Arbeitspflicht für Geflüchtete gefordert: Die Brandmauer brennt ab
Der Hamburger SPD-Politiker Kazim Abaci will eine Arbeitspflicht für Geflüchtete. Damit übernimmt er eine Forderung der AfD und stützt den Rechtsruck.
J eden Tag ein Stück weiter nach rechts: Das jüngste Beispiel für diese Diskursverschiebung lieferte am Dienstag der Hamburger SPD-Politiker Kazım Abacı, als er im Hamburger Abendblatt eine Arbeitspflicht für Geflüchtete forderte.
Abacı bedient damit das rassistische Stereotyp von faulen Geflüchteten, die als „Sozialtouristen“ nach Deutschland kommen und nicht arbeiten wollen. „Nach jahrelangem Wegschauen übernimmt er nun originäre AfD-Forderungen“, freute sich der Vorsitzende der Hamburger AfD-Fraktion, Dirk Nockemann.
Wäre das nicht so bitter, könnte man beinahe lachen. Denn gerade Kazım Abacı inszenierte sich noch im Januar als großer Demokratieverteidiger und organisierte nach der „Correctiv“-Recherche über ein Treffen von Rechtsextremen eine Kundgebung gegen die AfD.
Neben dieser freuten sich auch die CDU und die FDP über die Forderung von Abacı. Kritik kam hingegen von den Linken, Grünen und sogar aus der eigenen Partei: „Eine mögliche Arbeitspflicht für Geflüchtete ist eine sehr zugespitzte Forderung, der sicher nicht alle zustimmen können“, distanzierte sich der SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. Bei der Forderung handele es sich um eine Einzelmeinung, die auch nicht Teil der Beratungen in der rot-grünen Koalition sei, stellte auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Jennifer Jasberg klar.
Ob Einzelmeinung oder nicht: Abacı ist offizieller Sprecher seiner Fraktion für Migration und Integration. Seine Äußerungen können nicht getrennt von dieser Rolle betrachtet werden. Abacı wollte sich angesichts der Kritik damit retten, dass er betonte, nur eine „Verpflichtung zu einer gemeinnützigen Arbeit“ zu fordern. Das macht das Ganze allerdings noch schlimmer, denn „gemeinnützig“ ist einfach nur ein schönes Wort für „unbezahlt“. Die Tätigkeiten, die Abaci vorschlägt – etwa in der Seniorenhilfe oder Grünflächenpflege – werden von deutschen Arbeitnehmern als reguläre Jobs ausgeübt, für die der Mindestlohn gilt. Abacı will dagegen, dass Geflüchtete bis zu vier Stunden täglich zu dieser Arbeit verpflichtet und dafür mit nur 80 Cent pro Stunde entlohnt werden.
Die Forderung ist auch deshalb absurd, weil viele Geflüchtete in Deutschland gar nicht arbeiten dürfen, obwohl sie gern wollen. Anträge auf Arbeitserlaubnisse werden oft monatelang nicht bearbeitet oder abgelehnt. Bevor Abacı eine Arbeitspflicht fordert, sollte er sich in seiner Partei dafür einsetzen, dass Arbeitsverbote aufgehoben und bürokratische Hindernisse abgebaut werden.
Es ist zwar keine große Überraschung, dass es in den Reihen der Sozialdemokraten Opportunisten wie Abacı gibt, die ihre Fahne je nach Diskursklima in den Wind hängen und auch vor Populismus gegen Geflüchtete keinen Halt machen. So eine Forderung direkt nach den Wahlerfolgen der AfD in Sachsen und Thüringen zu äußern, zeugt jedoch von einer neuen Qualität des Rechtsrucks.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört