piwik no script img

Einmal high, immer high

Nicht wenige Beobachter sehen in dem drakonischen Vorgehen der Behörden gegen autobesitzende Kiffer ein Strafaktion durch die Hintertür

von MANFRED KRIENER

Nach 35 Jahren erfolglosem Krieg gegen Cannabis könnte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in der kommenden Woche einen überfälligen Schritt zur friedlichen Koexistenz mit der Hanfpflanze und ihren Nutzern einleiten. Karlsruhe muss entscheiden, ob es rechtens ist, dass in Deutschland jeder Gelegenheitskiffer ständig vom Entzug des Führerscheins bedroht ist – selbst dann, wenn er gar nicht high hinterm Lenkrad saß.

Schon 1994 hatte das Gericht in seinem inzwischen historischen Spruch die Kriminalisierung von Millionen harmlosen Kiffern zwar nicht gänzlich gestoppt, aber doch erheblich gemildert. Die Verfolgungsbehörden wurden damals aufgefordert, den Besitz kleiner Mengen Haschisch und Marihuana für den Eigenverbrauch ohne Strafe zu tolerieren. Dies wird inzwischen im Normalfall auch so gehalten. Allerdings wird die „kleine Menge“ von Bundesland zu Bundesland höchst unterschiedlich interpretiert.

Doch wegsehen will die Polizei weder in Bayern noch in Hamburg. Wer mit Cannabis erwischt wird, muss gegenwärtig damit rechnen, der Führerscheinbehörde gemeldet zu werden. Auch wenn er nur in der Disko oder beim Waldspaziergang an der Tüte gezogen hat. Einmal Joint, immer Joint – und damit für den Straßenverkehr untauglich. Deshalb wird die erwischte Person nicht nur gemeldet, sie muss sich in zeitlichen Intervallen auch wiederholten Urintests stellen (siehe Artikel unten). Wird bei diesen Urintests Cannabis (oder eine andere illegale Droge) entdeckt, ist der Führerschein weg. Nach derselben Logik müsste jeder seine Pappe abgeben, der – zu Hause oder in der Kneipe – mit einem Glas Bier erwischt wird.

Nicht wenige Beobachter sehen in dem drakonischen Vorgehen gegen autobesitzende Kiffer eine Strafaktion durch die Hintertür; wenn man sie wegen des Karlsruher Urteils schon nicht ins Gefängnis werfen darf, so sollen sie doch wenigstens ihren Führerschein abgeben. Und sie sollen zahlen. Der Urintest kostet mal eben 80 Euro. Nach drei oder vier Tests ist der Betroffene inklusive Verwaltungsgebühr schnell 250 bis 350 Euro los. Ein teurer Joint.

Gegen die Aufforderung zur Urinprobe gibt es keinerlei Rechtsmittel. Wer zum Testpinkeln zu spät kommt oder gar nicht hingeht, verliert den Führerschein unbefristet – auf Lebenszeit. Das kann Existenzen ruinieren. Dass sich solcher Umgang mit den inzwischen 3,4 Millionen Kiffern – die Zahl der Deutschen, die es in den letzten 12 Monaten mindestens einmal getan haben – in einem Rechtsstaat bis heute halten konnte, ist ziemlich erstaunlich. Ebenso die bekannt gewordenen Fälle: Da wird ein Student am Freiburger Dreisamufer mit einer Tüte erwischt und sofort „seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen“ in Frage gestellt. Ein Berliner hat im Hertha-Fanblock am kreisenden Joint gezogen und wird prompt der Führerscheinbehörde gemeldet. Der Spiegel berichtet über einen Cannabis-Sünder, der bei einer Zollkontrolle mit ein paar Krümeln Haschisch auffiel. Obwohl er Vorsitzender der Verkehrswacht und 25 Jahre unfallfrei gefahren war (null Punkte in Flensburg), wurde er bei der Führerscheinbehörde angezeigt und dreimal zum Pinkeln vorgeladen.

Hinter der Verfolgungsmentalität steckt die Konkursmasse der alten, ideologisch-repressiven Drogenpolitik der 70er- und 80er-Jahre. Sie witterte in der damals noch kulturfremden „Protestdroge“, in dem „Mörderkraut“ Marihuana, eine Bedrohung der Gesellschaft. Heute ist Cannabis zur Alltagsdroge geworden, klar die Nummer drei hinter Alkohol und Tabak. Gras und Hasch rauchen alle – vom Schickimicki-Modedesigner bis zum 12-jährigen Schüler, vom Bundeswehrsoldaten bis zum Althippie, vom Start-up-Unternehmer bis zum Rapper. Auch Staatsanwälte wurden erwischt. „Illegal, scheißegal, total normal“, dichtet der Stern.

Trotzdem müssen sich ertappte Kiffer, vor allem im Süden des Landes, schon mal nackt ausziehen, um sich nach Grasresten untersuchen zu lassen. Und sie laufen ständig Gefahr, ihren Führerschein zu verlieren. Im Straßenverkehr mit seiner Epidemie alkoholbedingter Unfälle wirkt das rigide Vorgehen in Sachen Cannabis besonders absurd. Dass Alkohol die weit gefährlichere Droge ist, hat das Bundesinstitut für Arzneimittel in seinem Gutachten hinlänglich belegt.

Jahr für Jahr ewerden von der Polizei allein in Deutschland mehr als 200.000 Alkoholfahrten entdeckt. Die Dunkelziffer ist gewaltig. Der Verkehrswissenschaftler Erich Kunkel geht von einem Verhältnis von 1:600 aus. Das hieße: Jährlich finden auf unseren Straßen 120 Millionen Trunkenheitsfahrten statt. Ginge die Polizei gegen Alkoholsünder mit derselben Energie vor wie gegen Kiffer, wären unsere Asphaltpisten leer wie zu Zeiten der Ölkrise. Unter den 7.000 bis 8.000 Verkehrstoten in den letzten Jahren war im Schnitt jeder Sechste betrunken.

Beim Alkohol drückt die Polizei, deren Uniformierte selbst gern einen zwitschern, auch mal ein Auge zu. In Sachen Cannabis finden dagegen Spezialschulungen für Ordnungshüter statt, damit sie bekiffte Fahrer besser identifizieren können. Polizisten müssen büffeln, wie sich die Pupillen nach Cannabisgenuss verändern und woran „unangemessene Fröhlichkeit“ – ein Indiz für den Cannabisrausch – erkennbar ist. Auch technisch wurde mit Drogenschnelltestgeräten aufgerüstet, die in Schweißpartikeln nach der Droge fahnden.

Zugleich gibt es kaum Untersuchungen darüber, wie sich die Fahrleistungen nach einem Joint tatsächlich verändern. Eine der wenigen Studien kommt aus Maastricht, wo der Wissenschaftler Hindrik Robbe Fahrtests unter Cannabis durchführen ließ. Im Vergleich mit Placebos war der Einfluss der Droge deutlich: Reaktions- und Einschätzungsvermögen nahmen ab. Die Tests zeigten aber auch, dass die Fahrtüchtigkeit weniger stark beeinträchtigt wird als angenommen. Interessante Erkenntnis: Fahrer unter Cannabiseinfluss waren sich ihrer reduzierten Fähigkeiten stärker bewusst als alkoholisierte Lenker, die zur Selbstüberschätzung neigen. Wer kifft und gleichzeitig säuft, zeigt übrigens eine besonders schlechte Performance im Verkehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen