: Lechts gegen rinks
Verkehrte Welt: Gerhard Schröder will mit der Hartz-Kommission undSozialstaatsreform punkten – Edmund Stoiber verteidigt soziale Errungenschaften
Gerhard Schröder unternimmt auch seinen zweiten Reformanlauf mit dem Mut der Verzweiflung und am Rande einer Niederlage. Wir haben verstanden, verkündete er, als die SPD die Europawahl 1999 verloren hatte. Es kamen Haushaltskonsolidierung, Steuer- und Rentenreform. Das hat links wie rechts nicht allen gefallen, der Regierung aber Pluspunkte gebracht.
Jetzt, kurz vor der Wahl, schickt er stellvertretend eine Kommission ins Rennen, die wichtige „Errungenschaften“ seiner Regierung (Scheinselbstständigkeit, 630-Mark-Gesetz) wieder kassiert und deren Vorschläge am Ende nicht nur die Arbeitsämter verändern werden. Kein Zweifel: Peter Hartz ist (neben dem Kanzler) der wichtigste Wahlkämpfer der SPD. Alles ist sorgfältig arrangiert: Die SPD soll die Vorschläge zwei Tage später beschließen, ehe sie sie recht gelesen hat. Die Fraktion macht Ferien. Die Gewerkschaften schweigen: Es wird ja nicht so heiß gegessen wie gekocht.
Es ist ein Putsch von oben, den Schröder & Co da versuchen. Am Anfang standen zwei Erfahrungen: Die SPD lässt sich von innen nicht reformieren. Deshalb sind mit ihren Beschlusslagen keine Fortschritte bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu erzielen. Wie der Putsch ausgeht – als ein großer Bluff oder als Beginn einer großen Reform – das ist eine offene Frage. Es ist durchaus möglich, dass er Erfolg bringt: Stimmen bei der Wahl und danach eine andere Politik. Wir haben verstanden könnte jetzt heißen: Wir haben aus Fehlern gelernt. Auf dem bisherigen Weg geht es nicht weiter. Reformen müssen sein. Und im Übrigen liege, so das Ceterum censeo, die soziale Gerechtigkeit bei der SPD in guten Händen.
Über den Erfolg dieser Strategie dürfte am Ende entscheiden, wem die Wähler mehr glauben: dem Amtsinhaber, der in Aussicht stellt, was seine Regierung bisher aus Rücksicht auf Partei und Gewerkschaften nicht einmal angedacht hat, oder dem Herausforderer, der vor Kürzungen warnt, soziale Ausgewogenheit anmahnt und sich gelegentlich päpstlicher als der Papst, will sagen: sozialer als die SPD gibt.
Das ist durchaus eine neue, noch etwas gewöhnungsbedürftige Schlachtordnung. Die Union versucht, den erfolgreichen SPD-Wahlkampf 1998 zu kopieren – in einer Situation, in der sich die SPD aus purer Angst vor sofortigem Wiederabstieg genau von diesem Kurs des Allen-wohl-und-niemand-wehe zu verabschieden scheint. Die Stimmung ist nach wie vor ambivalent, aber doch reformbereiter als früher, wie die positive Reaktion auf die Hartz-Vorschläge zeigt.
Passend dazu wäre ein politisches und personelles Angebot, das Vertrauen in die Zukunft, Sicherheit im Wandel und Verlässlichkeit in schwierigen Zeiten symbolisiert. Dazu gehören freilich auch klare Aussagen und Positionen, bei denen die Wähler wissen, woran sie sind. Die Umfrageergebnisse für die Union lassen sich so interpretieren, dass viele in ihr dieses Angebot gesehen haben, auch wenn vieles im Ungefähren bleibt.
Die SPD wollte, um dies zu verhindern, Stoiber in die rechte Falle locken. Das ist nicht gelungen. Jetzt hat sie ihn in eine andere Verlegenheit gebracht. Es fällt schwer, seine Reaktion auf die Hartz-Vorschläge nicht zu ironisieren: Die machen etwas Richtiges, aber das dürfen sie doch eigentlich gar nicht. Warum ändern sie kurz vor Schluss ihr altmodisches Spiel, das uns doch bequem in Führung gebracht hat? Redet so einer, der sich seiner Sache sicher ist?
Der Grund für dieses etwas blasse Profil, zuletzt auch im Seehofer-Papier zur Sozialpolitik, ist ein doppelter: Viele in der Union glauben, die Wahl 98 nicht wegen Kohl, sondern wegen Schäuble und unpopulären Reformansätzen verloren zu haben. Das soll nicht noch einmal passieren. Hinzu kommt, dass sie in vielem nicht so einig ist wie es scheint. Viele halten zum Beispiel Riesters Rentenreform (private Vorsorge) prinzipiell für den falschen Weg. So bleibt die Botschaft eingewattet in flauschige Versprechen, bleiben Personen (Späth, Reiche), die Reformbereitschaft signalisieren. Und im Übrigen ergeht das Ceterum censeo, dass bei ihr der Aufschwung in guten Händen liege.
So bietet dieser Wahlkampf verkehrte Welten und verquere Fronten, die verdecken, was sonst offensichtlich wäre: Beide Seiten sind unterwegs, den Sozialstaat behutsam zu reformieren. Die wichtigsten Linien lassen sich deutlich erkennen: Zukunft haben Vorschläge, welche die Sicherheitsbedürfnisse der Arbeitnehmer mit den Flexibilitätswünschen der Arbeitgeber verbinden. In diese Richtung zielen Vorschläge der Hartz-Kommission zu Zeit- und Leiharbeit ebenso wie die Kombilöhne der Union oder eine (degressive) Übernahme mancher Sozialbeiträge durch öffentliche Kassen, die die Arbeit für die einen attraktiver und für die anderen billiger macht.
Riester wie Seehofer sagen, was im Wahlkampf 98 noch völlig undenkbar war: Die gesetzliche Rente kann im Alter den Lebensstandard nicht mehr sichern. Noch zieren sich alle, die SPD mehr, die CDU weniger, vor einer ähnlichen Aussage zur Gesundheitspolitik. Aber es wird immer schwieriger, ob in der Sozial-, Agrar- oder Bildungspolitik, die Schwachen vorzuschieben, um die Starken weiter zu subventionieren.
Zukunft haben Vorschläge, die die Konsequenz ziehen aus der Tatsache, dass Höhe und Dauer von Transferzahlungen etwas mit Arbeitslosigkeit zu tun haben. Zwar macht es durchaus Sinn, nicht sofort jemanden in eine weniger anspruchsvolle Tätigkeit zu schicken, weil dadurch leicht Kompetenzen verloren gehen, die die Wirtschaft später braucht. Aber es macht wenig Sinn, Arbeitsfähige länger als ein Jahr auf relativ hohem Niveau zu alimentieren, denn Arbeitslosigkeit erzeugt Arbeitslosigkeit.
Zukunft haben schließlich Vorschläge, die eine neue Balance von Fördern und Fordern schaffen. Dabei geht es um einen doppelten Imperativ, und das in zwei Richtungen: Fördern allein hilft genauso wenig wie zwangsweise Endlosschleifen im Billiglohnbereich. Und gefordert sind nicht nur Empfänger von Leistungen, sondern auch Ämter und Behörden, sich so zu ändern, dass sie überhaupt sinnvoll fordern und fördern können. Diese Erkenntnis setzt sich langsam durch, den Statistikern der Bundesanstalt sei Dank.
Und doch gähnt hier auch das große schwarze Loch in den Entwürfen aller Parteien: Die Kommunen kommen in ihnen praktisch nicht vor. Dabei können nur dort die sozialen Übel überwunden werden. Jede Reform, die die Kommunen nicht als zentrale politische Akteure behandelt, sie mit mehr Kompetenzen und mit mehr Geld ausstattet, wird Stückwerk bleiben. Und das andere große Tabu: Wenn Arbeit zu teuer ist, nutzt keine Reform der Arbeitsämter, sondern eine Entlastung des Faktors Arbeit und eine Belastung von Energie, Verbrauch und Vermögen und sämtlichen Einkommensarten. Angesagt wäre also eine intelligente Verteilungsdebatte.
Das sind weite Perspektiven. Aber ein Anfang ist gemacht. Und das in einem Wahlkampf, der scheinbar gar keiner ist. WARNFRIED DETTLING
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