: Kirche der Generation Golf
Nach den Zeiten des Verfalls und der notdürftigen Reparatur gibt es jetzt für Schinkels Elisabethkirche in der Invalidenstraße ein multifunktionales Wiederaufbaukonzept als Konzert- und Tagungsstätte
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
In den Zeiten des Sozialismus war Karl Friedrich Schinkels kleine Elisabethkirche zwischen den bröckelnden Fassaden der Invalidenstraße in Mitte nur mehr ein Beispiel des baulichen Verfalls der historischen Innenstadt Berlins. Die im Zweiten Weltkrieg zerbombte Kirche lag – als Ruine hinter Buschwerk versteckt – in einen Dornröschenschlaf. Kaum besser erging es der Kirche nach dem Fall der Mauer. Während im Umfeld die Gebäude saniert wurden, blieb die wohl schönste von Schinkels vier so genannten Berliner Vorstadtkirchen weiter eine Ruine. Lediglich mit Sicherungsmaßnahmen, wie dem 1994 von der Stiftung Denkmalpflege spendierten Notdach, und kleinen Ergänzungsarbeiten im leeren Innenraum und am Mauerwerk, wurde die vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. in Auftrag gegebene Kirche vor dem endgültigen Zusammenbruch gerettet. Für eine Sanierung der Elisabethkirche (1835) allerdings fehlte das Geld – und vor allem ein Konzept, zumal die wenigen Mitglieder der Gemeinde keine Verwendung der Kirche als Gotteshaus sahen.
Es ist keinem Wunder, sondern der Beharrlichkeit des Berliner Architekten Klaus Block, des Pfarrers Hartmut Scheel samt Gemeinderat und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Denkmalschützern geschuldet, dass die Elisabethkirche bis 2004/2005 wieder aufgebaut und eröffnet werden kann. Grund dafür ist ein verändertes Nutzungskonzept, das die Gemeinde und der Architekt seit Jahren verfeinert haben und die Kirche als „multifunktionalen Raum für spezifische Events“ definiert: nämlich als lokale Räumlichkeit für Synoden, Gemeindearbeit, für Tagungen, bezirkliche Kultur- sowie Musikveranstaltungen – und in Ausnahmefällen für große Konzerte oder Ausstellungsprojekte (was auch den Unterschied zur „überregionalen“ Funktion der Parochialkirche ausmachen soll). Grund ist auch die Zusage von rund 2,5 Millionen Euro aus EU-Mitteln, Geldern des Landes sowie der Denkmalstiftung, wie Petra Roland von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung versichert.
Im Mittelpunkt des Konzepts steht zwar der Wiederaufbau und die Neubespielung des Kirchenschiffs. Hinzu kommt, dass das neben dem Zentralbau liegende Gemeindehaus mit seinen beiden Sälen in die veränderten Nutzungen einbezogen und mit Garderoben, Sanitäranlagen und Technik ausgestattet wird. Geplant ist zugleich, Kirche und Gemeindehaus durch einen unterirdischen Gang zu verbinden, der den „Link“ beider Häuser erleichtern soll.
Den Umbau der Elisabethkirche, die Schinkel wie einen Tempel mit einem klassizistischen Portikus, dem rechteckigen einschiffigen Innenraum für damals 1.200 Personen, Holzemporen, einer kleinen Apsis und aufwändiger Wandbemalung entworfen hatte, will Block nicht als Rekonstruktion verstanden wissen. Es gehe „gewissermaßen um eine bessere Reparatur“ der Kirche. Die abgebrannten umlaufenden Doppelemporen würden nicht wieder hergestellt, historisierende Ergänzungen nur ganz zurückhaltend angewandt. Gänzlich soll auf die ehemalige Bemalung verzichtet werden, um den heutigen Raumeindruck des Verlustes und „der Leere“ nicht zu überdecken.
Wiederherstellen will Block dagegen die Empore über dem Südeingang. Neu entstehen sollen auch die Mauerwerkstürme an den Ecken als Zugänge zur Empore und das Dach mit einer flachen Decke aus Holz, in die ein Oberlicht eingelassen ist.
Die Planung, so der Architekt, bilde mit Absicht „keine Nachschinkelung“, sondern eine „Synthese von vorhandenem Original und Neufassung mit den technischen Notwendigkeiten, wobei die Schinkel-Substanz nicht überformt werden sollte“. Blocks Vorstellungen stießen lange Zeit auf eine geteilte Meinung. Mitglieder der Gemeinde und Schinkel-Experten forderten eine weniger klare Abgrenzung zum einstigen Original.
Schinkels wunderbare kleine Elisabethkirche lässt sich derzeit duch eine begehbare Skulptur von Colin Ardley und Hermann Scheidt erleben, die eine Rampe vom Eingang in den Innenraum hinein gebaut haben. Im Kirchenschiff steigt die Rampe bis zur halben Raumhöhe an, verändert mehrfach im Zickzack die Richtung und endet schließlich in einem Aussichtspodest, das die Kirche als stimmige architektonische Fassung für das Kommende erleben lässt.
Hartmut Scheel, Pfarrer der Gemeinde, spricht darum nicht zu Unrecht davon, „dass sich hier auch andere Dinge als nur der Gottesdienst inszenieren lassen“ und das Konzept aus kirchlicher und kommerzieller kultureller Nutzung ein zukunftsträchtiger Ansatz für das Haus bedeute. Scheel hat dafür auch Argumente: Der demografische Wandel hat in den vergangenen Jahren das Quartier um die Eliabethkirche ebenso erfasst, wie den gesamten Berliner Bezirk Mitte. Eine „neue Generation von Zugezogenen um die Dreißig“ bilde mit ihren kulturellen und sozialen Interessen das neue Publikum für die Kirche, prophezeit Scheel. Die Sinn suchende „Generation Golf“ in der Elisabethkirche? Eine Vorstellung, die bis 2004/2005 Wirklichkeit werden könnte.
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