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Arbeitsrechtler über Arbeitsverträge„Alle wissen, dass es illegal ist“

Immer mehr Arbeitsverträge seien rechtswidrig, sagt Jurist Peter Schüren. Er fordert Bußgelder und Gewinnabschöpfung zur „Abschreckung“.

Protestaktion der IG Metall gegen Lohndumping von Leiharbeitsfirmen Bild: dpa
Eva Völpel
Interview von Eva Völpel

taz: Herr Schüren, Sie sagen, es gibt immer mehr rechtswidrige Arbeitsverträge . Woran machen Sie das fest?

Peter Schüren: Mir werden immer mehr davon vorgelegt. Da steht etwa drin, Überstunden sind freiwillig und werden nicht bezahlt. Oder es gibt nur Lohn, wenn ein täglicher Mindestumsatz erreicht wird. Regaleinräumen oder Hotelzimmerreinigen im Pseudoakkord für vier Euro Stundenlohn, habe ich auch schon gesehen.

Wo kommt das vor allem vor?

Vor allem dort, wo es keine Tarifbindung oder Betriebsräte gibt, also in den Dienstleistungen.

Kennen die Beschäftigten ihre Rechte nicht?

Doch, ich glaube, alle wissen, dass es illegal ist. Aber die Arbeitgeber wissen, dass sich kaum jemand wehrt. Klagt doch jemand, vergleicht man sich vor Gericht, der Beschäftigte bekommt sein Geld und es wird bei den anderen weitergemacht.

Peter Schüren

59, ist Professor für bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Universität Münster. Er ist zudem Direktor des dortigen Institus für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht.

Welche Konsequenzen erwarten Arbeitgeber noch?

Ganz selten werden sie wegen Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen belangt. Normalerweise passiert aber nichts. Rechtsbruch wird zum Mittel, um Kosten zu senken.

Sie fordern, dagegen entschlossener vorzugehen. Was schlagen Sie vor?

Nach meiner Erfahrung hilft Abschreckung. Wir brauchen einen eigenen Bußgeldtatbestand für die Nutzung rechtswidriger Arbeitsbedingungen zur Kostensenkung. Dann kann man denen, die ihre Mitarbeiter über den Tisch ziehen, ein tüchtiges Bußgeld verpassen und den gesamten rechtswidrig erzielten Gewinn abschöpfen. Wer 250.000 Euro Bußgeld und fünf Millionen Euro Gewinnabschöpfung hinter sich hat, verzichtet vermutlich auf Pseudoakkord und unbezahlte Überstunden.

2010 hat das Bundesarbeitsgericht die Leiharbeitsgewerkschaft CGZP, die teilweise Stundenlöhne von unter fünf Euro vereinbarte, für tarifunfähig erklärt. Wie sieht es aktuell mit Gewerkschaften aus, die im Sinne der Unternehmer handeln?

Es gibt wieder Billigtarife von dubiosen Gewerkschaften. Ein Beispiel ist der Tarifvertrag der christlichen Berufsgewerkschaft DHV mit dem Arbeitgeberverband Instore und Logistik Services, der einen Stundenlohn im Bereich von sechs Euro festlegt. Den Tarifvertrag haben für die DHV die gleichen Leute unterschrieben, die die Dumpinglohntarife in der Leiharbeit abgeschlossen haben. Es ist dringend Zeit, dass ein Bundesland oder das Bundesarbeitsministerium die Tariffähigkeit der DHV vor Gericht überprüfen lässt. Dieser Weg steht ihnen offen, er wird aber viel zu selten genutzt …

2008 aber von der linken Berliner Arbeitssenatorin Heidi Knake-Werner, die das Verfahren gegen die Leiharbeitsgewerkschaft CGZP einleitete.

Ja, aber das war auch die erste Initiative dieser Art seit den fünziger Jahren.

Lohndumping funktioniert auch mit Hilfe von Werkverträgen. Gewerkschaften und einige Arbeitsrechtler fordern, diese strenger zu regulieren. Anhand eines Kriterienkatalogs sollten gute von schlechten Werkverträgen unterschieden werden. Bringt das etwas?

Ich fürchte, da würde gesetzgeberisches Pulver wirkungslos verschossen. Es geht nicht um die rechtliche Einordnung. Es geht um die Arbeitsbedingungen. Wir brauchen beispielsweise einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn für alle Menschen, die in Deutschland arbeiten. Wir müssen unterbinden, dass Scheinwerkverträge praktisch folgenlos bleiben.

Was meinen Sie mit Scheinwerkverträgen?

Häufig hat ein Unternehmer A, der Werkverträge abschließt, auch noch eine Leiharbeitserlaubnis von der Bundesagentur für Arbeit. Die braucht man, um Arbeitnehmer zu verleihen. Vermittelt Unternehmer A nun unter dem Deckmantel eines Werkvertrags, weil er die engen Bestimmungen der Leiharbeit umgehen will, Arbeitskräfte und sind diese in Wirklichkeit Arbeitnehmer, und das fliegt auf, dann ist die Leiharbeitserlaubnis sein Rettungsfallschirm. Ohne die wäre der mit einem Scheinwerkvertrag überlassene Beschäftigte kraft Gesetz Arbeitnehmer des Entleihbetriebs. Mit allen Ansprüchen auf höhere Löhne beispielsweise. Diese Zweckentfremdung der Leiharbeitserlaubnis muss per Gesetz berichtigt werden.

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14 Kommentare

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  • E
    EuroTanic

    Bvor wir auf den "unteren" Ebenen etwas ändern müssen wir erst mal grundlegendes ändern. Deutschland muss endlich seine Besatzer rauswerfen, eine eigene Verfassung wählen und einen Friedensvertrag bekommen. Dann kümmern wir uns um den Rest.

  • H
    Harro

    Es gibt nur einen Ausweg: Gesetze ändern, Hartz-System auflösen.

     

    Alles andere wird den Missbrauch nicht stoppen. Es ist leider relativ leicht, eine Psyeudo-Gewerkschaft zu gründen und über diese dann Ausbeuter-Tarifverträge abzuschließen. Aber selbst der DGB-Vertrag für die Zeitarbeitsbranche reicht bei weitem nicht aus und führt bei vielen Menschen zur Abhängigkeit vom Jobcenter. Die Probleme sind insofern komplex und sind nur durch a n d e r e Gesetze zu lösen.

     

    Außerdem muss man die Frage beantworten, warum so viele Menschen Klagen einreichen, diese aber nur im Einzelfall etwas bewirken?

  • NS
    noch schlimmer verhalten sich Behinderte, ...

    denen AssistentInnen, die ihnen rund um die Uhr bei allen (un)möglcihen Dingen zur Hand zu gehen haben (Redewendung 'zur Hand zu gehen haben': Jargon, der bei solchen Arbeitsverhältnissen gang und gäbe ist).

    Teurer Geldrauswurf der Kommunen, denen die Löcher in den Straßen damit (finanziell betrachtet) irreparabel werden, da Behinderte sich quer durch Europa karren lassen, um gewinnbringend und steuerfrei ihren Amüsement zu frönen. Nix da mit Einzahlung in die Künstlersozialkasse, sondern Hand auf bei den Kommunen!

    Wie wird der persönliche Aufstand hier nur finanziert?

    Einnahmen aus Buchvorlesungen, Tantiemen vom Verlag, Einnahmen aus Tanzvorführungen, siehe (und das ist offensichtlich nur die Spitze eines Eisberges:) http://www.kobinet-nachrichten.org/cipp/kobinet/custom/pub/content,lang,1/oid,30771/ticket,g_a_s_t

    http://www.roland-walter.de/

    Wer finanziert mir eine Reise nach Österreich und anderswo hin, rufe ich da in die Runde. Bewahre, das Geld hierzu will ich nicht von meiner Kommune!

    Fragwürdig, wenn man auf die homepage der Ambulanten Dienste geht und dort sieht, wofür die Kommune bezahlt: fürs Entfernen der CD aus dem Tower des Computers.

    Und die AssistentInnen arbeiten zum (Verhältnis mäßig betrachtet) kleinen Preis; die Summe, die die Kommune am Ende bezahlt, ist aber unvergleichlich höher. Hier besteht offensichtlich eine eigene Rechenkunst, die von den Ambulanten Diensten angewandt wird; siehe http://www.adberlin.com/.

  • 1
    1969

    Der Leiharbeiter ist in Relation zum Normalarbeiter das was ein Gasturbinenkraftwerk in Relation zu einem Braunkohlenkraftwerk ist: sauteuer und wunderbar flexibel - wieso sind diese erheblichen Vorteile nicht im Lohn eingepreist - jeder geistesgesunde Kaufmann würde diese auch für 150% des normalen Tariflohns bevorzugt einsetzen, und jeder Normalarbeiter würde einen Normallohn bevorzugen, der ihm einen nahezu vererbbaren Arbeitsplatz garantiert.

     

    Der 'Trick' an der Sache ist diese NIMM ARBEIT JEDER ART Verpflichtung der Arbeitssuchenden. Ein freier Markt regelt sich in der Marktwirtschaft, ein staatlich geförderter Sklavenmarkt ist jedoch wettbewerbsverzerrend.

  • DS
    dummgehaltenen Sklaven im Sofa

    "Bundesagentur für Arbeit" - noch so ein sozialistisches Politmachtwerk. Passt wie die Faust auf's ÖRR-verblendete Auge.

  • A
    Annelies

    Ja, wenn sich hier zu diesem gravierenden Mißstand ein Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und die SPD zum Jahresende geäußert hätte und nicht das niedrige Einkommen der Bundeskanzlerin beklagt hätte. Das hätte Sympathie- und Zustimmungspunkte für die SPD gebracht. Das gravierende Mißstand ist ein großes Feld in der Gesellschafspolitik für mehr Gerechtigkeit bei der Bewertung und Bezahlung der Arbeitsleistungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer!

     

    Nach dem Willen der Bundesregierung in Koaltion mit der FDP weiten sich diese verheerenden Arbeitsmarktstrukturen auf ganz Südeuropa aus und erreichen ab 2013 kontinuierlich auch West- und Nordeuropa. Gemäß der Forderung nach einem strengen "Strukturwandel" der EU-Troika!

     

    Ich erinnere an den Ruf der FDP in Gestalt des wohlhabenden, selbstherrlichen Raubritters und Grafen Lambsdorff gleich nach der Wiedervereinigung: "Billiglohnland!" - "Billiglohnland!" - "Billiglohnland!"

     

    Gemäß diesem Ruf wurden dann sehr schnell über die "Treuhandgesellschaft" alle östlichen Bundesländer platt gemacht und mit Massenarbeitslosigkeit überzogen. Berlin bekam das besonders zu spüren. Die Arbeitslosenquote schnellte in der Stadt im Nu auf über 300.000 arbeitslose Berlinerinnen und Berliner hoch. Dagegen gab es keine "friedliche Revolution"!

  • D
    denkdochmal

    Grundsätzlich stimme ich Herr Schüren zu.

    Angesichts der weit verbreiteten Erpressungen, die sie gelegentlich "Arbeitsvertrag" oder "Werkvertrag" nennen, angesichts des nahezu flächendeckenden Mißbrauchs der Zeitarbeitsverträge, der teilweise auch von Gerichten goutiert wird, wird es höchste Zeit, solches Handeln zur Profitmaximierung als Straftatsbestand zu definieren.

    Kurz gefaßt geht es bei dem einen "Vertragspartner" - oder "Erpresser" - um Profitmaximierung, bei dem Zweiten um Existenzsicherung. Da sollte es jedem anständigen Menschen - ob Politiker oder Richter - klar sein, wo die Prämissen sind. Offensichtlich will niemand wahrhaben, daß Errungenschaften unserer Väter bereits großenteils den Bach herunter sind - SPDCDUFDP finden das gut.

  • G
    Gast

    Die Ausbeuter arbeiten mit den Jobcentern Hand in Hand.

  • G
    Gewerkschafter

    Leiharbeit ist Sklaverei !

  • EM
    Eric Manneschmidt

    Bizarr, bizarr.

    Offensichtlich helfen komplizierte Top-Down-Regelungen alle nicht, solange Menschen Arbeit um jeden Preis annehmen (müssen). Von daher fragt man sich, wie der Mensch wieder auf gesetzliche Mindestlöhne kommt (die sich natürlich unter den selben Bedingungen auch problemlos umgehen lassen). Was ist hier nur los?

    Wer wirklich etwas gegen Dumpinglöhne und ausbeuterische Verhältnisse hat, der muss sich für ein Bedingungsloses Grundeinkommen einsetzen. Alles andere ist blanker Zynismus.

  • E
    Etienne

    Die Franzosen hatten 1792 ein prima Idee wie man mit solchen Ausbeutern des Volkes umzugehen hat.

     

    In seinem Sessel behaglich dumm, sitzt schweigend das deutsche Publikum.(Karl Marx)

  • E
    Emilia

    Die vorgeblich so sozialen Sozis wie auch die gutverdiener Grünen haben diesen Lohndumpingzirkus ja eingeführt und damit die MEnschlichkeit der Sozialen Marktwirtschaft in DEutschland entrissen.

     

    Wenn Linke dem Kapital dienen und gehorchen ist es schlecht um die Menschen bestellt, dann bleiben nur noch die Nationalen, die aber auch und gerade deswegen politisch so diskreditiert werden, weil sie die Zustände anprangern und ändern wollen.

     

    Von CDUCSUFDP wird kein christlich-soziales Gewissen und Handeln erwartet, die sagen ja unverblümt, dass sie diese Zustände wollen.

     

    Die Linkspartei scheint noch eine Alternative zu sein, aber hier muss man sich fragen, ab welchem Preis auch diese Genossen vom Kapital gekauft werden. Wieviel ein Gysi von GAZPROM/EON bezahlt werden muss, eine Waagenknecht in Aufsichtsräten kassieren.

     

    Deutschland hat sozial fertig!

  • R
    reblek

    "Es gibt wieder Billigtarife von dubiosen Gewerkschaften." - Falsch. Wenn, dann gibt es Niedrigtarife. "Billig" sind Waren - und ein Tarif ist keine Ware.

  • C
    Ceres

    Leiharbeiter sind unsere ganz persönlichen chinesichen Wanderarbeiter.