Architekt Frei Otto gestorben: Der Meister des Schwebenden
Das Zeltdach des Münchner Olympiastadions machte Frei Otto in der Welt der Architektur zum Star. Jetzt ist er im Alter von 89 Jahren gestorben.
LEONBERG dpa | Alles hätte so schön werden sollen. In zwei Wochen wollte die Jury des renommierten Pritzker-Preises verkünden, dass die oft als „Nobelpreis für Architektur“ bezeichnete Ehrung in diesem Jahr an Frei Otto geht. Mitte Mai, kurz vor seinem 90. Geburtstag, sollte der deutsche Architekt dann die Auszeichnung in Miami aus der Hand seines berühmten Kollegen Frank Gehry erhalten.
Doch das sollte Otto nicht mehr erleben. Der Schöpfer der Zeltdachkonstruktion des Münchner Olympiastadions starb am Montag im Alter von 89 Jahren, wie seine Witwe Ingrid der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag bestätigte. Die Pritzker-Jury zog die Verkündung der Ehrung daraufhin vor. Otto ist erst der zweite Deutsche – nach Gottfried Böhm 1986 – der den seit 1979 jährlich vergebenen Preis erhält und der erste, der ihn posthum bekommt.
Ottos Arbeiten seien „leicht, offen für Natur und Licht, nicht-hierarchisch, demokratisch, günstig und energiesparend“, begründete die Jury ihre Auswahl. Die Nachricht von seinem Tod sei „sehr traurig“, sagte Tom Pritzker, der Vorsitzende der Hyatt-Stiftung, die den Preis verleiht. „Die Karriere von Frei Otto ist ein Vorbild für Generationen von Architekten und sein Einfluss wird sich weiter bemerkbar machen.“ Die Verleihung des Preises im Mai in Miami soll nun zu einer Würdigung von Ottos Leben und Werk werden.
Der 1925 im sächsischen Siegmar geborene Otto war Sohn eines Bildhauers und Schüler des Star-Architekten Mies van der Rohe (1886-1969). Der ungewöhnliche Vorname „Frei“ ist angeblich eine Erfindung der Mutter. Es soll ihr Lebensmotto gewesen sein. Bereits früh beschäftigte sich Otto mit Flugzeugen und deren Konstruktion. Über Experimente zu Aerodynamik und die Prinzipien dehnbarer Membrane gelangte er schließlich zu seinen „natürliche Konstruktionen“ genannten Tragstrukturen.
S21? Nein danke
Otto präsentierte verspielt-poetische Entwürfe – und das in einer Zeit, in der wegen der Kriegszerstörungen in Deutschland eher ein funktionales Bauen gefragt war. Nachdem er jahrelang ein Architekturbüro in Berlin betrieben hatte, richtete die Stuttgarter Universität in den 60er Jahren ein „Institut für leichte Flächentragwerke“ für den Meister des Schwebenden und Schwingenden ein. Dort konnte er bis zu seinem offiziellen Ausscheiden als Institutsleiter 1990 experimentieren.
Neben der Zeltdachkonstruktion des Münchner Olympiastadions entwarf er gemeinsam mit Kollegen unter anderem auch den Japanischen Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover und das Spinnennetzdach über dem Deutschen Zeltpavillon für die Weltausstellung 1967 in Montréal. Auch in Kassel, Köln und der arabischen Welt war Otto tätig.
Eine Zeit lang arbeitete er auch am umstrittenen Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 mit, distanzierte sich dann aber davon. Der vielfach ausgezeichnete Architekt verlor nie das Ziel aus den Augen, Wissenschaft und Natur in Einklang zu bringen. Einige seiner Visionen blieben auf das Reißbrett beschränkt, darunter eine weitflächig sonnenbeschirmte „Stadt in der Wüste“ oder die von einer riesigen transparenten Kunststoffkuppel überdachte „Stadt in der Arktis“.
Nach dem Tod des Star-Architekten bleibt ein Trost: Otto hat von der Ehrung mit dem Pritzker Preis – der höchsten Auszeichnung seiner Branche – noch erfahren. Die Entscheidung sei bereits Anfang des Jahres gefallen und ihm danach direkt überbracht worden, teilte die Jury mit.
„Ich habe nie etwas getan, um diesen Preis zu erhalten“, habe er daraufhin gesagt. „Das Gewinnen von Preisen ist nicht mein Lebensziel. Ich versuche, armen Menschen zu helfen. Aber was soll ich sagen, ich bin sehr glücklich.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“