Arbeitskampf in Autofabrik: Tesla verspricht mehr Geld
Die Arbeiter*innen in Elon Musks Autofabrik haben viel zu klagen. Jetzt zeigen Versuche der IG Metall, sie zu organisieren, erste Erfolge.
Gesprächig ist so kurz vor Schichtbeginn niemand. Auch im Büro der IG Metall im kleinen Bahnhofsgebäude ist wenig los. Das war vor ein paar Tagen noch anders: Da hatte die IG Metall eine Aktionswoche bei Tesla in Grünheide ausgerufen. Ziel war eine gemeinsame Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen und besserer Organisierung.
Die niedrigschwellige Aktion bestand aus Aufklebern, die sich die Tesla-Mitarbeiter*innen an die Arbeitskleidung heften konnten. Aufschrift: „Gemeinsam für sichere & gerechte Arbeit bei Tesla“. Für die Aktionswoche waren mehrere Dutzend Gewerkschafter*innen aus ganz Deutschland vor dem Werkstor und an den Pendlerbahnhöfen Fangschleuse und Erkner vor Ort, um mit den Beschäftigten über ihre Probleme, Wünsche und Forderungen zu sprechen.
Nach der Aktionswoche zog die IG Metall eine positive Bilanz. So hätten sich zum Auftakt „deutlich über 1.000“ der etwa 11.000 Beschäftigten beteiligt. „Was die Tesla-Kolleg*innen in dieser Aktionswoche gemacht haben, das ist Gewerkschaft: Sie sind zusammen aufgestanden und haben die vom Management geschürte Atmosphäre der Angst durchbrochen“, erklärt Dirk Schulze, Bezirksleiter IG Metall Berlin-Brandenburg, der taz. Die Beschäftigten „wollen, dass ihr Werk endlich auch für sie läuft und nicht nur für die Gewinne des Konzerns“.
Kein Tarifvertrag und managementfreundlicher Betriebsrat
So eine eher harmlose Aktion ist beim Tesla-Werk in Grünheide allerdings keine Selbstverständlichkeit. So soll das Management wiederholt Druck auf die Mitarbeiter*innen ausgeübt und versucht haben, die Belegschaft vom Kontakt mit der IG Metall abzuhalten. „Völlig inakzeptabel“ sei das, findet Schulze.
Die IG Metall erklärt: Als die Gewerkschafter*innen am 9. Oktober in den Pausen im Betrieb mit Beschäftigten über deren Rechte sprechen wollten, habe die Geschäftsführung die Belegschaft gleichzeitig zu einem „kostenlosen Essen“ eingeladen und zudem eine „Überraschung“ angekündigt. Die Überraschung bestand dann – wenig überraschend – in der Ankündigung einer Lohnerhöhung, deren Höhe aber erst im November veröffentlicht werden soll.
Obwohl Tesla behauptet, dies sei unabhängig von den Gewerkschaftsaktivitäten geschehen, wertet die IG Metall diese Ankündigung als ihren Erfolg: „Mit ihrem Mut und ihrer Solidarität haben die Tesla-Kolleg*innen auch die Geschäftsleitung beeindruckt“, so Schulze. „Jede Lohnerhöhung ist willkommen, zumal die Bezahlung bei Tesla weiterhin deutlich hinter dem Tarifniveau in der Autoindustrie in Deutschland zurückbleibt.“
Dirk Schule, Bezirksleiter IG Metall Berlin-Brandenburg
Bei Tesla in Grünheide gibt es keinen Tarifvertrag. Deshalb sind nach Gewerkschaftsangaben die Gehälter im Schnitt niedriger als bei anderen Autobauern. Zwar hat die Fabrik des umstrittenen US-Milliardärs Elon Musk einen Betriebsrat, der wurde allerdings schon Ende Februar 2022 gewählt, kurz vor der offiziellen Eröffnung des Werks.
Viele der damals rund 2.300 Wahlberechtigten waren Angestellte aus dem mittleren Management, die mutmaßlich weniger kritisch gegenüber der Geschäftsleitung und nicht repräsentativ für die Interessen aller Beschäftigten waren, vor allem nicht für die später hinzugekommenen Mitarbeitenden in der Produktion. Trotz der damaligen aus Gewerkschaftssicht ungünstigen Machtverhältnisse konnte sich die unternehmensnahe Liste „Gigavoice“ nur knapp die Mehrheit sichern.
Schlechte Arbeitsbedingungen und extreme Belastung
Da die Belegschaft inzwischen auf 11.000 Mitarbeiter*innen angewachsen ist, muss schon 2024 ein neuer, größerer Betriebsrat gewählt werden. Dafür will sich die IG Metall nun in Stellung bringen. Denn letztlich müssen sich die Beschäftigten selbst zusammentun und dafür sorgen, dass sich ihre Löhne, Arbeitszeiten und alle anderen Bedingungen verbessern.
Und das ist auch nötig, denn laut IG Metall und der Arbeitgeber-Bewertungsplattform Kununu beklagen sich viele Tesla-Beschäftigte über schlechte Arbeitsbedingungen und extreme Arbeitsbelastung aufgrund kurzer Taktzeiten und Personalmangel. Zumal Tesla vor dem Sommer offensichtlich Hunderte Leiharbeiter entlassen, die Produktionsziele jedoch beibehalten hat: „Wird nur Druck gemacht“, heißt es bei Kununu, das Vorgesetztenverhalten sei „unterirdisch“.
Laut IG Metall gibt es zudem gravierende Mängel beim Gesundheitsschutz und bei der Arbeitssicherheit („Verletzungen ohne Ende“), die nicht selten zu Krankenständen um die 30 Prozent führten. „Ein hoher Krankenstand ist ein klares Zeichen für Überlastung“, sagt Schulze. „Selbst bei Krankenständen von 30 Prozent und mehr läuft das Band in gleicher Geschwindigkeit und die Teams müssen 100 Prozent Stückzahlen produzieren. Gesundheit muss vor Stückzahlen gehen. Das ist nicht verhandelbar.“
Dirk Schule, Bezirksleiter IG Metall Berlin-Brandenburg
Dazu kommen zahlreiche Arbeitsunfälle, viele davon schwer. So habe Tesla allein zwischen Juni und September 2022 mindestens 190 Arbeitsunfälle gemeldet, wie der Stern berichtete, also fast einen pro Tag. Aus Unterlagen der Rettungsstellen geht laut des Magazins außerdem hervor, dass im ersten Produktionsjahr 247 Mal ein Rettungswagen oder Hubschrauber in die Fabrik in Grünheide gerufen wurde. Auf die Mitarbeiter*innenzahl umgerechnet seien dies dreimal so viele Notfälle wie zum Beispiel im Werk von Audi in Ingolstadt.
Bereits 26 Umwelthavarien durch die Fabrik
Tesla weist die Vorwürfe zurück. „Für uns als Gigafactory Berlin Brandenburg steht der Gesundheitsschutz unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an oberster Stelle und damit auch die Arbeitssicherheit“, so der Konzern auf taz-Anfrage.
Doch nicht nur deshalb ist die im März 2022 eröffnete Autofabrik umstritten. Laut dem Brandenburger Landesamt für Umwelt hat Tesla seitdem 26 Umwelthavarien gemeldet, darunter Brände und ausgelaufene Chemikalien. Umweltschützer*innen sehen Gefahren, weil der Großteil des Geländes im Wasserschutzgebiet und nahe Trinkwasser-Förderbrunnen liegt. Auch diese Bedenken hat Tesla zurückgewiesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag