Arbeitssituation bei Lieferdiensten: Unwürdige Arbeit
Am Internationalen Tag der menschenwürdigen Arbeit fordern Rider und Gewerkschaften in Berlin bessere Bedingungen bei Lieferando & Co.
„Die Menschen werden um ihren ohnehin schon geringen Lohn betrogen“, nennt Sebastian Riesner von der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) eines der Probleme. So würden erbrachte Leistungen teilweise nicht in den Lohnabrechnungen auftauchen. Doch auch Lieferdienste müssten sich an Arbeitsrecht und Sozialstandards halten.
„Wir versuchen schon seit längerer Zeit, bei Lieferando Tarifverträge durchzusetzen“, sagt Riesner. „Doch sie weigern sich, sich mit uns an einen Tisch zu setzen und darüber zu verhandeln.“ Zwar gebe es mittlerweile vereinzelt Betriebsräte, das reiche jedoch nicht aus. „Wir müssen zeigen, dass wir das nicht akzeptieren. Dazu brauchen wir einen langen Atem.“
Dass bei den Lieferdiensten einiges im Argen liegt, ist mittlerweile auch beim Senat angekommen. Das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (Lagetsi) kontrolliert regelmäßig Lieferdienste und inspiziert dabei etwa die Sicherheit der Fahrräder. „Nicht schön“ sei es, was er da schon alles erlebt habe, sagt Lagetsi-Direktor Robert Rath. „Die Unternehmen sind an allem interessiert, aber nicht am Arbeitsschutz der Rider.“
Rider werden über ihre Rechte aufgeklärt
Unsichere Arbeitsmittel, zu schwere Rucksäcke, Angriffe auf Rider im Straßenverkehr und in Restaurants, sexuelle Belästigung – die Probleme der Kurierfahrer*innen sind vielfältig. Um die meist migrantischen Kurier*innen über ihre Rechte aufzuklären, hat das Berliner Beratungszentrum für Migration und gute Arbeit einen englischsprachigen Flyer erstellt, der am Montag bei einer Radtour an die Rider verteilt wird.
Das Faltblatt klärt über Sozialstandards in Deutschland wie die Höhe des Mindestlohns (12,41 Euro), die wöchentliche Maximalarbeitszeit (10 Stunden am Tag/48 Stunden die Woche) oder das Recht auf bezahlten Urlaub (4 Wochen) auf. Auch ganz praktische Tipps sind darin enthalten, etwa was im Fall eines Arbeitsunfalls zu tun ist. Die würden von den Lieferdiensten nicht immer als solche anerkannt, sagt Robert Rath. Und das, obwohl die Rider auf ihren teils nicht einmal verkehrstüchtigen Fahrrädern rücksichtslosen Autofahrer*innen schutzlos ausgeliefert sind.
Für den Schutz der Rider brauche es mehr Unterstützung durch die Senatsverwaltung für Wirtschaft und den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU), sagt Gewerkschafter Riesner. Dort gebe es zwar offene Ohren, es passiere jedoch wenig.
Doch auch die Kund*innen müssten sich über die Arbeitsbedingungen im Klaren sein. Lagetsi-Direktor Rath hat für die wenig Verständnis: „Menschen legen Wert auf nachhaltige Lebensmittel und lassen sich dann Essen in den zwölften Stock ohne Aufzug liefern.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku