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Arbeitsmarkt in Ost- und WestdeutschlandGefühlte Benachteiligung

Die Arbeitsmarktzahlen im Osten werden immer besser. Aber Abwanderung und drohende Altersarmut haben sich in das kollektive Bewusstsein eingebrannt.

Der Osten hat am Arbeitsmarkt aufgeholt – doch es bleibt das Problem der niedrigeren Produktivität und das geringere Lohnniveau Foto: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa

Gütersloh dpa/afp | Auf dem Arbeitsmarkt hat der Osten in Deutschland in den vergangenen Jahren immer weiter aufgeholt. Beim Lohn- und Produktivitätsniveau aber hat der Westen noch immer einen Vorsprung. Laut einem in Gütersloh vorgestellten Papier der Bertelsmann Stiftung sei es deshalb nicht überraschend, dass mehr Ost- als Westdeutsche den Eindruck haben, auch beim Lebensstandard benachteiligt zu sein.

So liegt der mittlere Lohn im Osten bei 3.157 Euro, im Westen hingegen bei 3.752 Euro. Dabei hat sich das Lohnniveau in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter angenähert. Nach der Wiedervereinigung in den 1990er-Jahren lag die Lücke noch bei 26 Prozent. Heute bekommen die Menschen in den Ost-Bundesländern 15,9 Prozent weniger für ihren Arbeitseinsatz als im Westen.

Grund ist laut den Autoren der Bertelsmann Stiftung das unterschiedliche Produktivitätsniveau. Im Bau, Handel und bei den Dienstleistungen habe sich das zwar stark angenähert. Aber im verarbeitenden Gewerbe liegt der Osten laut der Auswertung auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch nur bei 76 Prozent des Westniveaus.

Um das Problem zu lösen, fordern die Autoren die Ansiedlung von großen Namen. Ansiedlungen von Großunternehmen, wie dem taiwanischen Chiphersteller TSMC und dem US-Unternehmen Intel „machen den Osten attraktiver“, erklärten die Forschenden. Sie würden Platz schaffen „für Forschung, regionale Zulieferer und unternehmensnahe Dienstleistungen“, heißt es in dem Papier. Das schaffe besser bezahlte Arbeitsplätze in zukunftsträchtigen Berufen.

Ausgedünnte Daseinsfürsorge

Bei den Zahlen für den Arbeitsmarkt in Ost und West gibt es nahezu Gleichstand beziehungsweise fast eine Annäherung. So liegt die Erwerbstätigenquote im Osten bei 76,7 und im Westen bei 77,3 Prozent. Die Quote der Arbeitslosen im Osten liegt heute bei 7,2 Prozent. In den Jahren nach den 2000er-Jahren lag dieser Wert noch mit knapp 19 Prozent deutlich höher. Die Quote im Westen liegt aktuell bei 5,3 Prozent und damit weiterhin unter dem Wert im Osten. Beim Anteil der Langzeitarbeitslosen liegen Ost und West mit 34 Prozent gleichauf.

Die hohe Arbeitslosigkeit und der Exodus der jungen Leute nach der Wende 1989 haben sich laut Bertelsmann Stiftung tief ins kollektive Bewusstsein eingebrannt. „Die Auswirkungen sind auch heute noch spürbar, wenn die öffentliche Daseinsvorsorge in ländlichen Regionen weiter ausdünnt und viele Arbeitslose von damals nun der Altersarmut entgegensehen. Das trägt zur Wahrnehmung bei, weiterhin benachteiligt zu sein – auch wenn der ostdeutsche Arbeitsmarkt heute wesentlich besser dasteht als vor 30 Jahren“, sagt Eric Thode, Arbeitsmarktexperte der Bertelsmann Stiftung.

„Deutliche Vorteile bietet der Osten dagegen bei den Beschäftigungsbedingungen für Frauen“, so die Studienautoren. Der Gender Pay Gap, also der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern, ist demnach in den östlichen Bundesländern erheblich kleiner als in den westdeutschen Ländern. 2023 lag der durchschnittliche Stundenverdienst einer Frau in Westdeutschland 19 Prozent unter dem eines Mannes. In Ostdeutschland betrage der Unterschied nur sieben Prozent.

Das liegt laut der Untersuchung auch an der besseren Kinderbetreuung in den östlichen Ländern, wo 50 Prozent der Kinder unter drei Jahren betreut werden. Im Westen sind es lediglich 30 Prozent. „Die Folge: Mütter in den ehemals neuen Ländern können ihre Arbeitszeitwünsche besser in die Tat umsetzen. So arbeiten im Osten 67 Prozent der Frauen in Vollzeit – im Westen dagegen nur 52 Prozent“, so die Stiftung.

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4 Kommentare

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  • Der Artikel belegt, warum die Umfragen der Bertelsmann Stiftung kritisch zu sehen sind.

    Weshalb die Taz mit der Überschrift noch eins drauf gibt, erschließt sich mir nicht.

    Dass die Arbeitslosen von damals Altersarmut erwartet, ist keine Frage der Wahrnehmung.

    Eine ganze Generation trifft das.

    Das wird sich auch für die Leute nicht mehr ändern.

    Dass die Kinder, die wegen der Arbeit vor 10 oder 20 Jahre in den Westen gegangen sind, nicht zurückkommen, ist keine Sache des Gefühls.

    600 € Unterschied beim mittleren Lohn lässt sich auch nicht einfach wegdiskutieren.

    Ja, ich habe verstanden, auch eine linke Zeitung beherrscht neoliberales Framing.

    Die Ansiedlung großer Namen und zukunftsteächtiger Unternehmen wird in den ostdeutschen Bundesländern bereits seit der Wende probiert.

    Erfolge waren eher die Ausnahme.

    Der Rat der Bertelsmann Stiftung ist also nicht der überragende Tipp.

  • "Um das Problem zu lösen, fordern die Autoren die Ansiedlung von großen Namen. Ansiedlungen von Großunternehmen, wie dem taiwanischen Chiphersteller TSMC und dem US-Unternehmen Intel „machen den Osten attraktiver“

    LOL, das könnte richtiggehend witzig werden, wenn im Osten die AfD regiert, und eine Entfernung von bösen Ausländern, aka "Remigration" fordert.

    Im Übrigen wäre ich ja dafür, die Probleme dieses Landes anzugehen, und nicht die Gefühle irgendwelcher Leute zu verbessern. Heißt Subventionen für Industrieansiedlungen in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und nicht in Regionen, wo viele Krakeeler herumlaufen.

    • @Kaboom:

      Die AfD hat mit tschechischen Arbeitern, die über die Grenze kommen, auch kein Problem.

      Da wird es dem taiwanesischen Chiphersteller nicht anders gehen.

      Die taiwanesische Geschäftsleitung wird mit Sicherheit nicht remigriert werden.

      Die Gefühle irgendwelcher Leute sind gerade ein wichtiger Teil der Probleme dieses Landes. Vielleicht sogar das wichtigste.

      Wo die vielen Krakeler herumlaufen, ist die Arbeitslosigkeit relativ hoch.

      Hohe Subventionen für Industrieansiedlungen wurden seit der Wende gezahlt.

      In Brandenburg fruchtete nichts davon.

      Es war peinlich, wie mit dem Geld rumgeworfen wurde

      Tesla ist der erste richtige Erfolg. Bis jetzt.

      Langsam schlingert es wohl auch dort.

  • Bei keiner anderen diskriminierten Minderheit wäre so ein Artikel über eine nur gefühlte Benachteiligung mit anschließender Relativierung aller veröffentlichter Statistiken in der TAZ vorstellbar.



    Der angesprochene große Vorteil ostdeutscher Frauen beim Pay Gap bezieht sich aber nur auf die Relation zu ostdeutschen Männern. Weniger als westdeutsche Frauen trotz deutlich höherer Erwerbsquoten wird natürlich trotzdem verdient. Was soll diese Schönfärberei?