: Wie behalte ich diesen Tisch?
Was Sie tun und was Sie lassen sollten, wenn Sie in diesen stürmischen Zeiten Bundeskanzler bleiben wollen: Von Weltpolitik bis Vertrauensfrage
von HEIDE OESTREICH und PATRIK SCHWARZ
Entspannen Sie sich. Wenn bei dieser Abstimmung etwas sicher ist, dann das: Sie bleiben Bundeskanzler. Mindestens bis 2006. Oder bis 2010. Und danach: Schaun wir mal.
Die Vorbereitung
1. Drängen Sie in die Weltpolitik. Natürlich müssen Sie etwas zu bieten haben. Zum Beispiel den einen oder anderen Schläfer, der international aktiv wird. Ihr Geheimdienst darf also nicht allzu effektiv arbeiten. Schließlich hat das amerikanische FBI von den Anschlägen in New York und Washington auch nichts geahnt.
2. Erklären Sie Ihre uneingeschränkte Solidarität, sobald die Terroristen zugeschlagen haben. Lancieren Sie über „Insiderkreise“, dass Sie damit nur Einfluss auf die unberechenbare amerikanische Vergeltungspolitik gewinnen wollen. Und lassen Sie ein paar graue Strähnen durchschimmern, wenn Sie das nächste Mal die Haare färben. Das erhöht den Staatsmannfaktor.
3. Geben Sie sich immer voll informiert. Sie wissen auch nicht, was die USA vorhaben? Macht nichts. Berufen Sie sich einfach auf die Staatsräson. Sie dürfen halt nichts sagen, weil Sie sonst das Leben der Soldaten gefährden. Aber erinnern Sie Ihren Kanzleramtsminister daran, dass er sich ein Ersatzhemd ins Büro hängen soll. Damit er nicht wieder im T-Shirt vor der Presse steht, wenn Sie von den amerikanischen Luftangriffen in Afghanistan überrascht werden. Und wenn doch mal jemand merkt, dass Sie in Washington nichts zu melden haben? Dann benutzen Sie einfach die Formulierung Ihres Außenministers: „Wir haben die Strategie der Amerikaner nicht zu kritisieren.“ Klingt nicht schlecht, oder?
4. Bringen Sie die Innenpolitik auf Vordermann. Sie haben sich über das Thema noch keine Gedanken gemacht? Egal, Sie ziehen einfach die alten Wunschlisten von Manfred Kanther aus der Schublade. Ihr Innenminister Otto Schily ist mit Sicherheit dabei. Und vergessen Sie nicht, die PDS-Sozialisten zu Staatsfeinden zu erklären. Setzen Sie alle Mittel ein, um Ihre Berliner Parteifreunde von einer rot-roten Koalition abzubringen.
5. Fahren Sie nach New York – aber nicht zu früh. Wahren Sie immer die Balance. Wenn Sie am Ground Zero stehen, dürfen Sie ruhig Betroffenheit zeigen – aber lassen Sie keine Träne übers Gesicht kullern. Wahren Sie auch das rechte Maß, wenn Sie die Kriegsgegner diffamieren. Den militärischen Sachverstand von Grünen-Chefin Claudia Roth dürfen Sie ruhig in Frage stellen – wenn Sie gleichzeitig beteuern, dass Sie ja gar nichts gegen politische Lösungen für Afghanistan einzuwenden haben.
6. Sorgen Sie dafür, dass die Bundeswehr mal ordentlich in den Krieg ziehen darf. Der amerikanische Verteidigungsminister hat gar nicht so konkret angefragt? Nicht so schlimm, ausnahmsweise kann Rudolf Scharping Ihnen weiterhelfen: Seine Liste, was die marode Truppe überhaupt zustande bringt, ist ziemlich kurz. Da haben Sie schon Ihre konkrete Liste – auch ohne die Hilfe der Amerikaner. Jetzt müssen Sie nur noch den Ernst der Lage beschwören.
7. Disziplinieren Sie den Koalitionspartner. Zuckerbrot und Peitsche sind angesagt. Es geht doch nur um die „Bereitstellung“. Über den konkreten Einsatz entscheiden Sie gemeinsam mit Joschka Fischer – da sind die Grünen also mit im Boot. Vergreifen Sie sich bloß nicht in der Wortwahl: „Ermächtigung“ weckt die falschen Erinnerungen. Damit die Grünen nicht übermütig werden, treffen Sie sich mit FDP-Chef Guido Westerwelle. Ganz geheim, versteht sich. Die Abweichler in den eigenen Reihen können Sie dann ignorieren. Westerwelle hat Ihnen seine Unterstützung schließlich zugesagt. Und über die CDU machen Sie sich erst mal keine Gedanken, solange sie mit sich selbst beschäftigt ist.
8. Wenn Sie damit Schiffbruch erleiden, setzen Sie Plan B in Kraft. Die Kritik in der eigenen Fraktion wird zu laut, das Echo in der Presse ist vernichtend? Gehen Sie in die bundesrepublikanische Geschichte ein, indem Sie die Vertrauensfrage stellen. Natürlich verknüpft mit der Entscheidung über den Einsatz. Fragen Sie schon mal bei Joschka an, ob er vielleicht die Partei wechseln kann. Mit einem rückständigen Traditionsverein kennt er sich ja aus.
Die Abstimmung
9. Karren Sie Kranke und Schwangere heran. Jeder, der bei der Abstimmung nicht anwesend ist, gefährdet Ihre Kanzlermehrheit. 334 ist die magische Zahl, so viele Jastimmen brauchen Sie. Fehlen Ihnen acht Abgeordnete aus den eigenen Reihen, egal aus welchen Gründen, ist Ihre Mehrheit futsch. Selbst wenn der Afghanistankrieg vielen Sozialdemokraten Bauchschmerzen bereitet – niemand darf sich mit Bauchschmerzen abmelden. Ihre Fraktionskollegin Nina Hauer, die kurz vor der Entbindung steht, soll damit noch einen Tag warten.
10. Ermuntern Sie die Kriegsgegner zum Mandatsverzicht. Räumt ein Neinsager seinen Stuhl, hat der Bundestag plötzlich nur noch 665 Mitglieder – bis der Nachrücker feststeht. So lange liegt die Kanzlermehrheit bei nur 333 Stimmen. Wie lange es dauert, einen Nachrücker aufzutreiben, wusste gestern niemand. Wenn’s ganz eng wird, kann Sie das also retten.
11. Beten Sie, dass Ihnen nicht ein Irrer aus der Opposition seine Stimme gibt. Ihr Recht, Neuwahlen zu beantragen, wäre dann erst mal flöten – schließlich haben Sie im Parlament die Mehrheit, und da kennt die Verfassung kein Pardon. Aber das Vertrauen Ihrer eigenen Leute haben Sie trotzdem nicht. Da können Sie nur noch zurücktreten. Und die Union hat durchaus ein Interesse, schnelle Neuwahlen zu verhindern. Außerdem: Irre gibt es immer.
12. Halten Sie einen allerletzten Gimmick für den Schluss bereit. Bringen Sie den Dalai Lama heute früh um neun zu Ihrer Rede mit. Wenn der Tibeter seine uneingeschränkte Solidarität mit Gerhard Schröder verkündet, wird selbst Christian Ströbele weich.
Die Neuwahl
13. Bleiben Sie Kanzler – egal, welche Parteien unter Ihnen koalieren. Rufen Sie Guido an und genießen Sie es, wie er nach der Macht hechelt. So schwach, wie die CDU ist, muss er ja mit Ihnen koalieren. Das sollten Sie ihn spüren lassen. Für Sie geht der Spaß damit erst richtig los. Neuwahlen sind ohnehin spannender als Regieren in der Wirtschaftsflaute. Und im Krieg fällt die schlechte Konjunktur viel weniger auf als bei einer Wahl im Herbst nächsten Jahres.
14. Vergessen Sie den Stoiber nicht. Das ist doch der Gegner, den Sie sich immer als Herausforderer gewünscht haben. Je wilder der Wahlkampf, desto einiger stehen Ihre Sozen zu Ihnen. Dabei hat Stoiber bis zuletzt versucht zu kneifen. Aber wenn am 3. Februar 2002 gewählt wird, muss er ran. Und falls alles ganz schlimm kommt mit Bin Laden, machen Sie den Edi eben zum Außenminister. Große Kriege erfordern große Koalitionen.
15. Bereiten Sie schon mal Ihre sozialliberale Regierungserklärung vor. Die Ökosteuer muss wieder weg, den Atomausstieg strecken Sie bis zum Jahr 2080, und ansonsten machen Sie weiter wie bisher. Zuwanderung, Homoehe, Krieg – mit Guidos Liberalen kein Problem.
16. Vergessen Sie Ihre alten Freunde nicht. Schlagen Sie Joschka als Schirmherrn der Internationalen Gartenbauausstellung 2003 in Rostock vor. Da meckert er? Es gibt auch noch die Bundesgartenschau 2005 in München.
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