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Ein außergewöhnlicher Coup

Franz Müntefering hat nicht nur alle Journalisten gegen sich aufgebracht. Auch für den Wahlkampfauftakt der SPD interessierte sich gestern niemand

aus Hannover JENS KÖNIG

Im Gehirn fast eines jeden Politikers scheint es ein kleines Zentrum zu geben, das offenbar nur dafür eingerichtet ist, komplett auszufallen, wenn es um das Verhältnis der eigenen Person oder der eigenen Partei zu den Medien geht. Das kleine Zentrum ist dann tot und kann kein Signal mehr an seinen Besitzer senden. Es kann ihn nicht mehr davor warnen, dass es fast nie etwas bringt, Medien zu beschimpfen oder zu verklagen, nur weil man sich von ihnen ungerecht behandelt fühlt. Strauß, Lafontaine, Lambsdorff, Kohl … Die Liste der Verirrten ist lang.

Bei Franz Müntefering ist dieses kleine Zentrum am Freitagnachmittag ausgefallen. Der SPD-Generalsekretär konnte seinen Zorn über die Miles&More-Kampagne der Bild-Zeitung nicht länger zurückhalten und stellte bei verschiedenen Staatsanwaltschaften Strafanzeige. Für diese juristische Übung schlüpfte er in die für ihn sonst ungewöhnliche Zweitrolle als Bundestagsabgeordneter.

Dass das Boulevardblatt sich bei der Veröffentlichung der Bonusmeilen-Sünder auf linke und grüne Galionsfiguren konzentrierte und Leute aus dem Stoiber-Lager verschonte, das stank Müntefering. Aber dagegen konnte er nichts tun. Dass Bild aber nur unter Verletzung des Datenschutzes an diese Informationen gelangt sein konnte, das schien Müntefering sonnenklar und nicht hinnehmbar. Also zeigte er das Boulevardblatt sowie den Bund der Steuerzahler an; der SPD-General vermutete, die beiden steckten beim Verstoß gegen das Datenschutzgesetz unter einer Decke.

Dann kam alles so, wie es kommen musste. Bild fuhr in seiner Montagsausgabe elf prominente Chefredakteure auf (von Spiegel über Stern bis hin zur FAZ), die Müntefering allesamt attestierten, mit der Anzeige eindeutig zu weit zu gehen. Das Echo in den anderen Zeitungen war für den SPD-Generalsekretär ähnlich katstrophal.

Müntefering ist ein außergewöhnlicher Coup gelungen. Er hat durch seine Strafanzeige eine Art Zwangssolidarisierung mit der Bild-Zeitung bewirkt. Das muss ihm erst mal einer nachmachen, und das in einer Situation, wo nicht nur die meisten Journalisten, sondern auch weite Teile der Bevölkerung in der Bonusmeilen-Berichterstattung des Boulevardblattes eine Kampagne erkannt hatten. Fast war man schon geneigt zu glauben, die rot-grüne Regierung könnte durch eine Art Mitleidsbonus von dieser Affäre sogar noch profitieren. Damit dürfte es vorerst vorbei sein.

Aber nicht nur damit. Müntefering hat sich ja nicht nur einen Rohrkrepierer geleistet, der schnell im kollektiven Gedächtnis der Affären-Republik abgespeichert wird. Seine Meisterleistung hat der SPD-Generalsekretär ausgerechnet zum Start des lang ersehnten Wahlkampfes seiner Partei vollbracht. In diesem Wahlkampf wollte die SPD endlich mal wieder über Politik reden, über Kündigungsschutz, Ganztagsschulen und den bösen Stoiber. Wegen ihrer schlechten Umfragwerte hatte die Partei ihre Anhänger extra drei Wochen früher als ursprünglich geplant zu ihrer Auftaktveranstaltung an diesem Montag nach Hannover geladen. Aber worüber musste Müntefering in Hannover nach der SPD-Präsidiumssitzung Auskunft geben? Eben, über seine Anzeige. Die Bonusmeilen-Affäre hat sich spätestens ab jetzt verselbstständigt.

Aber Müntefering schien nicht mal etwas zu dämmern, er zeigte sich nicht etwa einsichtig. Er hat sich, so sagt er selbst, im Parteipräsidium auch keine Kritik anhören müssen. Schröder war offenbar nicht mal sauer, dass sein Generalsekretär ihn über die Anzeige vorher nicht informiert hatte. Im Präsidium sollen sich alle einig gewesen sein: Die Flugaffäre ist eine zielgerichtete Bild-Kampagne gegen Rot-Grün. Nein, sagt Müntefering auf der Pressekonferenz im Maritim-Hotel, seine Anzeige belaste nicht den Wahlkampf der SPD. Er wiederholt stattdessen seinen Vorwurf: Es könne nicht sein, dass Politiker die einzige Berufsgruppe seien, die keinen Datenschutz genieße. Die zum Freiwild erklärt und gejagt werden dürfe. „Da muss man sich wehren“, sagt er. Das heiße natürlich nicht, fügt Müntefering hinzu, dass er die private Nutzung dienstlich erflogener Bonusmeilen bei seinen Kollegen Abgeordneten gutheiße. Und es heiße auch nicht, dass Journalisten nicht recherchieren dürften.

Was er darunter versteht, sagt der Generalsekretär eine halbe Stunde später, draußen auf dem Opernplatz in Hannover während der Auftaktveranstaltung des SPD-Wahlkampfes. „Wir lassen uns von Bild-Journalisten nicht plattmachen“, ruft er den Schröder-Anhängern zu. „Das sind Leute, denen es nicht gelungen ist, Kohls Spender ausfindig zu machen.“ Münteferings kleines Zentrum im Gehirn war schon wieder stillgelegt.

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