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zahl der wocheZwei Jahre lang rollten von Irland aus ständig mehr Container mit vermeintlichem Zuckerwasser über die Grenze

Hormoneller Kontrollverlust

Zuckerrübenparadies Irland – schon mal gehört? Nein? Sie kleben noch am idyllischen Bild „grüne Insel mit Schafen und Rindern“. Denken Sie um. Jeder Beamte hat in den letzten zwei Jahren, als immer mehr Container mit Zuckerwasser über die irische Grenze rollten, mehr Fantasie bewiesen als Sie.

So blieb den Behörden verborgen: Es lag nicht an einer besseren Rübenernte, sondern an einem Pharmaunternehmen, das die Antibabypille produziert. Dabei fällt Zuckerwasser an. Und Hormonmüll, der verbrannt werden muss. Aber niemandem kümmerte es, als die irische Firma ihre Transporte in deutsche und britische Verbrennungsanlagen einstellte. Cara Environmental Technology Ltd, die den Abfall für den Pillenhersteller handelte, konnte den Hormoncocktail als Zuckerwasser ausgeben. Zwei Jahre lang – ohne Kontrolle.

Und Belgien? Aufatmen. Belgien exportiert Zuckerrüben. Aber ist Belgien wirklich so billig? Der Zuckersirup, den Bioland Liquid Sugars seit zwei Jahren verkauft hat, war ein wahres Schnäppchen. Keinen hat es gewundert. Weder belgische Behörden noch europäische Futterproduzenten oder Bauern. Unbemerkt konnte Bioland zwei Jahre lang Grundstoffe für Tierfutter und Limonade mit dem Hormonzucker aus Irland panschen. Und verkaufen. Etwa nach Holland oder Deutschland.

Ökologischer Unsinn, das Zeug durch ganz Europa zu karren. Zumal die Preise – übrigens genau wie die Namen der in den Skandal verwickelten Firmen – trügen. Im Nachhinein kommt das billige Futter die Landwirte teuer zu stehen. 1.800 gesperrte Betriebe – einige wurden gestern wieder freigegeben – allein in Deutschland. Weder Milch noch Fleisch konnten sie verkaufen. Dass der Steuerzahler für den Verdienstausfall nicht aufkommen wird, hat Bundesverbraucherministerin Renate Künast (Grüne) deutlich gemacht. Dafür ermutigt sie Verbraucher, für ein gutes Schnitzel ein paar Cent mehr zu zahlen. Ihre Devise: Klasse statt Masse. Damit war sie im Januar letzten Jahres als Ministerin angetreten.

Dennoch: Prompt schrien die deutschen Bauern auf. Unverantwortlich sei der Rat, weniger Fleisch zu essen. Ein Missverständnis? Künast will ein neues Qualitätsbewusstsein schaffen. In süßem Sirup zu ehrlichen Preisen darf dann auch Zuckerrübe drin sein. Und ganz nebenbei: Zuckerrüben wuchsen in den vergangenen zwei Jahren auch in Deutschland. Den Weg über Irland hätte man sich sparen können. HANNA GERSMANN

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