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Die Opfer werden identifiziert

Die israelische Regierung behält sich nach dem verheerenden Busanschlag das Recht auf Vergeltungsschlag vor, will aber die Interessen der USA berücksichtigen. Deren Vermittler Burns wird morgen in Jerusalem erwartet. Die Erwartungen sind gering

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Vierundzwanzig Stunden nach dem verheerenden Anschlag auf einen Linienbus im Norden Israels war gestern die Identifikation der vierzehn Todesopfer noch nicht abgeschlossen. Von einem „der schlimmsten Anschläge, den ich je gesehen habe“, berichtete Yehuda Hiss, Direktor des pathologischen Instituts Abu Kabir in Jaffa. Zwei Aktivisten des Islamischen Dschihad hatten in einem Geländewagen unmittelbar neben dem Bus etwa einhundert Kilogramm Sprengstoff gezündet. Der israelische Rundfunk gab die Namen der identifizierten Opfer im Laufe des Tages bekannt. Die Polizei verstärkte gestern das Personalaufgebot an der Autobahn, auf der sich das Unglück ereignete.

Die israelische Regierung sah zunächst von einem Militärschlag ab und beschränkte sich auf erneute Reisebeschränkungen und Ausgangssperren in mehreren Städten im Westjordanland. In einem Flüchtlingslager unweit von Nablus zerstörten Soldaten die Häuser mutmaßlicher Terroristen.

Die Regierung will den eigenen Interessen entsprechend „zur geeigneten Zeit und am geeigneten Ort“ auf das Attentat reagieren, hieß es. Von einer erneuten Belagerung der Büros von Palästinenserchef Jassir Arafat ist vorläufig keine Rede. Innenminister Eli Ischai erklärte gegenüber dem Armeesender, Israel werde mit Blick auf den bevorstehenden Krieg gegen Irak „die amerikanischen Interessen berücksichtigen“.

Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliesar bestritt hingegen, dass die USA Druck auf Israel ausübten, auf einen Vergeltungsschlag zu verzichten. Wahrscheinlich ist hingegen, dass der bevorstehende Besuch von William Burns die Israelis zur Zurückhaltung bringt. Ähnlich wie frühere amerikanische Vermittlungsversuche werden auch die des US-Nahostbeauftragten, der morgen in Jerusalem erwartet wird, von einem Terrorakt überschattet. Burns kommt, um den Konfliktseiten die neue politische „Landkarte“ aus Washington vorzustellen.

Der amerikanische Friedensplan sieht allerdings kaum etwas anderes vor, als neue Termine für alte Ideen. So soll die ursprünglich für dieses Jahr geplante internationale Friedenskonferenz erst im kommenden Herbst stattfinden, vorausgesetzt, dass bis dahin die von den USA geforderten Reformen innerhalb der Autonomiebehörde vorgenommen wurden. Die Verhandlungen über die End-Status-Lösung sind für die Jahre 2004 bis 2005 geplant.

Die Mission von Burns im Nahen Osten macht den Eindruck, so kommentierte die liberale Tageszeitung Ha’aretz am Dienstag, als würde das Weiße Haus damit nichts anderes verfolgen, als „dem Quartett zu signalisieren, dass es sich für den Friedensprozess engagiert“, während es gleichzeitig den Feldzug gegen den Irak vorgereitet. Burns will am Freitag in Jericho mit der palästinensischen Führung zusammenkommen, nicht jedoch mit Arafat selbst.

Der Abgeordnete der Arbeitspartei Chaim Ramon warf der Regierung Fahrlässigkeit vor, da sie die Idee einer Trennungsanlage zu lange missachtet habe. Der Anschlag am Montag fand nur wenige Kilometer von der alten Grenzlinie entfernt statt. Erst im vergangenen Frühjahr wurde der Bau von Trennzäunen und Mauerteilstücken aufgenommen. Bis zum Juli kommenden Jahres sollen die ersten knapp einhundert Kilometer der Sicherheitsanlage fertig gestellt werden. Gegenüber dem Rundfunksender „Stimme Israels“ forderte Ramon zudem zu einem sofortigen Abzug aus dem Gasastreifen auf. Die Auflösung der dortigen Siedlungen sei „ohnehin nur eine Frage der Zeit“, deshalb habe es „keinen Sinn, unnötig Menschenleben zu gefährden“. Verteidigungsminister Ben-Eliesar kündigte unterdessen rechtliche Schritte gegen die jüdischen Siedler an, die am Wochenende den Protest gegen die Räumung eines illegalen Vorposten anführten.

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