Ein Tempelhofer als Staatsmann

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat im Bundesrat das letzte Wort über das hoch umstrittene Zuwanderungsgesetz. Und winkt es nüchtern durch. Die CDU nennt ihn nach der Abstimmung eine „Schande für Berlin“

von STEFAN ALBERTI

Es ist früher Nachmittag, als ein altgedienter Kommunalpolitiker aus dem Berliner Süden Politgeschichte macht. Elf Jahre hat sich Klaus Wowereit als Tempelhofer SPD-Stadtrat um Vorortbildung gekümmert. Neun Monate nach seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister erklärt er nun als Bundesratspräsident das Zuwanderungsgesetz, das umstrittenste Gesetz des Jahres, für beschlossen.

Sachlich, ohne unpassendes Lächeln, das Grundgesetz auslegend, führt er, der Jura-Absolvent der FU, die Länderkammer durch eine verfassungsrechtliche Ausnahmesituation. Nur einer seiner Vorgänger musste vor 53 Jahren mit einer solchen Lage fertig werden, als zwei Vertreter eines Bundeslandes uneinheitlich abstimmten, was die Geschäftsordnung nicht vorsieht.

Beim Nachwuchs seiner Partei jubeln sie inzwischen. Die Jusos haben am Vormittag gegenüber dem Bundesrat einen Schlagbaum aufgebaut, zeigen auf einem Plakat einen Stoiber im Trachtenanzug und schreiben darunter: „Alle Menschen sind Ausländer – fast überall“.

Rund hundert Meter weiter hat sich am Potsdamer Platz eine weitere Gruppe versammelt. Vertreter von Flüchtlingsgruppen protestieren hier gegen das Gesetz. Der rot-grünen Bundesregierung werfen sie vor, hinter den Erwartungen zurückzubleiben. „Nichts gewagt, nichts gewonnen“ ist ihr Motto. Nach dem Gesetz seien letztlich nur noch jene Migranten erwünscht, die wirtschaftlichen Nutzen versprechen, kritisiert Siegfried Pöpel vom Flüchtlingsrat Berlin.

In dem sandfarbenen Bundesratsgebäude ist der Regierende Bürgermeister nach seiner Entscheidung der Buhmann für die CDU. Verfassungsbruch werfen ihm die Christdemokraten vor, das Bundesverfassungsgericht wollen sie anrufen, von einer Verfassungskrise sprechen sie. Wowereit aber lässt sich nicht provozieren. Seine Wortwahl bleibt nüchtern, als er eine Korrektur des Abstimmunsergebnisses ablehnt. Nein, das sei kein abgekartetes Spiel gewesen, weist er später in einem Interview CDU-Vorwürfe zurück.

Währenddessen wirft die Union die Propagandamaschine an. „Wowereit ist eine Schande für Berlin“ steht über einer Stellungnahme von Günter Nooke, dem Spitzenkandidaten der Berliner CDU. Er betreibe „bewusst die Entwertung unserer demokratischen Institutionen“. Wowereits Entscheidung lehnt auch die Landes-CDU ab. Ihr Innenexperte Roland Gewalt geht davon aus, dass das Bundesverfassungsgerichts das Gesetz kippen wird.

Der migrationspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Öczan Mutlu, mag daran noch nicht glauben: „Die CDU wird den Brei, den sie da rührt, noch abkühlen lassen und das Gesetz dann akzeptieren.“ Dann könne man noch einiges nachbessern, was jetzt noch fehle. Karin Hopfmann, Migrationsexpertin der PDS-Fraktion, sieht das anders. „Es wird eine Zuspitzung des Themas im Wahlkampf geben, und das finde ich fatal.“ Ihre Fraktion hat das Gesetz wochenlang abgelehnt, es letztlich aber dem rot-roten Senat freigestellt, zuzustimmen. Eine Landesregelung soll Nachteile aufwiegen.

Dass am späten Nachmittag CDU-Fraktionschef Steffel Wowereits Rücktritt als Bundesratspräsident fordert, kommt kaum überraschend. Gewichtiger ist die Stimme eines Exstaatsoberhaupts. Roman Herzog sagt der Welt, das Gesetz sei nicht rechtmäßig zustande gekommen. Wowereit, in sieben Jahren vom Vorortpolitiker auf den dritthöchsten Posten im Staat gestiegen, sieht für Rücktritt keinen Anlass. Die Union habe den Wahlkampf in den Bundesrat gebracht, nicht er. „Ich bin in meiner Amtsführung nicht beeinträchtigt.“

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