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Arbeitszeit in DeutschlandFaulsein fürs Klima

Lotte Laloire
Kommentar von Lotte Laloire

Letzte Woche forderte Merz: mehr Arbeit für den Wohlstand. Neue Zahlen scheinen ihm recht zu geben. Dabei wäre Faulenzen besser, auch für die Umwelt.

Auch dieser Kollege hat ein Recht aufs Faulsein Foto: panthermedia/imago

E s braucht dringend eine Arbeitszeitverkürzung: für Friedrich Merz. Dann bekäme sein Hirn die Erholung, die nötig ist, um klare Gedanken zu fassen. Statt die 500 Meter im Auto vom Bundestag zum Kanzleramt zu fahren, könnte er es sich dann leisten, zu Fuß zu gehen. Dabei käme der Pöbler in Kontakt mit dem „Volk“.

Dazu gehören nicht nur hart schuftende Paketboten, Reinigungskräfte oder Sicherheitspersonal, die allesamt ein besseres Leben verdient hätten. Zur arbeitenden Bevölkerung gehören auch Sachbearbeiter, Ingenieurinnen oder Lehrer. Viele von ihnen, inklusive seiner eigenen Wähler*innen, fühlen sich derzeit vom Bundeskanzler beleidigt.

Denn Merz meint, die Deutschen arbeiteten zu wenig. Neue Zahlen von Eurostat zeigen, dass in Deutschland mit 34,8 Stunden pro Woche weniger geackert wird als in den meisten anderen EU-Ländern. Auch das Institut der deutschen Wirtschaft teilte jetzt mit: Wir arbeiten pro Jahr im Schnitt 135 Stunden weniger als die Griechen. Hä? Hat Merz also recht?

Natürlich nicht. Und das hat mindestens drei Gründe. Ob diese oder jene Statistik, eine halbe Stunde mehr oder weniger, ist völlig egal. Jedes Kind weiß, zu viel Arbeit schadet der Familie. Auch Freundschaften und Frauen leiden darunter. Dass gerade berufstätige Mütter oft endlos gestresst sind, ist hinlänglich bekannt – viele haben ja selbst eine.

Da klingt es zwar nett, dass Arbeitsministerin Bärbel Bas die Arbeitsbedingungen für Frauen verbessern will. Aber ein überzeugendes Konzept und vor allem Investitionen, um Frauen, die künftig noch mehr lohnarbeiten sollen, an der Sorgearbeits-Front zu entlasten, hat die Koalition bisher nicht vorgelegt. Schon allein deshalb ist mehr Arbeit aus feministischer Sicht abzulehnen.

Auch Bas und ihre SPD, die bei der Bundestagswahl das schlechteste Ergebnis aller Zeiten eingefahren hat, sollten dringend mal freimachen. Dann könnte sie lesen, ins Museum gehen und sich an die eigene Geschichte erinnern: Denn es war die Ar­bei­te­r*in­nenbewegung – also SPD-Klientel –, die aus guten Gründen den 8-Stunden-Tag, das Recht auf Urlaub und vieles mehr erkämpft haben. Auch heute wünschen sich mehr als 80 Prozent der Vollzeitbeschäftigten eine Vier-Tage-Woche. Aber vor lauter Arbeiten, äh Regieren, hat die SPD ja keine Zeit, sich auszurechnen, was für ein Wählerpotenzial sie hätte, würde sie Politik für die Mehrheit machen.

Mit Eduard Bernstein war es im Übrigen ein Sozialdemokrat, der „Das Recht auf Faulheit“ von Paul Lafargue ins Deutsche übersetzt hat. Das Buch wird heute meist folk­loristisch als Anleitung fürs Lotterleben zitiert. Dagegen ist nicht das Geringste einzuwenden. Vor allem aber bietet es eine wertvolle Kritik am Arbeitsbegriff des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der Kapitalismus hat sich seitdem weiterentwickelt, weniger allerdings die von Lafargue kritisierte Ideologie, mit der bürgerliche „Philosophen“ und „Wirtschaftsexperten“ bis heute Ausbeutungsbereitschaft in die Köpfe des Humankapitals hämmern.

Lafargue schreibt: „Wie verdorben sind doch die modernen Proletarier, dass sie geduldig das entsetzliche Elend der Fabrikarbeit akzeptieren.“ In heutigen Drecksjobs arbeiten Leute meistens, weil sie Geld brauchen – und sind froh, wenn sie endlich Feierabend machen können. Auch die Griechen arbeiten heute vor allem deshalb so viel, weil die Löhne in ihrer von Deutschland und der EU zugrunde gerichteten Wirtschaft so schlecht sind, dass sie anders nicht überleben würden.

Zugleich dürfte sofort jedem eine arbeitssüchtige Person aus dem eigenen Umfeld einfallen – ob Fabrikmalocher oder Grafikdesignerin. Das Problem ist also nicht nur Merz, sondern auch der Arbeitsfetisch in weiten Teilen der Bevölkerung und dass viele die Aussage von Merz, sie arbeiteten zu wenig, überhaupt als Beleidigung auffassen.

Warum finden Leute Arbeit so geil? Haben die keine Hobbys? Der Profit, den sie schaffen, landet doch eh bei anderen. Dass Merz uns jetzt mehr knechten will, nur weil in den letzten Jahren Regierungen und Unternehmen die deutsche Wirtschaft mangels Ideen für Innovationen und Transformation gegen die Wand gefahren haben, ist ebenfalls abzulehnen.

Arbeit schadet dem Klima

Ein dritter Grund, dass wir diesen Quatsch nicht mitmachen sollten, lautet: Arbeit schadet dem Klima. Ein Altenpfleger, der den Anspruch hat, dass die Omas und Opas nicht verdursten, und deshalb ständig Überstunden leistet, hat bei einer 50-Stunden-Woche keine Zeit, sich eine Gemüsekiste beim Biobauern zu holen oder mit dem Bus zu fahren. Wer viel arbeitet, hinterlässt oft einen größeren CO₂-Fußabdruck als er oder sie möchte.

Gefährlicher als der Konsum ist für das Klima natürlich die Produktion, also die Sphäre der Arbeit. Nicht nur Tätigkeiten in Rüstungsindustrie, Fleischfabriken oder Chemielaboren bedrohen den Planeten. Wenn ein Arbeiter lange am Fließband steht und 200 Autos herstellt, wird das Klima stärker belastet – das gilt auch für E-Autos –, als wenn er nur 100 baut. Für all das können natürlich die Ar­bei­te­r*in­nen nichts, sondern die Investoren und Manager, die immer mehr Produktivität aus den Beschäftigten pressen müssen.

Der Professor für Technik- und Innovationssoziologie an der Technischen Universität Berlin, Simon Schaupp, beleuchtet in seinem Werk „Stoffwechselpolitik“ die wechselseitigen Effekte von Natur und Arbeit. Eines der konkreten Beispiele darin: Die Betonproduktion ist nicht nur eine der größten Quellen von CO₂ und trägt somit maßgeblich zum Klimawandel bei. Dieser wiederum hat massive Auswirkungen auf die Bauarbeiter: Sie sind bei ihrer Tätigkeit, etwa wenn sie trotz Hitzewellen losgeschickt werden, mit am stärksten von der Erderwärmung betroffen. Aber nicht alle Ar­bei­te­r*in­nen lassen sich das gefallen, das Buch beschreibt zahlreiche interessante Fälle, in denen Ar­bei­te­r*in­nen die naturfeindliche Produktion verweigern.

Auch um unseres eigenen Überlebens willen sollten wir also nicht mehr, sondern weniger arbeiten. Im Vergleich zu CDU und SPD haben die Gewerkschaften das verstanden und fordern Arbeitszeitverkürzungen. Wer streikt oder faulenzt, tut was fürs Klima.

Vielleicht wussten das schon die alten Griechen. Dort waren Intellektuelle nicht wie so viele von heute Einpeitscher des Arbeitsfetischs, sondern Kritiker der Sklaverei. Der Philosoph Herodot jedenfalls verachtete Arbeit – zu Recht.

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Lotte Laloire
Lotte Laloire ist Mitte 30 und immer noch links. Sie arbeitet seit 10 Jahren als Journalistin - für Medien wie taz, nd (Neues Deutschland), Tagesspiegel, Frankfurter Rundschau, Jungle World, Brigitte oder Deutschlandfunk.
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3 Kommentare

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  • Ich möchte hier zwei Vergleiche bringen:



    Der erste betrifft Deutschland und Belgien. Angeblich wird in Belgien sogar noch etwas weniger gearbeitet als in Deutschland. Dennoch ist das Pro-Kopf-BIP von Belgien im Jahr 2023 ein bisschen höher gewesen als das von Deutschland.



    Der zweite Vergleich betrifft Deutschland und Neuseeland. Ich habe gelesen, dass Neuseeland das Land sei, in dem die Menschen am meisten arbeiten. Das Pro-Kopf-BIP von Neuseeland ist jedoch deutlich niedriger als das von Deutschland.



    Kann mir das mal jemand erklären?



    Könnte es sein, dass es eine größere Rolle spielt, WAS und WIE wir arbeiten, als, wie viele Wochenstunden wir arbeiten?

    • @Aurego:

      Ich denke, das liegt an der Berechnung des BIP. Da hat ja auch sowas wie die Flutkatastrophe im Ahrtal eine Auswirkung, weil dort dann im Zuge des Wiederaufbaus große Investitionen getåtigt wurden. Da Konsumausgaben auch mit einfließen und der Binnenmarkt in Deutschland nicht unbedingt rosig aussieht (dank großem Niedriglohnsektor), ist vielleicht auch der Unterschied zu Belgien zu erklären.

    • @Aurego:

      [Ironie an] Es ist ja auch bekannt, dass es Deutschland im 19. Jahrhundert viel besser ging, als die 60-Stunden-Woche noch verbreiteter war [ironie aus]