: „Propagandistische Vorbereitung“
Kultur- und Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) verbucht als Erfolg, dass er nicht ganz so viel sparen muss wie seine Kollegen. Vergleich von Finanzsenator Sarrazin mit niedrigeren Kulturetats von Hamburg und München sei nicht legitim
Interview: S. AM ORDE,R. ALEXANDER und J. KABISCH
taz: Herr Flierl, für Finanzsenator Sarrazin sind die Wahlversprechen kein Tabu mehr. Er will auch bei Bildung, Wissenschaft und Kultur drastisch sparen. Wie viel Kultur kann sich Berlin noch leisten?
Thomas Flierl: Diese Bereiche sollen nicht in gleicher Weise behandelt werden wie die anderen. In der letzten Senatssitzung haben wir festgelegt, dass bei Bildung, Wissenschaft und Kultur im Vergleich zu den anderen Ressorts nur mit halbem Prozentsatz gespart wird.
Ein persönlicher Erfolg?
Nicht nur. Das ist auch ein Erfolg von Bildungssenator Klaus Böger. Es ist vor allem ein Signal, dass der Senat auch trotz des jetzigen engen Sparkorsetts Prioritäten setzen will.
Der Finanzsenator hält die Kulturausgaben in der Hauptstadt für zu hoch und vergleicht sie mit Städten wie München und Hamburg. Ist das legitim?
Natürlich ist Berlin mit diesen Städten nicht vergleichbar. Aber diese Argumentation hat für den Finanzbeschluss des Senats keine Rolle gespielt. Der trägt der besonderen Situation Berlins Rechnung. Dass der Finanzsenator den Städtevergleich aufmacht, ist eine Art propagandistische Vorbereitung für die kommenden Diskussionen.
Was heißt der Beschluss konkret für Ihren Etat?
Das ist noch nicht klar, bisher ist nur das Prinzip verabredet.
Sie werden mehr als die bisher geplanten 18 Millionen Euro einsparen müssen. Wie wollen Sie da noch gestalten?
Es geht um strukturelles Sparen. Wir wollen aber Prioritäten setzen. Wenn Sie nach Gestaltungsmöglichkeiten fragen: Die freie Szene beispielsweise kann nicht warten, bis der Haushalt im Juni verabschiedet ist. Dann wären viele Projekte in Gefahr. Deshalb will ich dafür sorgen, diese Zuwendungen vorab für dieses Jahr zu sichern.
Also ran an die Hochkultur?
Hier müssen wir uns fragen, welche Strukturen wir dauerhaft finanzieren können. Wir brauchen eine Diskussion, in der wir uns über die wissenschaftlichen und kulturellen Potenziale Berlins einigen. Dazu gehört die Frage, ob wir zeitgemäße Strukturen haben, und wo wir bündeln, also konzentrieren.
An der Opernfusion sind alle Ihre Vorgänger gescheitert.
Gute Beobachtung. Hier ist die Gemengelage aber zu komplex und eignet sich bisher nicht für die öffentliche Diskussion. Klar ist: Es macht keinen Sinn, alle Einrichtungen gleichermaßen zu knebeln oder durch Zufallsentscheidungen einzelne Institutionen zu schließen. Wir haben das Problem, dass für eine solche Debatte, die intensiv und jenseits aller Lobby-Interessen geführt werden müsste, bei der aktuellen Haushaltslage nicht genug Zeit ist.
Ein Dilemma, das auch die Expertenkommission zur Zukunft des Uniklinikums Benjamin Franklin hat, die der Senat am Dienstag einsetzen will.
Diese Art von Problemlösung kann aus meiner Sicht für andere Bereiche exemplarisch sein. Sie steht aber zeitlich unter Druck.
Ist es exemplarisch, eine Expertenkommission einzusetzen und diese gleichzeitig mit so engen Vorgaben auszustatten, dass am Ende herauskommen muss, was die Koalition von Anfang an wollte – die Schließung der Uniklinik?
Im Gegenteil, das ist ein offener Prozess. Wir müssen strukturelle Einsparungen vorgeben. Ich habe aber dafür gesorgt, dass eine Konstellation politisch möglich wird, in der Alternativen ernsthaft erörtert werden. Wenn Betroffene mit Experten-Sachverstand selbst an die Strukturprobleme herangehen, schafft das ein höheres Maß an Rationalität als zuvor.
Die Betroffenen und Experten mussten aber zuvor die zu erreichende Einsparsumme akzeptieren: 98 Millionen Euro dauerhaft nach 2005. Ist damit die Schließung eines Klinikstandorts nicht unumgänglich?
Die Expertenkommission ist keine reine Legitimationsveranstaltung für einen bestehenden Beschluss. Die Annahme, die Vorgaben seien so gestrickt, dass keine Alternativen denkbar sind, finde ich zynisch.
Sie haben jetzt die beiden Universitäten und den Wissenschaftsrat mit eingebunden und erst mal befriedet. Clever.
Wir müssen Lösungsformen entwickeln, die von der Öffentlichkeit angenommen werden. Aber ich weiß nicht, was rauskommt. Das ist offen. Und ich glaube auch, dass alle Beteiligten, wenn auch mit unterschiedlichen Motivationen, so denken.
Wo sehen Sie denn Spar-Alternativen, Herr Flierl?
Man kann einen der beiden Standorte aufgeben, man kann aber auch aus den Fakultäten beider Unis eine selbstständige medizinische Hochschule machen. Oder eine dezentrale Kooperation der beiden Fakultäten vereinbaren. Ich denke, es gibt durchaus Chancen, beide medizinische Fakultäten zu erhalten.
Ihr Parteifreund, Wissenschaftsexperte Benjamin Hoff, ist skeptischer: Er hat große Zweifel, dass ohne die Schließung eines Standorts die festgeschriebene Einsparsumme zu erzielen ist. Muss die Charité dran glauben – zum Beispiel durch die Privatisierung des Bettenhauses in Mitte?
Der Beschluss, die Strukturen der Hochschulmedizin als ganze anzugehen, wird auch für die Charité eine Herausforderung sein. Die Frage der Entstaatlichung der Krankenversorgung beschäftigt Berlin seit langem …
… war bislang aber nicht Position der PDS.
Das ist durchaus ein Lernprozess. Wenn es betriebswirtschaftlich sinnvollere Formen gibt, sollten die auch einbezogen werden.
In der Öffentlichkeit hat in Sachen Hochulmedizin vor allem der Regierende Bürgermeister den – polarisierenden – Ton angegeben. Sie wirken eher wie der stille Begleiter.
Für den genauen Betrachter war die Rollenverteilung ganz gut wahrzunehmen, und die Betroffenen haben genau beobachtet ...
Eine Arbeitsteilung nach dem Modell good guy, bad guy.
… und insofern kann ich mit diesem Verständnis ganz gut leben, zumal die Vorlage, die jetzt beschlossen ist, von mir stammt. Und am Dienstag wird der Senat die Einsetzung dieser Expertenkommission aufgrund meiner Vorlage beschließen.
Wer wird in dieser Kommission sitzen?
Ich stehe mit dem Vorsitzenden des Wissenschaftsrats im Austausch über würdige Kandidaten, die wir am Dienstag hoffentlich bekannt geben können.
Sie sehen Ihre Hauptaufgabe darin, unterschiedliche Milieus aus Ost und West zusammenzubringen. In der Stadt wird Rot-Rot aber als Angriff der Ex-SED auf Westberlin verstanden.
Ja, alle gut gehüteten Vorurteile leben noch einmal sehr konzentriert auf: Die Gespenster des Kalten Krieges sind wieder da. Vielleicht, damit wir uns von ihnen ordentlich verabschieden können, bevor sie endgültig verschwinden.
Und diese Ängste wollen Sie mit drastischen Sparmaßnahmen im Westen abbauen?
Der Abbau von Ängsten beginnt damit, diese zu äußern. Wir nehmen diese Ängste ernst. Und in Westberlin wird sehr wohl wahrgenommen, wie wir agieren, etwa in der Auseinandersetzung um das Uniklinikum. Es ist doch erstaunlich, dass in der neuen Koalition die Fähigkeit, auf unterschiedliche Milieus zuzugehen, inzwischen eher der PDS zugeschrieben wird. Die PDS bemüht sich um die gesellschaftliche Verständigung in ganz Berlin. Die SPD sollte sich dieser Aufgabe auch verbunden fühlen.
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