: Wer in die Kamera spricht, ist bei sich
Und wenn er noch so viele Identitäten hat. Daniele von Arb, der Held der Dokumentation „Do It“ von Sabine Gisiger und Marcel Zwingli, war Anarchist und Bombenleger, er saß im Gefängnis und wandte sich dem Spiritismus zu. „Do It“ ist die schwyzerdütsche Antwort auf den deutschen Terroristenfilm
von DIETRICH KUHLBRODT
„Do It“, die Schweizer Terroristenfabel, kann man nicht kritisieren. Der Film ist immun gegen Einwände. So muss es Jung Siegfried gegangen sein, nachdem er, allerdings nicht sorgfältig genug, in Drachenblut gebadet hatte. Ein Mittvierziger sitzt versonnen lächelnd vor der Kamera und erinnert sich, wie er als Sechzehnjähriger auszog, die Welt das Fürchten zu lehren. Der Zürcher Daniele von Arb, der seinen Vornamen italienisch schreibt, nahm damals mit zwei Kumpeln den bewaffneten Kampf gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt auf. Das kommt locker, im Ton einer ironisch gefärbten Heldensage, und so persönlich, wie es nur das Schwyzerdütsch schafft. Der Film ist untertitelt.
Ich habe daher genau verstanden, dass Petra Krause in Italien nicht „hafterstehungsfähig“ war und seitdem untergetaucht ist. Den Fakt, dass jemand sich erinnert, kann man so wenig widerlegen wie die Person selbst. Denke ich doch. Aber war ich nicht Ende der Sechziger, Anfang der Siebzigerjahre Trauzeuge von Petra Krause vh. Nettelbeck? Ich erinnere mich genau an das Standesamt Hamburg-Nord. Sandra war noch nicht geboren. Ich müsste sie fragen. Ihre Mutter soll in der französischen Provinz gesehen worden sein. Aber vielleicht ist sie nur eine Namensvetterin? Ich spekuliere, und jetzt kann ich widerlegt werden.
Daniele von Arb spekuliert nicht. Er bleibt bei den Tatsachen: bei dem, was er erinnert. Womit ging es los? Zum ersten Mal ein Velo aufbrechen. Kinoerfahrungen nutzen: die „Rififi“-Methode. Auf dem Höngger Berg übers Dach ins Waffendepot der Armee einbrechen, Handgranaten einsacken und auf dem Velo und dem Töffli abtransportieren. – Jetzt sagt die Mutter etwas, 75 Jahre, Rentnerin in Altstetten: „In jungen Jahren kann man politische Angelegenheiten nicht verändern.“ Wer will ihr streitig machen, dass das ihre Erfahrung ist? Daniele fährt fort: „Wir waren 16 und wollten hin, wo es wirklich ballert.“ Die IRA lehnt 1972 die Schweizer Handgranaten dankend ab. Gut, dann eben Italien. Daniele lacht: „Dann fangen wir eben dort an, internationale Brigaden aufzustellen.“ Er lacht. Er lacht noch mal, immer noch, einmal zu viel.
Etwas ist los mit dem revolutionären Helden. Der Film kommentiert das nicht. Wir werden nur beiläufig mit Wissen versorgt. Aber wir finden Interesse an den Personen. Die Zeitgeschichte muss durch sie hindurch, um wahr zu werden. Und es funktioniert in diesem dramaturgisch exemplarischen Film von Sabine Gisiger und Marcel Zwingli. Weil die Wahrheiten im Laufe der drei letzten Jahrzehnte so häufig wechseln wie die Persönlichkeiten, die im Helden Daniele stecken. Und das fällt aus keiner Theorie heraus. Wir können den Prozess aber erleben, wenn wir ins Kino gehen, um „Do It“ zu sehen. Ich fand es aufregend, spannend, auch lächerlich, aber treffend.
„Ich weiß gar nicht, wer ich bin, wer da inne hockt“, sagt Daniele locker in die Kamera. Aber muss er das wissen, wenn es um das anarchistische Do-it geht? Die 16 Jahre alten Zürcher sind keine Studenten; sie haben Marx nicht gelesen; sie sind nicht in den Theorieunterricht gegangen, um erst danach zur legitimierten Tat zur schreiten; nicht das Wissen, sondern die Verletzungen durch die großen Ungerechtigkeiten motivieren zum Bombenlegen. – Der Film bringt das einwandfrei heraus, ohne hierzu ein Wort zu viel zu sagen. Die anarchistische Terroristin, die die Notwendigkeit der Tat empfindet und nicht theoretisch begründen muss, bleibt „menschlich und liebevoll“. Das gilt, wie uns Danieles Bruder verrät, für Petra Krause (von der ich inzwischen überzeugt bin, dass sie nicht Sandras Mutter ist), nicht aber für Astrid Proll, die „sehr hart“ drauf gewesen sei.
Welche Erkenntnisse können wir heute daraus für den Klassenkampf gewinnen? Eben keine, weswegen Peter Egloff, Anführer der Zürcher Bombenlegerjungs, keinen Grund sah, sich vor die Kamera dieses Films zu stellen. Wir erfahren aber eine Menge darüber, was einen Schüler, der bei Mutter, Dienstmädchen, und Vater, Hilfsarbeiter, im Zürcher Außenquartier wohnt, dazu treibt, gegen die „Ungerechtigkeit“ etwas zu tun. Der Film zeigt Super-8-Footage der Gruppe, bisher vergessen in einem Koffer auf dem Dachboden. Ein Bombenanschlag auf das italienische Generalkonsulat. „Wir wollten mit einem Knall auf den politischen Zustand aufmerksam machen.“ Aus Rom waren die Zürcher zurückgereist, weil dort nur geredet worden sei. „Wir sind weg, weil es anarchistisch nicht ist, wenn alle still sind, wenn Valpreda redet.“ Denn es war etwas zu tun, wenn einer 1969 als Siebzehnjähriger angeklagt wird, die Bombe auf der Piazza Fontana in Mailand gelegt zu haben (16 Tote), und sich später herausstellt, dass der italienische Geheimdienst verantwortlich war. Die Schweizer vernetzten sich mit den Brigate rosse, aber operiert wurde, wo man züridütsch spricht oder bernerdütsch, zwischendurch geborgen im Schoß der Familie; der eigene Bruder will es nicht glauben, dass man „der, welcher“ war; Daniele triumphiert, insgeheim.
Der Bauarbeiter Raymond Birgin, zehn Jahre älter und deshalb der Vater der Gruppe, erkennt: „Die Propaganda der Tat hat etwas Selbstmörderisches an sich.“ Und: „Wir waren in einem Machtrausch.“ Zählt man das zusammen, käme man auf die Selbstmordattentate dreißig Jahre danach. Aber für die Junghelvetier wäre das ein anderer Film gewesen. – „Wir sind verrückt geworden“, hatte schon Mitte der Achtzigerjahre Carlos' Freund Johannes Weinrich bekannt, jedenfalls wenn man das glauben will, was die Carlos-Freundin Magdalena Kopp vor ein paar Wochen im ARD-Film „Im Schatten des Schakals“ zu berichten wusste. Carlos und seine Genossen hatten sich 1981 von Ceaușescu anheuern lassen, in München den missliebigen Sender Radio Free Europe zu attackieren. Eine Auftragsarbeit. Und die ARD-Dokumentation war gute Recherche.
Im Schweizer „Do It“ geht es nicht um neue Fakten. Alles ist auf dem Tisch; aber wie geht man damit um? Daniele von Arb bringt heute den Schüleranarchismus mit der Erfahrung zusammen, von den Eltern gezüchtigt worden zu sein, um nicht auf die schiefe Bahn zu kommen. Es hört sich an, als ob er eine moralische Erfahrung weitergäbe. Er war damals gegen moralische Aufweichung gefeit. Die Zürcher Zelle kann von jemandem, der aus dem Libanon kommt, viel Geld für Sprengstofflieferungen bekommen. Für welche Aktion? Das blieb unbekannt. Aber wäre der Libanese dann nichts weiter als ein Hehler und die Gruppe eine Einbrecherbande? Daniele spricht in „Do It“ von Versuchung und Korruption. Ihm kommt zu Hilfe, dass Michel Moukarbal, der Chef des westeuropäischen Büros der Palästinensischen Volksbefreiungsfront, „schleimig“ auftrat und dass er 1975 von Carlos erschossen wird. Erst später wird der Versucher als Doppelagent des Mossad enttarnt werden.
„Do It“ ist ein überraschend moralisch getönter Film, fern der großen Theorie, nah dem familiären Bereich und dem Alltag. Wer in die Kamera spricht, ist bei sich, so viele Identitäten sich in ihm auch verbergen.
Wir sind in einem glaubwürdigen Film, der die Menschen intakt lässt. Das ist die schwyzerdütsche Antwort auf die spekulativen Verbiegungen der neuen deutschen Terroristenfilme, in denen Täter und Opfer ineinander verschwimmen (Wolfgang Grams und Alfred Herrhausen in Andres Veiels „Black Box BRD“) oder Holger Meins auf den verhinderten Künstler reduziert wird („Starbuck Holger Meins“). Politische Geschichte soll als Spiel und besserer Tatort interessieren, als „Todesspiel“, wie sich Heinrich Breloers Dokuspiel nannte. Dann werden Menschen zu Figuren.
Man kann nicht genug hervorheben, dass in „Do It“ Menschen Menschen sind, und Menschen kann man, wie gesagt, nicht widerlegen. In Daniele von Arb hat im Lauf der Zeit alles mögliche „inne gehockt“: die Musiksubkultur der Sechziger, die Militanz gegen das „System“ in den Siebzigern, das esoterische New Age in den Achtzigern und schließlich die Gesamtheit seines Seins in den Neunzigern. Aber wenn er jetzt über seine abgelegten Identitäten lacht und wenn er dabei einmal zu viel lacht, dann könnte unter dem Abgeklärten etwas brodeln. Daniele von Arb war 1977 in Winterthur zu fünfeinhalb Jahren und 1979 in Italien wegen Sprenstoffschmuggels zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt worden. In der Strafanstalt Regensdorf, wenige Kilometer von seinem Elternhaus in Altstetten, läuterte er sich. Nach der Entlassung schloss er sich der spiritistischen Gruppe des Trancemediums Bob Chrzan an. Chrzan hatte bis 1981 für das New York Police Department als Medium gearbeitet, bevor er anfing, in Freiburg im Breisgau Jünger zu schulen. Der Schweizer Ex-Anarchist war willkommen. – Daniele macht gute Miene vor der Kamera. Traumatische Verletzungen werden nicht sichtbar. „Wenn du keine speziellen Fragen mehr hast …“, sagt er ins Off. Man hört ein verzagtes „Nein“. Damit endet der Film.
„Do It“. Regie: Sabine Gisiger und Marcel Zwingli. Mit Daniele von Arb, Regina von Arb-Dal Bosco, Raymond Birgin u. a. Schweiz 2000, 97 Minuten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen