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Neuland für die Justiz

Mit dem Haffa-Prozess wird erstmals ein Skandal des Neuen Markts in einem Strafverfahren aufgearbeitet

MÜNCHEN taz ■ Wer vor gut zwei Jahren den falschen Gewinnprognosen der Brüder Thomas und Florian Haffa glaubte und Aktien ihres Medienunternehmens EM.TV kaufte, endete nicht selten im Ruin. Der Aktienkurs stürzte von rund 115 Euro, dem Höchststand im Februar 2000, auf unter 1 Euro ab. Heute können Aktionäre die einst gefeierten EM.TV-Gründer in einem Gerichtssaal des Landgerichts München I beobachten. Getäuschte Anleger werden auf den 68 Plätzen der Zuschauerempore sitzen und einer hohen Strafe für die Haffas entgegenfiebern. Auf der Anklagebank werden der Exvorstandsvorsitzende, Thomas (50), und sein 13 Jahre jüngerer Bruder, Exfinanzvorstand Florian Haffa, mit ihren beiden Anwälten für einen Freispruch kämpfen.

Der Fall EM.TV wird zum Pilotprozess. Zum ersten Mal wird ein Skandal des inzwischen verrufenen Neuen Markts der Frankfurter Börse in einem Strafverfahren aufgerollt. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) fordert schon lange, dass in Deutschland wie in den USA hochrangige Manager bei betrügerischen Aktiengeschäften mit Gefängnis bestraft werden.

Doch hierzulande existiert kein eigenes Anlegerschutzgesetz. Die Staatsanwaltschaft betritt Neuland. Sie führt Paragraf 400 des Aktiengesetzes an, der die unrichtige Darstellung der Unternehmensverhältnisse unter Strafe stellt. Falls die Haffas schuldig gesprochen werden, steigen die Chancen der betroffenen Aktionäre, zum ersten Mal in der Bundesrepublik in einem separaten Zivilprozess Schadenersatz zu erzwingen. Das Haffa-Vermögen wird schließlich auf mindestens eine Viertelmilliarde Euro geschätzt.

Der Prozess wird dauern. Die Wirtschaftskammer terminierte bereits Verhandlungstage bis in den Januar und reservierte 98 Sitzplätze für Journalisten. Als Zeugen werden womöglich auch die EM.TV-Geschäftspartner, der gescheiterte Medienmogul Leo Kirch und ProSiebenSat.1-Chef Urs Rohner geladen. Die Staatsanwaltschaft muss aufwändig beweisen, dass die Haffa-Brüder bewusst falsche Gewinnangaben machten. In der Anklageschrift werden beide beschuldigt, sie hätten monatelang einen Jahresumsatz von 1,7 Milliarden und einen Gewinn von 616 Millionen Mark vorausgesagt, die auf falschen Zahlen beruht hätten. Später musste das Unternehmen in der Jahresbilanz sogar 2,8 Milliarden Mark Verlust ausweisen.

Die Staatsanwälte führen neben Pressemitteilungen auch Interviews der Haffas an. So sagte Florian im Oktober 2000 im Fernsehsender N24: „Das Geschäft läuft sehr, sehr gut, super. Es gibt nichts Negatives zu berichten.“ Dabei hätten damals bereits die Barmittel nicht mehr ausgereicht, um die kurzfristig fälligen Verbindlichkeiten zu tilgen.

Anwalt Klaus Rotter, der über 600 EM.TV-Anleger vertritt, meint: „Hier treffen aktives Lügen und aktives Unterlassen aufeinander.“ Rotter fordert eine strenge Strafe: „Wenn die Haffas nur mit einem Bußgeld davonkämen, wäre dies rechtswidrig.“ OLIVER HINZ

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