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Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger„Debatte, die an niedere Instinkte appelliert“

Schwerin will als erste Stadt eine Arbeitspflicht für Asylbewerber und Bürgergeldempfänger einführen – gegen den Willen des SPD-Oberbürgermeisters.

Zumindest hier sorgt die Maßnahme sicher für mehr Arbeit: das Jobcenter Schwerin Foto: Jens Büttner/dpa/picture alliance

Schwerin taz | Die CDU benutzt einen Vorstoß aus Schwerin und macht damit Wahlkampf: CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann will Bürgergeldempfängern, die nicht arbeiten wollen, die Grund­sicherung komplett streichen. „Jeder, der in Deutschland Bürgergeld bezieht und arbeiten kann, muss arbeiten gehen“, sagte er der Bild. Ansonsten dürfe es keine Sozialleistungen mehr geben. Linnemann kritisiert, dass die ­Bürgergeldreform das Prinzip des Förderns und Forderns untergrabe. Grüne und Sozialverbände werfen Linnemann unter anderem Populismus und Hetze vor.

Er bezieht sich in seiner Forderung auf einen Beschluss der Schweriner Stadtvertretung von Mitte Dezember 2024. Als erste Stadt will Schwerin eine Arbeitspflicht für Asylbewerber und Bürgergeldempfänger einführen. Dafür soll das Instrument der sogenannten Arbeitsgelegenheiten genutzt werden, mit dem eigentlich mit öffentlichem Geld Tätigkeiten finanziert werden, die eine Eingliederung in das Arbeitsleben erleichtern sollen.

Diese Arbeitsgelegenheiten sind bereits im Asylbewerberleistungsgesetz und auch im Sozialgesetzbuch vorgesehen. Neu ist die Pflicht zur Arbeit und Sanktionen bei Verweigerung.

Schwerins CDU erweiterte den ursprünglichen Antrag der AfD, der nur Asylbewerber betraf, um auch Bürgergeldempfänger einzuschließen. Diesen Ersetzungsantrag stellte Jan Reißig (CDU) während der Stadtvertretersitzung vor, wo er von einer Mehrheit angenommen wurde. Reißig erklärte dort, dass die Bürgergeldreform es schwieriger mache, der Menschen „habhaft“ zu werden.

Arbeit lohnt sich

Die CDU kritisiert immer wieder, dass das Bürgergeld falsche Anreize setze und Arbeit sich nicht mehr lohne. Das Ifo-Institut hatte allerdings Anfang 2024 eine ­Studie zu dieser Frage veröffentlicht. Darin heißt es, dass „trotz der deutlichen Anhebung der Regelsätze im Bürgergeld weiterhin ein spürbarer Lohnabstand besteht“. Soll heißen: Arbeit lohnt sich.

Während der letzten Stadtvertretersitzung in Schwerin argumentierte Jan Reißig, dass Arbeit die Integration verbessern könne und Menschen das Gefühl geben solle, gebraucht zu werden. Arbeitsmarktforscher widersprechen dieser Einschätzung jedoch und warnen, dass solche Arbeitsgelegenheiten „entweder nichts nützen oder eher schaden“.

Reißig verwies auf Greiz und den Saale-Orla-Kreis in Thüringen als Vorbilder für Schwerin. Seit 2024 müssen dort arbeitsfähige Flüchtlinge gegen eine Aufwandsentschädigung von 80 Cent pro Stunde arbeiten, sonst drohen ihnen Leistungskürzungen. Der dortige Landrat Christian Herrgott (CDU) lobt die Arbeitspflicht als Erfolgsmodell. Die Praxis stößt jedoch auch auf Kritik.

Helena Steinhaus von der Organisation Sanktionsfrei sagt über Greiz und den Saale-Orla-Kreis: „Flüchtlingen ist Erwerbsarbeit während des Asyl­verfahrens meistens verboten. Deswegen kann man mit jeder Maßnahme mehr Menschen in Arbeit bringen als vorher. Das ist doch eine Bullshit-Rechnung.“

Schwerins Oberbürgermeister Rico Badenschier (SPD), der gegen den Antrag stimmte, bezeichnete die Maßnahme gegenüber dem NDR als „eine Debatte, die an niedere Instinkte appelliert“. Durch unterschiedliche Gesetze würden Flüchtlinge eine Entschädigung von 80 Cent pro Stunde erhalten, während die Mehraufwandsentschädigung für Bürgergeldempfänger im Rahmen von 1 bis 2 Euro pro Stunde liegt.

Das Problem sei auch ein wirtschaftliches: Es entstehen weitere Kosten wie Versicherung, Arbeitskleidung, Betreuung und Dokumentation, die über die Mehraufwandsentschädigung hinausgehen. Daher wäre nur ein Teil der Kosten gedeckt, der Rest müsst refinanziert werden. Insgesamt stünde „wenig Output einem hohen Verwaltungs- und Betreuungsaufwand gegenüber“.

Eine Pressesprecherin der Stadt fügte hinzu, dass das Jobcenter bereits bessere Maßnahmen zur langfristigen Qualifizierung wie Weiterbildung oder Berufsabschluss anbiete. Sie bemängelte, dass bei dem Stadtratsbeschluss der Jobcenterbeirat mit Bürgergeld­experten nicht einbezogen wurde. Den Beschluss nannte sie Populismus, weil er nur wenige hundert Menschen betreffe und ungeeignet sei, der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken.

Der Oberbürgermeister soll jetzt in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter und sozialen Trägern ein Konzept erarbeiten. Die Umsetzung steht noch nicht fest. Zu prüfen ist, auf welcher gesetzlichen Grundlage die Menschen zur Arbeit verpflichtet werden sollen, ob weitere Stellen dafür geschaffen werden müssen und wie das finanziert werden soll.

Ein erster Zwischenstand der Prüfung soll spätestens im Februar vorliegen. Der Beschluss in Schwerin ist bundesweit beispiellos. Steinhaus vom Verein Sanktionsfrei sagt dazu: „Wir haben keine hohe Erwerbslosenquote. Das ist Symbolpolitik, die Vorurteile schürt“.

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10 Kommentare

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  • "Schwerins CDU erweiterte den ursprünglichen Antrag der AfD"



    Brandmauer, hm?

  • Wenn man Leute für 80 Cent pro Stunde zur Arbeit zwingt, beweist man damit, dass sich Arbeit tatsächlich nicht lohnt! Außerdem bekommt man für 80 Cent pro Stunde höchstwahrscheinlich eine Arbeitsleistung, die diesen 80 Cent pro Stunde entspricht.



    Sorry, wenn das jetzt ein wenig hochnäsig klingt, aber es gibt Leute, denen ich lieber ein bisschen Bürgergeld zahlen würde, als sie "arbeiten" zu lassen. Wenn sie zu Hause bleiben, machen sie wenigstens nichts kaputt. Zu diesen Leuten gehören übrigens auch einige Mitglieder des Bundestages, deren Namen ich aber nicht nennen werde.

  • Na Bravo! Da schlägt das Herz des deutschen Spießers doch gleich höher! Endlich ruft mal jemand die Lumpen zur praktischen Arrrbeit! Da macht es wieder richtig Spass, sich selbst ausnutzen und schikanieren zu lassen. Und strammzustehen, wenn sich der Arbeitgeber nur räuspert. Und danach zu schielen, ob die eigenen politischen und sonstigen Ansichten im Kollegenkreis denn auch genehm sind. Nicht zu vergessen: Dem Elon gönnt man sein bescheidenes Vermögen von Herzen. Kann ja schließlich nicht jeder so ein Asket sein wie der Privatflieger "obere Mittelschicht"-Fritze.

  • Und wo ist das Problem, wenn jemand der arbeitsfähig ist und es darf auch arbeitet. Derjenige bekommt ja auch eine Leistung. Arbeit ist doch immer noch besser als irge rumzusitzen und sich zu langweilen.

    • @Filou:

      Oben kann man lesen, was man im Saale-Orla-Kreis in Thüringen dafür bekommt: 80 Cent pro Stunde! Lohnt sich solche Arbeit? Vielleicht. Aber für wen?



      Haben denn alle arbeitsfähigen Flüchtlinge überhaupt eine Arbeitserlaubnis? In unserer Gegend scheitert es hauptsächlich daran, selbst wenn sich jemand schon selbst eine Stelle gesucht hat.



      Von den Bürgergeldbeziehern können viele nicht arbeiten, weil sie dauerhaft krank sind. Die ganze Diskussion ist weltfremd und blendet aus, dass, auch wenn ein paar Bürgergeldempfänger mehr arbeiten, damit überhaupt gar nichts gewonnen ist, finanziell für den Staat schon mal überhaupt nicht.

      • @Aurego:

        Ich stimme Ihnen zu und möchte Folgendes ergänzen, das meiner Meinung nach nicht zentral genug thematisiert wird: Was für Arbeiten sollen das denn sein? Selbst "wenige hundert Menschen" (Aussage aus dem Büro Des Oberbürgermeisters) sind schon viel, denn nicht jede gemeinnützige Arbeit ist auch eine Arbeit, die jede*r machen kann, die*der tatsächlich arbeiten kann. Man kann nicht umstandslos jede*n für Arbeiten mit und am Menschen einsetzen.

  • Wenn das Jobcenter Arbeitsverpflichtungen als eine Art Strafe verteilt oder sich unsinnige Arbeit aus den Fingern saugt, dann ist das Ganze tatsächlich mieser Unsinn.

    Muss es aber nicht sein.



    Denn wenn alle Beteiligten das einfach als Eigenbeteiligung ansehen, bei der etwas Sinnvolles herauskommen soll, dann stärkt das nicht nur das Selbstbewusstsein der Bürgergeldempfänger, sondern eröffnet ihnen auch mehr Zugang z.B. zu Erfahrungen und zu persönlichen Kontakten, die auch auf dem normalen Arbeitsmarkt weiterbringen.

    Und nebenbei können eben auch Aufgaben erledigt werden, die die Kommunen sonst nicht stemmen könnten, allein schon nicht wegen des Arbeitskräftemangels.

    • @Frauke Z:

      Der Staat kann auch Mindestlohn zahlen und die tw. vom Staat alimentierten gewählten Volksvertreter sparen sich des ganze volkszersetzende menschenverachtende Gehetze.



      Wäre vermutlich auch so, wemmer den von Christian L. halluzinierten linksgrünen mainstream hätten. So wünschen sich Teile des Volkes eher insgeheim chain gangs.

  • Das Motto 'Fördern und Fordern' hätte auch am Tor eines jeden der 'Vernichtung-durch-Arbeit'-Läger im Tausendjährigen Reich stehen können. Trotzdem geht er PolitikerInnen, WirtschaftsführerInnen und selbst einfachen BürgerInnen hemmungslose über die Lippen, als wäre der liberale, aktivierenden Staat nicht Fortsetzung des Sozialdarwinismus (noch) ohne allzu offensichtliche rassistische, nationalistische etc. Komponente. Der universelle Sozialdarwinismus gilt in der Marktwirtschaft und jeder staatlichen Obrigkeit als zweckrational: Mensch als Arbeitskraft!

  • "Schwerins CDU erweiterte den ursprünglichen Antrag der AfD, der nur Asylbewerber betraf, um auch Bürgergeldempfänger einzuschließen."

    Geht es noch schäbiger als bei der AfD? CDU Schwerin so: Hold my beer...