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Unter den Dächern von Deutschland

Übernachten zum Nulltarif – wo gibt’s denn so was? Der ADFC-Dachgeber nennt die Adressen. Die diesjährige Ausgabe umfasst 2.500 Anlaufstellen. Radler besuchen sich gegenseitig nach dem Motto: Ich schlaf bei dir, du schläfst bei mir

„Endlich was zu essen!“ Kann ein Empfang noch schöner sein? In Köthen bei Bitterfeld frohlockte jedenfalls eine ganze Familie beim Anblick des Radtouristen Rainer Rehbein aus Bremen. Grund: Ihm zu Ehren wurde der Kühlschrank aufgefüllt.

Eins von zahlreichen Abenteuern, die Rehbein seit 1989 als Mitglied in der illustren ADFC-Dachgeber-Gemeinde überstanden hat. Eine Gemeinde, die sich bereits seit fünfzehn Jahren besucht, frei nach dem Motto: „Ich schlaf bei dir – du schläfst bei mir.“ Und zwar zum Nulltarif – vorausgesetzt, man selbst ist gewillt, eine Suite von mindestens zwei mal einem Meter plus Duschgelegenheit zur Verfügung zu stellen. Nachgewiesen wird diese Bereitschaft durch Aufnahme der eigenen Adresse im ADFC-Dachgeberverzeichnis: „In der Ausgabe 2002 sind 2.500 Adressen verzeichnet, angefangen haben wir 1987 mit 240“, so Wolfgang Reiche, Gründer und Herausgeber dieser Erfolgsstory.

Und wer sind die Protagonisten? Meistens junge Familien, überhaupt jüngere Menschen, die ab und zu mal auf Tour gehen. So wie Neuzugang Melitta Gerich aus Bremen, die nur eins will: „Eine Woche durch Deutschland.“

Sieben Nächte, von denen sie bestimmt die eine oder andere in einem gemachten Bett verbringen wird. Dieser Luxus gehört in vielen Fällen zum Standardprogramm – und das Gratisfrühstück manchmal auch. Wie viele andere könnte Melitta Gerich von noch mehr profitieren, zum Beispiel vom Insiderwissen des Gastgebers: Wo gibt’s hier die schönsten Wege? Welcher Fahrradladen am Ort repariert sofort? Aber Achtung: In jedem Fall sollte man sich auf seinen Wirt einstellen. Wenn Rainer Rehbein als Dachgeber fungiert, dann zu seinen Bedingungen: „Ich bin Postbote in Bremen und gehe morgens um fünf aus dem Haus. Da muss der Gast mit.“ Wer das weiß, besucht ihn erst gar nicht.

Sondern übernachtet woanders. Bremen ist in diesem kostbaren Büchlein schließlich gut vertreten. Genau wie Berlin, Hamburg, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Viele weiße Flecken hingegen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Bayern.

Ein Defizit ganz anderer Art macht sich abseits der bekannten Radfernwege breit: Viele Gastgeber stehen seit Jahren im Dachgeber und genau so lange im Regen: Noch nie hat sich ein Radler zu ihnen verirrt.

Vor allem ältere Leute, die nicht mehr auf Radreise gehen, aber ganz gern mal Besuch hätten, sollen missgestimmt sein. Deshalb regt Wolfgang Reiche an, ab und zu mal die eingefahrenen Pfade zu verlassen, kreuz und quer durchs Land zu ziehen und so viele Dachgeber wie möglich zu erfreuen.

Das könnte zu einem Vergnügen der grenzenlosen Art führen: „Jedes Mitglied im deutschen Dachgeber bekommt die entsprechenden Verzeichnisse anderer Länder und kann dort auch umsonst übernachten“, so Reiche.

Zurzeit sind das Australien, Frankreich, England und die Schweiz. Angestrebtes Minimum: die ganze Welt, logisch.

Um dieses Ziel im Schlaf zu erreichen, wünscht sich Reiche eine noch intensivere Nutzung des Dachgeberprojekts – von jetzigen Mitgliedern und denen in spe. Damit man wie Rainer Rehbein aus einem vollen Kühlschrank schlemmen kann und seinen Enkeln später stolz berichtet: „Die Kinder wurden ausquartiert, und ich habe neben dem Hamster geschlafen.“

UTA GELLERT

Wer Mitglied beim ADFC-Dachgeber werden will, meldet sich bei Wolfgang Reiche, Manteuffelstraße 60, 28203 Bremen, Tel. 04 21-7 58 90 oder info@dachgeber.de. Eine Mitgliedschaft noch in diesem Jahr ist ohne weiteres möglich

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