: Deutscher Einfluss bis nach Sibirien
E.ON und Ruhrgas dürfen zum einflussreichsten Energieunternehmen Europas fusionieren. Wirtschaftsministerium verhängt aber Auflagen – unter anderem den Ausstieg aus der ostdeutschen Gasversorgung. Konkurrenz prüft juristische Schritte
von HANNES KOCH
Die Energiekonzerne E.ON und Ruhrgas dürfen zum größten kombinierten Strom- und Gasunternehmen Europas fusionieren. Das hat das Bundeswirtschaftsministerium in Berlin entschieden. Gestern Vormittag unterschrieb Staatssekretär Alfred Tacke die Genehmigung und setzte damit gegenteilige Beschlüsse des Bundeskartellamtes und der Monopolkommission außer Kraft. Die Übernahme von Ruhrgas durch E.ON (früher Veba und Viag) sei gerechtfertigt, weil sie dem „Gemeinwohl“ diene, sagte Tacke. Der neue Gigant werde „als deutscher Global Player international zum Wohle der deutschen Volkswirtschaft agieren“.
Tacke betonte, dass die Ruhrgas AG nur mit der Finanzkraft von E.ON im Rücken in das internationale Gasgeschäft investieren könne. Bis zu 8 Milliarden Euro sollen in den kommenden Jahren unter anderem in den Pipeline-Bau nach Osten gesteckt werden. Ruhrgas ist bereits mit 5 Prozent am größten Gasproduzenten der Welt, der russischen Gasprom, beteiligt. Es geht um strategischen Einfluss nicht zuletzt bei den Öl- und Gasvorkommen am Kaspischen Meer, von wo die angelsächsischen Konzerne BP und Exxon konkurrierende Pipeline-Projekte in Richtung Mittelmeer favorisieren.
Um die überragende Marktmacht des zukünftigen Konzerns abzumildern, hat das Wirtschaftsministerium mehrere Auflagen verhängt. Dazu gehört, dass E.ON einige Firmenbeteiligungen abgeben muss: beim Wasserkonzern Gelsenwasser, bei Bayerngas, den Bremer Stadtwerken und dem ostdeutschen Gasversorger VNG.
Die VNG-Beteiligung liegt Tacke besonders am Herzen. So behält er sich die Zustimmung vor, wer der neue Investor wird. Der Staatssekretär schließt nicht aus, dass BP oder Exxon Mobile die E.ON-Anteile an der VNG übernehmen könnten. Das würde, erklärte Tacke, die zunehmende Marktmacht von E.ON ausgleichen, weil an anderer Stelle neuer Wettbewerb entstünde. Weil BP und Exxon in Zukunft nicht mehr bei Ruhrgas engagiert seien, entstehe zusätzliche Konkurrenz. Gestern bekundete bereits der Gaslieferant Wintershall sein Interesse an der VNG. Ein weiterer maßgeblicher Teil der VNG-Anteile soll an die ostdeutschen Stadtwerke gehen. Sie haben das Recht, bis zu 25 Prozent zu übernehmen – eine Stärkung des kommunalen Einflusses im Energiemarkt.
Eine weitere Auflage betrifft den Zwischenhandel mit Gas. E.ON hat sich in der Vereinbarung mit dem Ministerium bereit erklärt, seinen Konkurrenten in den nächsten drei Jahren zusätzlich 75 Milliarden Kilowattstunden Gas zu einem festgelegten Basispreis anzubieten. Das macht etwa 5 Prozent der Menge aus, die Ruhrgas jährlich umsetzt. Trotz dieses begrenzten Umfanges sollen diese „freien Gasmengen“ den Wettbewerb in Schwung bringen und auch dazu beitragen, dass die Verbraucherpreise sinken.
Außerdem hat E.ON zugestimmt, dass Gaskunden, die Verträge mit E.ON und Ruhrgas haben, die vereinbarten Mengen reduzieren und sich zusätzlich zu 20 Prozent bei anderen Lieferanten eindecken können. Auch das soll die E.ON-Preise unter Druck bringen.
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen sieht das freilich ganz anders. „Die Auflagen sind nicht überzeugend“, erklärte Verbraucher-Chefin Edda Müller. Die Bedingungen könnten nichts daran ändern, dass künftig 60 Prozent des deutschen Gasmarktes von einem einzigen Unternehmen beherrscht würden. Die Verbraucherzentralen wollen Beschwerde bei Gericht einlegen, um ihre Beteiligung am Genehmigungsverfahren zu erstreiten. Der Bundesverband war vom Wirtschaftsministerium nicht offiziell zu Rate gezogen worden.
Skeptisch äußerte sich gestern auch ein Konkurrenzunternehmen von E.ON. Reinhard Goethe, der Geschäftsführer des Aachener Energiehändlers Trianel, hält die Auflagen für „enttäuschend“. Trianel prüft juristische Mittel, um die Fusion zu stoppen.
Staatssekretär Tacke erklärte, Kanzler Gerhard Schröder habe keinen Einfluss auf die Entscheidung genommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen