: Mit vereinigter Kraft an die Macht
Nach der Niederlage des sozialistischen Präsidentschaftskandidaten hofft Frankreichs Linke, mit einem Zusammenschluss die Parlamentswahlen zu gewinnen. In der Allianz brodelt es. Die kleineren Partner kritisieren den Machtanspruch der Sozialisten
aus Paris DOROTHEA HAHN
Vereinigt ist an der französischen Linken bloß der Name. „Vereinigte Linke“ nennen die vier Parteien PS, KP, Grüne und Radikalsozialisten ihre taktische Zusammenarbeit für die Parlamentswahlen im Juni, aus denen die künftige französische Regierung hervorgehen wird. In 34 Wahlkreisen wollen die vier Parteien „Einheitskandidaten“ ins Rennen schicken. In weiteren rund 100 Wahlkreisen stellen jeweils zwei oder drei von ihnen einen gemeinsamen Kandidaten auf. In dem Rest der 577 Wahlkreise werden die Kandidaten der vier Parteien getrennt und gegeneinander antreten.
Auch sonst beginnt der in der Nacht zu Montag eröffnete Parlamentswahlkampf mit hohen Zahlen und wenig politischer Klarheit. Über 8.600 Kandidaten – mehr als je zuvor bei einer Parlamentswahl in Frankreich – haben sich angemeldet. Bis Donnerstag können einzelne von ihnen noch Rückzieher machen. Aber das Chaos ist programmiert. Im ersten Wahlgang, am 9. Juni, wird es mehrseitige Kandidatenlisten geben. In Paris ist die Kandidatendichte am größten. Für die dortigen 21 Wahlkreise bewerben sich 463 Personen. Im am dichtesten besetzten Wahlkreis gibt es 27 Kandidaten.
Im zweiten Wahlgang, am 16. Juni, wird es wohl neue Zitterpartien geben: In 237 Wahlkreisen haben die Kandidaten der rechtsextremen Front National gute Aussichten, die Stichwahl zu erreichen. Bei Parlamentswahlen kommen Kandidaten, die im ersten Durchgang über 12,5 Prozent der Stimmen erhalten, in die Stichwahl. Daraus folgt, dass es landesweit „Dreiecke“ geben wird: Konstellationen, bei denen sich ein linker Kandidat, ein konservativer und ein rechtsextremer gegenüberstehen.
Die konservativen Parteien haben in den Tagen nach dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen, bei denen der rechtsextreme Jean-Marie Le Pen nach Jacques Chirac zum zweitstärksten Politiker geworden war, einen neuen Wahlverein gegründet. Er trägt den Namen „Union pour la Majorité Présidentielle“ (UMP) und hat den größten Teil der Politiker aus RPR, DL und UDF unter sein Dach geholt. Die UMP stellt 536 Kandidaten. Doch auch bei den Konservativen wird es im Juni getrennte Kandidaturen geben. Der Rechtsliberale François Bayrou nennt die „Einheitspartei“ einen politische Fehler. Er befürchtet, dass seine proeuropäische, zentristische Bewegung darin von den Neogaullisten Chiracs erdrückt wird. In rund 100 Wahlkreisen wird Bayrous UDF eigene Leute ins Rennen schicken. Getrennt werden auch die beiden rechtsextremen Parteien antreten. Le Pen ist mit 563 Kandidaten in fast allen Wahlkreisen präsent.
Auch auf der radikalen Linken, wo die beiden stärksten trotzkistischen Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen auf zusammen 10 Prozent der Stimmen kamen, gibt es keine Einigkeit. Die „Lutte Ouvrière“ von Arlette Laguiller lehnte eine von ihrer Konkurrenzorganisation LCR angebotene gemeinsame Liste ab. Allerdings wird diese Entscheidung von einer Minderheit kritisiert. Dass ihre führungskritische Meinung an die Öffentlichkeit dringt, ist ein Novum in der sektenmäßig organisierten „Lutte Ouvrière“.
In der nunmehr „Vereinigten Linken“ verliefen die Verhandlungen über eine Verteilung der Wahlkreise schwierig. Auch nach Schließung der Anmeldelisten in der Nacht zu Montag waren nicht alle Konflikte geklärt. Besonders groß sind die Unstimmigkeiten in Südfrankreich, wo die Rechtsextremen ihre Hochburgen haben. Zur Erinnerung: In der Stadt Vitrolles ebnete zuletzt das undurchsichtige Finanzgebaren eines PS-Bürgermeisters den Weg für eine Rechtsextreme ins Rathaus. Vor den Parlamentswahlen haben jetzt die regionalen Dachverbände der vier linken Parteien Einheitskandidaten rund um Marseille aufgestellt. Sie beschlossen eine Aufteilung der Wahlkreise, die sich an den Wählermehrheiten der letzten Parlamentswahlen vom Juni 1997 orientieren. Vier Wahlkreise gehen an Kandidaten der PS, einer an die KP. Dieser Wahlkreis in der nördlichen Banlieue von Marseille hat seit 1936 Kommunisten ins Parlament geschickt. Doch vor Ort lehnt sich ein Sozialist gegen den Beschluss seiner regionalen Parteioberen auf. Patrick Mennuci will keinen Rückzieher zugunsten des Kommunisten Frédéric Dutoit machen.
Auch andernorts wird es harte Kämpfe zwischen den Komponenten der „Vereinigten Linken“ geben. Im südwestlichen Bègles unterstützt die PS den grünen Kandidaten und Expräsidentschaftsbewerber Noël Mamère. Aber die Kommunisten stellen dort einen eigenen Kandidaten auf. Für beide könnte verhängnisvoll werden, dass die Region bei den Kommunalwahlen 2001 mehrheitlich konservativ gewählt hat.
Einig sind sich die konkurrierenden kleineren Komponenten der „Vereinigten Linken“ in ihrer Kritik an den „Hegemonialbestrebungen“ der PS. Denn trotz der empfindlichen Niederlage ihres Präsidentschaftskandidaten Lionel Jospin versteht sich die Partei als „Zentrum“ der Linken. Seit einigen Wochen schickt die PS die Figuren von ihrem linken Parteirand vor. Sie versprechen den Wählern in vielen Punkten, wie öffentlicher Dienst, Rentenversorgung, Mehrwertsteuersenkung, das Gegenteil dessen, was ihre eigene Regierung in den vergangenen fünf Jahren für machbar hielt. „Vorwärts die Linke“, heißt der neue Slogan der PS. Die Spitzen der sozialliberalen Parteilinie und Exminister halten sich zurück. Der zweite Wahlkampf dieses Frühsommers verspricht erneute Hochspannung.
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