: Familie ist da, wo Schröder ist
Der Kanzler, mit vier Ehen und drei nicht leiblichen Kindern ein Experte in Sachen Familie, hat jetzt das Thema für sich und Edmund Stoiber entdeckt
aus Berlin JENS KÖNIG
Wer als Politiker heutzutage über Kinder und Familie spricht, muss mit allem rechnen. Auf dem Gebiet, das jahrelang als WW-Thema galt, als weiches Weiberthema, werden jetzt sogar schon knallharte politische Kampfansagen von Mann zu Mann gemacht. „Mein Sohn Friedrich, 12 Jahre alt, will mal Bundeskanzler werden“, sagt Katrin Göring-Eckardt, als sie im Bundestag in der Debatte zur Familienpolitik spricht. Gerhard Schröder tut ein bisschen so, als wäre er entrüstet, aber dann guckt er wieder ganz entspannt zur jungen Geschäftsführerin der grünen Bundestagsfraktion. Schröder hat wahrscheinlich schnell gerechnet und gemerkt, dass es noch ein paar Jährchen hin sind, bis ihm Göring-Eckardt junior gefährlich werden kann.
Außerdem ist der Kanzler Experte in Sachen Familie. Familie ohne Kind, Familie mit einem Kind, Familie mit zwei Kindern, wobei keines dieser drei Kinder sein leibliches ist – Schröder hat in vier Ehen schon alles durch. Er kann also einiges aushalten. Er weiß beispielsweise, was es bedeutet, als Mann mit einer Frau und zwei Mädchen in einem Haushalt zu leben, wo Wert auf gesunde Ernährung gelegt wird. Da kann man schon mal so unter Druck geraten, dass man sich nur noch nachts zum Kühlschrank traut, um die Gemüserolle vom Abendbrot mit einem kleinen, heimlichen Schnitzel vergessen zu machen. Aber jetzt, mit Doris und Klara, ist Gerhard Schröder wieder glücklich. „Meine Familie bedeutet mir sehr viel“, hat er neulich in einem Interview gesagt. „Jedes Wochenende sehe ich zu, dass wir viel Zeit gemeinsam verbringen. Bei Spaziergängen, Zoobesuchen, beim Einkaufsbummel, beim Kinobesuch oder beim gemeinsamen Fernsehen.“
Dass der Kanzler so freimütig über seine Frau und deren Tochter spricht, hat natürlich einen Grund: Es ist Wahlkampf, und da soll die Familie – nicht die eigene, sondern die Familie an sich – eine große Rolle spielen. Auf dem großen Feld der politischen Möglichkeiten hat die SPD plötzlich die Familienpolitik als ein Gebiet entdeckt, auf dem sie Edmund Stoiber, den Herausforderer, im Museum für konservative Lebensentwürfe ausstellen kann. Da liegt es ganz in der Logik dieser Kampagne, dass Schröder am Donnerstag im Parlament als erster Bundeskanzler überhaupt eine Regierungserklärung zur Familienpolitik abgibt. Immerhin gerade noch rechtzeitig vor dem Ende seiner ersten Kanzlerschaft.
Schröders Regierungserklärung ist vom Tonfall und vom Inhalt her wie viele seiner Reden in diesen Wochen. Was haben „die anderen“ vor 1998 gemacht? Richtig, Mist. Was haben wir seit 1998 gemacht? Manches besser. Was wollen wir die nächsten vier Jahre machen? Vieles noch besser.
Schröder sagt, was das in Bezug auf die Familienpolitik bedeutet: Die rot-grüne Regierung hat das Kindergeld erhöht, das Unterhaltsrecht geändert, die Erziehungszeit flexibler gestaltet, die Kinderbetreuung verbessert.
Schröder sagt auch, warum seine Regierung das gemacht hat: weil SPD und Grüne die veränderte Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen. Weil SPD und Grüne respektieren, wie Menschen leben wollen und nicht sollen. Weil SPD und Grüne die Familie in all ihren Ausdrucksformen unterstützen, die traditionelle Familie genauso wie unverheiratete Paare mit Kindern aus verschiedenen Partnerschaften oder auch Alleinerziehende. Hinter jedem Beispiel soll der Zuhörer denken: im Gegensatz zur CSU und Edmund Stoiber.
Und Schröder sagt schließlich auch noch, was SPD und Grüne besser machen werden: Sie wollen in den nächsten vier Jahren vor allem die Möglichkeiten für eine flexible Kinderbetreuung erweitern, weil auch für Familien Geld nicht alles ist. Der Kanzler wiederholt noch einmal seinen Vorschlag, den er bereits am Montag als einen Punkt des SPD-Wahlprogramms angekündigt hatte: Der Bund wird 4 Milliarden Euro für den Ausbau von Ganztagsschulen zur Verfügung stellen. Schröder versieht diesen Vorschlag für den Ausbau der Kinderbetreuung mit der bemerkenswerten Erkenntnis, dass es „derzeit nichts Wichtigeres“ gebe. Noch vor einem Jahr hätte er sich bei dieser Formulierung vor Lachen auf die Schenkel geklopft.
Die Regierungserklärung des Kanzlers ist mit einem Satz überschrieben, der eigentlich von den Grünen stammt: „Familie ist, wo Kinder sind.“ Friedrich Merz hält diesen Satz vermutlich nur in seiner Umkehrung für richtig: Kinder sind da, wo Familie ist. Bei ihm im Sauerland, wo der Fraktionschef der Union mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebt, ist die heile Welt der Familie nämlich polizeilich gemeldet.
Da kann es nicht überraschen, dass Merz in der Auseinandersetzung mit Schröder nur einmal gut aussieht, und zwar dort, wo er dem Kanzler vorwirft, was dieser früher von Frauen- und Familienpolitik gehalten habe, als er sie noch mit dem schönen Wörtchen „Gedöns“ abtat und andere lustige Sätze sagte wie: „Topfblumen und Kinder gehören in keinen anständigen Haushalt.“ Ansonsten wirkt der brave Fraktionschef ein bisschen wie aus einer anderen Welt. Er wirft dem Kanzler vor, den Artikel 6 des Grundgesetzes falsch zitiert zu haben. Dort stehe nicht: „Die Familie steht unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“ Richtig heiße es: „Ehe und Familie …“ Merz hat Recht, gerade deswegen sitzt er ja in der Falle. Fortan redet er viel über die Ehe und wenig über die Familie von heute. Die Debatte bereichert er nur noch mit einem denkwürdigen Satz: „Es geht nicht, jede beliebige Bindung auf Zeit zweier erwachsener Menschen mit dem Status von Eltern gleichzusetzen.“
Schröder lächelt dabei ein wenig. In der Kampa der Sozialdemokraten werden die Sektkorken geknallt haben.
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