ampel herauskommt?

Kein Missverständnis: Die PDS hat kein zwingendes Recht zum Regieren – auch mit 47,6 Prozent im Osten nicht. Aber die PDS-Wähler haben das Recht zu erfahren, warum die SPD glaubt, ihre Ziele besser mit der Ampel als mit Rot-Rot verwirklichen zu können. Das wäre rationale Politik – das fehlt. Denn Rot-Rot ist nicht an Sachfragen gescheitert, sondern an Schröders Einspruch.

Nun kommt also die Ampel – und sie wird wackeln. In der Verkehrspolitik verbindet Grüne und FDP ungefähr so viel wie Pädophile und Kinderschutzbund. Zudem wird die Ampel aparterweise gegen PDS und CDU, gegen das „authentische“ West- und Ostberlin, regieren. Dass die Ampel im Osten gegen die PDS den nötigen Sparkurs durchdrückt, darf man bezweifeln.

Rot-Rot hätte die PDS zu einer Sparpolitik gezwungen, die sie auch gegen die eigene Klientel hätte durchsetzen müssen. Dieser Kelch ist nun an ihr vorübergegangen. Insofern ist die PDS, Verlierer im Machtspiel, der geheime Sieger. Das ist die Ironie der Situation. Der wirksamste Verbündete der PDS ist noch immer die Dummheit der Westler.

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