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Der feministische Blick auf die Wissenschaft

Es geht nicht nur um die Gleichberechtigung. Die Wissenschaften müssen auch von den geschlechtsspezifischen Stereotypen befreit werden

Eine Frau wie Marie Curie, zweifache Nobelpreisträgerin, hat zweifellos ihren Platz behauptet. Auch Lise Meitner, die keinen Nobelpreis bekam (dass Otto Hahn sich nicht dafür einsetzte, verbitterte sie sehr), hat sich als Naturwissenschaftlerin in einer Männerdomäne durchgesetzt. Heute gehört zu den Kämpfen von Frauen in Naturwissenschaft und Technik nicht nur, dass sie ihren Platz erobern. Sie nehmen seit zwanzig Jahren mit ihrer feministischen Kritik die Wissenschaft selbst ins Visier.

Ein Beispiel aus der Zellbiologie: In vielen Biologie-Lehrbüchern wird die weibliche Eizelle als passiv und das Spermium als aktiv dargestellt. Das sind dieselben Stereotypen, die Frauen und Männern seit einigen hundert Jahren zugemessen werden: Die Frau sei von ihrem Wesen eher passiv, der Mann aktiv. Letzterer befindet sich außerdem im Konkurrenzkampf mit anderen Spermien/Männern. Feministische Forscherinnen stellten fest, dass sich beide, Ei und Spermium bewegen, um aufeinander zu treffen. Von einem Forscherpaar wurde die Befruchtung der Eizelle dann aber so uminterpretiert, dass das Ei aktiv das Spermium auswählt und hereinlässt.

Vor solchen Um-Interpretationen warnt Londa Schiebinger, feministische Professorin aus den USA, sie sieht darin ein genauso großes Verhaftet-Sein in einem geschlechtsdeterminierenden Blick. Sie sagt dazu: „Die Darstellung des dynamischen Eis wurde als Beispiel für ein überwundenes Vorurteil begrüßt. (…) Wir könnten diese neue Version der Geschichte jedoch auch ganz anders verstehen. Sie lässt sich zum Beispiel als die Erzählung einer Maskulinisierung auffassen. Das Ei ist nicht nur voller Energie, es wird maskulinisiert, indem ihm die positiv bewerteten, ‚aktiven‘ Eigenschaften des Spermiums zugeschrieben werden. Gleichheit, dieses Mal die Gleichheit des Eis, hängt wieder mal von der Bekräftigung männlicher Werte ab. Wie den Frauen selbst so wird hier der Biologie des Weiblichen abverlangt, sich den Werten der dominanten Kultur anzupassen.“

Schiebinger plädiert für ein „kritisches Bewusstsein davon, wie Geschlechtsstereotypen die Naturwissenschaften beeinflussen“ und schlägt vor, Pflichtseminare zu dem Thema einzuführen, die während des Studiums eines naturwissenschaftlichen oder technischen Fachs besucht werden müssen.

In dem Zusammenhang betont Schiebinger, dass feministische Forschung auch Männer leisten könnten – sie sei nicht an das Geschlecht gebunden. Schiebingers letztes Buch behandelt die Frage, ob der Feminismus die Naturwissenschaften verändert habe. Sie gibt eine positive Antwort, was die inhaltlichen Veränderungen in einigen Bereichen der Forschung vertrifft.

Aber sie gibt eine negative Antwort, was die aktuelle Anzahl der Frauen in Naturwissenschaft und Technik betrifft. Es studieren und promovieren zwar jetzt mehr Frauen in Naturwissenschaft und Technik, aber nur ein paar wenige Uni-Professorinnen mehr sind zu verzeichnen. In Deutschland sind es in den Naturwissenschaften zurzeit 5,5, in den Ingenieurwissenschaften 3,9 Prozent. GUDRUN FISCHER

weitere infos

„Ingenieurin – warum nicht?“ Kira Stein/Janitha Molvaer, Campus, Frankfurt/New York,1994

* Londa Schiebinger: „Wie weiblich ist die Wissenschaft?“ C. H. Beck, München, 2000

* Koryphäe, Zeitschrift von Frauen in Naturwissenschaft und Technik, Resselgasse 5, A-1040 Wien. www.fluminut.at/kory,

* FIT, Verlag Frauen in der Technik, Darmstadt, www.fitev.de * dib, deutscher ingenieurinnen bund, www.dibev.de

* NuT, Verein von Frauen in Naturwissenschaft und Technik, Berlin (veröffentlicht eine Schriftenreihe), www.nut.de

* Fopa: Feministische Organisation von Planerinnen und Architektinnen, www.fopa.de

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