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„Hamburgs ältester Schüler“

■ Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) im taz-Interview über PISA und die Folgen, frühe Bildung und die Gesamtschule auf dem Prüfstand, den Aufschub bei der Kita-Card und den Schrei nach „fresh Money“

taz: Wie war eigentlich Ihre Schulzeit?

Rudolf Lange: Prägend war sicher mein erster Lehrer an der Grundschule Kielortallee. Der hat sehr dazu beigetragen, dass ich so außerordentlich gerne zur Schule gegangen bin.

Und das blieb so?

Nein, in der Oberstufe wurde es etwas schwierig, weil meine Interessenlage sich da von der Schule abgewandt hat. Und so habe ich auch erst nach 14 Jahren Abitur gemacht.

Und heute sollen es Schüler nach zwölf Jahren schaffen?

(lacht) Ich sage im Spaß, wir geben zwölf Jahre vor, damit alle Schüler es nach 13 Jahren schaffen.

Gibt es Ideen für ihre Arbeit als Senator, die sie aus ihrer Schulzeit ableiten?

Ich denke, Schüler könnten mehr in Vereine eingebunden werden. Denn mir haben immer die außerschulischen Aktivitäten wie Handball oder das Spielen in der Band viel Spaß gemacht, ich habe dort wichtige Erfahrungen gesammelt.

Diese Idee ist nicht sehr neu.

Nein, aber ich erzähle das, weil ich den Eindruck habe, dass viele Kinder heute allein gelassen werden, dass sie Sozialverhalten, Rücksichtnahme, Toleranz nicht erleben. Ich glaube, wenn alle jungen Leute es so schön hätten wie ich damals, hätten sie vielleicht weniger Probleme.

Wollen Sie personell an der Spitze ihrer Behörde noch etwas ändern? Es war von Meinungsverschiedenheiten mit ihrem Staatsrat Lange zu hören.

Nicht alles, was geschrieben wird, stimmt.

Was sind die drängendsten Probleme an Hamburgs Schulen?

Das, was wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben. Wir haben gleich in der ersten Woche bei einer Klausur überlegt, welche Schritte wir einleiten müssen. Parallel liefen die Haushaltsberatungen, in denen wir sofort die personelle Verstärkung für die Schulen eingeleitet haben, so dass wir alle geeigneten Bewerber aus dem Studienseminar übernehmen können.

Sie haben den Referendaren versprochen, dass sie weniger bedarfsdeckend unterrichten müssen. Wiewiel?

Das kann ich noch nicht sagen.

Ist dies in den 180 neuen Stellen, die sie schaffen, enthalten? Oder reichen die gerade, um steigende Schülerzahlen abzudecken?

Das ist enthalten.

Welche Konsequenzen ziehen Sie aus PISA und LAU?

PISA untermauert drastisch, dass sich am deutschen Schulsys-tem etwas ändern muss, beispielsweise beim Heranführen an das Lesen als Schlüsselqualifikation. Ändern müssen wir etwas bei der Intensivierung der vorschulischen Lesekompetenz-Ausbildung, in den Grundschulen, aber auch bei der Lehrerausbildung an den Hochschule, die praxisorientierter werden soll. Lernen muss wieder outputorientierter sein. In Deutschland ist der Lernprozess zu inputorientiert.

Muss das Lernen nicht viel früher beginnen?

Natürlich. Außerdem wollen wir mit der Sprachförderung für Kinder nichtdeutscher Muttersprache schon im Vorschulbereich beginnen. Und: Wir wollen die Kita-Gebühren langfristig abschaffen. Es ist ja nicht einzusehen, dass man unentgeltlich studieren kann, aber dort, wo Bildung anfängt, etwas zahlen muss.

Aber für 2002 gibt es keine Absenkung der Kita-Beiträge?

Das stimmt. Aber wir werden sie 2002 auf den Weg bringen.

Und was wird aus den 20 Millionen Mark, die Bürgermeister Ortwin Runde den Privatschulen kurz vor der Wahl versprochen hat?

Es war sowieso vorgesehen, dass die erst ab 2003 zum Tragen kommen sollten. Aber wir tun mehr für die Privatschulen als die Vorgängerregierung, indem wir für den Bereich Bildung ein Investitionsprogramm von 10 Millionen Euro auflegen, davon sind 1,5 Millionen für Privatschulen vorgesehen. Und außerdem werden wir das Privatschulgesetz unter die Lupe nehmen und erhebliche Schritte unternehmen, um private und staatliche Schulen gleichzustellen, denn wir wollen grundsätzlich mehr Wettbewerb zwischen allen Schulen.

Sie wollen Eltern die Wahl der Grundschulen freistellen. Kommt es dabei nicht zu Restschulen?

Die Gefahr von Schultourismus sehe ich nicht, denn schon jetzt gehen 15 Prozent nicht in ihren Sprengel. Wir wollen die Schulgebietsgrenzen aber nicht komplett auflösen, denn wir müssen gewährleisten, dass wir alle Kinder regis-trieren. Deshalb muss sich auch künftig jeder zunächst bei der Schule anmelden, wo er wohnt. Aber wir wollen flexibler sein, wenn es um die Begründungen geht, warum jemand nicht dort zur Schule gehen will.

Fürchten Sie nicht, dass Restschulen bleiben, die dann besonderer Unterstützung bedürfen?

Ich möchte, dass alle Schulen gleiche Standards erfüllen. LAU macht eindrucksvoll klar, wie sich alles zur Mitte bewegt. Wir wollen Anreize schaffen, dass alle Schulen interessant genug sind. Aber wenn Schulen keine zahlenmäßige Existenzberechtigung haben, weil sich nur elf Schüler für die erste Klasse anmelden, muss man sich fragen, ob wir uns leisten können, so ineffektiv zu wirtschaften.

Und die Schule schließen?

Ja.

Testsieger bei PISA ist unter dem Strich Finnland, ein Land der Ganztags- und Gesamtschulen. Stimmt Sie das nachdenklich?

Es darf sich jetzt nicht jeder die Rosinen herauspicken, die er möchte. Es liegen auch Länder ganz vorne, die ein gegliedertes Schulsystem haben. Aber die Durchlässigkeit muss gegeben sein, das ist wahr. Auch für die soziale Mobilität müssen wir mehr tun.

Haben Sie eine Idee, wie?

Die Maßnahmen sollten nicht aus dem Ärmel geschüttelt, sondern sorgfältig erarbeitet werden. Das tun wir.

Doch sie wollen das Geld für Gesamtschulen absenken auf das Niveau der Haupt- und Realschulen.

Hat keiner gesagt. Wir wollen die Bevorzugung der Gesamtschulen beenden. Sprechen sie mal mit den Haupt- und Realschulen. Wie die ausgeblutet sind.

Gesamtschulen kosten jährlich 15 Millionen Mark weniger, weil es keine Sitzenbleiber gibt. Kann es sein, dass es doch keine Mittelverschiebung gibt?

Es wäre in meinem Leben neu, dass Veränderungen, die allgemein als notwendig erachtet werden, nicht auch von mir durchgesetzt werden.

Nun sind Gesamtschüler aber beim Abschluss auch im Schnitt ein halbes Jahr jünger als HR-Schüler.

Das ist ein Thema, das wir unter die Lupe nehmen werden.

Aber Sie bleiben bei der Absenkung?

Die Gesamtschule muss sich alle Fragen gefallen lassen, die wir anderen Schulsystemen auch stellen.

Sie wollen bei Vorschulkindern die Deutschkenntnisse testen. Was passiert, wenn die schlecht sind?

Zunächst mal hat das die Folge, dass man die Kinder mit sprachlichen Defiziten überhaupt identifiziert und die Zeit vor der Einschulung für ihre Förderung nutzen kann. Aber das muss in ein Konzept eingebunden werden. Es gibt ja Erkenntnisse darüber, dass Sprachförderung am besten über die Muttersprache passiert.

Dafür muss es Ressourcen geben, zusätzliche Kräfte, die in die Kitas gehen.

Da arbeitet die Behörde an Konzepten. Es gibt ja auch andere Ansätze. Mutter-Kind-Sprachkurse an Volkshochschulen zum Beispiel.

Bei der Kita-Card-Debatte wurde darum gestritten, ob Sprachförderung ein Kriterium für einen Ganztags-Platz sein soll, oder ob vier Stunden genügen. Was denken Sie?

Da habe ich mich noch nicht entschieden. Das ganze Paket der vorschulischen Bildung werde ich Anfang des Jahres angehen.

Werden sie die Kita-Card-Pläne von Rot-Grün übernehmen?

Das System enthält einige Komponenten, die wir übernehmen könnten. Es ist sinnvoll, Angebot und Nachfrage optimaler aufeinander abzustimmen. Meine Gedanken gehen weiter, aber wie das aussehen wird, das entscheiden wir im neuen Jahr.

Die SPD hatte einen massiven Platzausbau versprochen, der bis zu 150 Millionen Mark kosten sollte. Darüber haben sie noch kein Wort verloren. Glauben Sie, dass die vorhandenen Plätze reichen?

Ich äußere mich dann, wenn ich etwas sagen kann, das Chance auf Realisierung hat.

Es gibt die von ihrem Haus in Auftrag gegebene ISKA-Studie, die einen Bedarf von 16.000 neuen Plätzen prognostiziert.

Das werden wir alles gründlich, aber zügig prüfen, auch weil PISA einen deutlichen Hinweis gibt, dass Deutschland in der vorschulischen Bildung mehr tun muss. Ein Großteil der Kinder ist ja schon geboren. Deswegen wird sich feststellen lassen, wie viele Plätze wir brauchen. Ziel ist, die Kinder nicht nur in die Aufbewahrung zu geben. PISA liefert Argumente, dass Kinder in vorschulischen Lernsituationen eine für den weiteren Werdegang sehr wichtige Förderung erfahren.

Aber auch hier muss ich sagen, dass mir der Aufschrei nach „fresh money“ zu simpel ist. Wenn ich im Rahmen meiner Lernkurve – ich sage ja immer, ich bin der älteste Schüler Hamburgs – merke, dass es weniger kostet, wenn man es zum Beipiel den Trägern überlässt, bestimmte Bauten in Eigenregie vorzunehmen, dannsollte man das tun. Da gibt es ein großes Einsparpotenzial.

Ihre Senatskollegin Schnieber-Jastram hat gesagt, sie werde dafür sorgen, dass keine Frau wegen fehlender Kinderbetreuung auf ihren Beruf verzichten muss. Ist das auch Ihr Credo?

Ja. Da könnte man sich drauf verständigen. Interview:

Kaija Kutter / Sandra Wilsdorf

Foto: Henning Scholz

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