piwik no script img

Adelinas Stiefvater – Aktenzeichen ungelöstRichter rügt Ermittlungspannen

Freispruch im Geisel-Prozess

Harry K. (47) stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm und einem 51-jährigen Mann vorgeworfen, den Stiefvater der getöteten Adelina in einen Wald bei Syke verschleppt und ihn dort gefesselt und malträtiert zu haben, damit er Informationen über das Verschwinden seiner 10-jährigen Stieftochter preisgebe. Mehr als sechs Monate hatte K. wegen dieser Vorwürfe in Untersuchungshaft gesessen. Gestern entschied das Bremer Landgericht: Freispruch. „Den Angeklagten kann die Tat nicht nachgewiesen werden“, sagte der Richter Klaus-Dieter Schromek.

Der Prozess hatte bereits am ersten Verhandlungstag vor drei Wochen seine entscheidende Wende genommen: Der Hauptbelastungszeuge, der entführte Stiefvater Sergej Z., hatte nach der Mittagspause seine bereits begonnene Aussage abgebrochen. Begründung: Er wolle seine Ex-Frau, die Mutter von Adelina nicht belasten, um ihr gemeinsames Kind, die Halbschwester der ermordeten Adelina, nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Adelinas Mutter war anfangs selbst im Verdacht geraten, in die mutmaßliche Entführung ihres Ex-Gatten verwickelt zu sein. Im Mai hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen sie jedoch eingestellt.

„Dilettantische Polizeiarbeit“

Ohne die Mithilfe dieses Zeugen stand die gesamte Anklage in dem Geisel-Prozess auf wackeligen Füßen. Denn die Polizei hatte bei ihren eigenen Vernehmungen versäumt, den Stiefvater auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hinzuweisen. Die Aussagen, die Sergej Z. damals, vor dem Prozess, gemacht hatte, konnten daher nicht verwertet und die als Zeugen geladenen Polizeibeamten „nur rudimentär befragt“ werden, wie der Staatsanwalt beklagte.

„Dilettantische Polizeiarbeit“ kritisierte auch die Verteidigung. Denn der Angeklagte K. habe unter anderem sechs Monate in Untersuchungshaft gesessen, weil sich ein auf seinen Namen angemeldetes Handy zum Tatzeitpunkt angeblich am Tatort befunden habe. Erst im Laufe des Prozesses sei dann herausgekommen, dass die Ortsangaben, die der Handy-Betreiber übermittelt hatte, nur sehr ungenau gewesen seien. K. habe zudem zwei Handys besessen, diese seien auch von anderen benutzt worden. „Das hätten die Ermittler im Vorfeld klären müssen“, sagte ein Verteidiger. Selbst der Richter fand es „sehr erstaunlich“, dass die Kripo überhaupt nie an die anderen Nutzer von K.s Handy herangetreten war.

Verbrechen bleibt ungeklärt

Die Polizei gab die Vorwürfe gestern an die Staatsanwaltschaft weiter: Diese allein leite die Ermittlungen. Staatsanwalts-Sprecher Thorsten Prange machte hingegen den Entführten selbst für das Scheitern des Prozesses verantwortlich. Es sei zwar „misslich“, dass die Polizei-Vernehmungsprotokolle nicht verwertet werden konnten. Entscheidend sei jedoch, dass Sergej Z. seine Aussage verweigert habe. Prange: „Das ist seine persönliche Entscheidung.“ Es sei fraglich, ob sich die Staatsanwaltschaft unter diesen Voraussetzungen überhaupt weiter mit dem Fall des Stiefvaters befassen werde.

Armin Simon

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen