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Arbeitskampf der GDLUnbefristet befristet streiken?

Die Ankündigung der Gewerkschaft über die Streikdauer klingt widersprüchlich. Damit kann sie mit wenig Aufwand den Druck erhöhen.

Ist es schon fünf vor zwölf? Oder inzwischen sogar vier vor. Wir wissen es einfach nicht. Bild: dpa

BERLIN taz | Wie geht das denn? Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer GDL kündigt einen befristeten Streik an, will aber nicht sagen, wie lange er dauern soll. De facto handelt es sich also um einen unbefristeten Streik, der nur nicht so genannt wird. Das klingt absurd – ist aber prinzipiell möglich.

„Die Streikformen haben sich in den vergangenen Jahren geändert“, sagt Hagen Lesch, Tarifexperte beim arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW). Die Gewerkschaften seien in den letzten Jahren bei Streiks immer flexibler geworden, auch in anderen Branchen. Zudem sei jeder unbefristete Streik irgendwann beendet.

Lesch sieht mehrere Motive für das Verwirrspiel der GDL um das Ende ihres befristeten Streiks: Unsicherheit bei der Bahn schüren, Streikgeld sparen und sich juristisch absichern. „Mit diesem Kniff erreicht die GDL, dass sich die Bahn und die Bahnkunden schlechter auf den Streik einstellen können.“ Die Beteiligten wüssten nicht, wie lange sie einen Ersatzfahrplan anbieten oder sich Alternativen suchen müssten. Dadurch könne die Lokführergewerkschaft mit der gleichen Anzahl von streikbereiten Mitgliedern eine stärkere Unsicherheit als bei vergangenen Streiks erzielen – oder sogar mit weniger Streikenden das Gleiche erreichen und so Streikgeld sparen.

Zudem sichere sich die GDL durch den Kniff juristisch ab. Lesch: „Ex ante kann kein Arbeitsrichter feststellen, ob der Streik unverhältnismäßig sein wird.“ Zumal es schon mehrfach mehrtätige Streiks bei der Bahn gegeben habe. Anders würde es aussehen, wenn die Lokführergewerkschaft im Voraus sagen würde, dass sie drei Wochen streiken will.

Streikgeld erhöht

Um die Streikbereitschaft zu steigern, hat die GDL mittlerweile das Streikgeld erhöht: von 75 auf 100 Euro pro Tag. Beim letzten Bahnstreik Anfang Mai waren nach Gewerkschaftsangaben im Durchschnitt täglich rund 3.300 Mitglieder im Ausstand, mehr als beim vorangegangenen Streik.

Insgesamt hat die Gewerkschaft nach eigenen Angaben 34.000 Mitglieder. Diese sind allerdings nicht nur bei der bundeseigenen Deutschen Bahn AG, sondern auch bei der privaten Konkurrenz beschäftigt.

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15 Kommentare

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  • Bei über zwei Milliarden pro Jahr Gewinn für Schäuble kann der Streik nicht "unverhältnismäßig" sein.

    Und was ist mit dem Pressegeschei, wenn ein unterbezahlter Bahm-Mitarbeiter einen Fehler macht?

  • Ein Streik an sich ist sowas von Holzvergaser, einer modernen Gesellschaft, die sich allerorten Heerscharen von Mediatoren leistet, schlicht unwürdig.

     

    Zumindest bei faktischen Monopolisten im Bereich der Daseinsvorsorge sollte die Schlichtung vor dem Streik und nicht an dessen Ende stehen. Was hält Herrn Weselsky denn davon ab, z.B. 300% Enkommensverbesserung zu fordern? Rechtlich nichts. Eher die dunkle Ahnung, dass auch Gewerkschaften Arbeitgeber und damit Marktteilnehmer sind.

     

    Im Übrigen könnte es sich der Vorstand der DB leicht machen. Der GdL geben, was sie möchte, und die Mehrkosten auf die Fahrpreise umlegen.

    • @Trango:

      "Was hält Herrn Weselsky denn davon ab, z.B. 300% Enkommensverbesserung zu fordern?"

       

      Die Vernunft und die Tatsache, dass ein Streik für solche Utopien tatsächlich unverhältnismäßig und rechtlich anfechtbar wäre.

    • @Trango:

      "Im Übrigen könnte es sich der Vorstand der DB leicht machen. Der GdL geben, was sie möchte, und die Mehrkosten auf die Fahrpreise umlegen."

       

      Und warum macht die Bahn es nicht so?

       

      Im Übrigen ist Streik so lange modern, wie es Lohnabhängigkeit auch ist.

    • @Trango:

      Das können die nicht machen, weil es z.B. trotz aller Bemühungen, nur keine Konkurrenz zu bekommen, es einfach Fernbusse mittlerweile gibt. Und damit steht die Bahn auch in Konkurrenz.

       

      Selbst einem ziemlich korrupten und wirtschaftlich völlig unfähigem Anteilseigner wie dem Bund würde dann aufgehen, dass die Vorstände dort völlig ungeeignet sind, wenn die so arbeiten würden.

  • Wenn sich die GDL neuerdings auf juristische Winkelzüge verlegt („Unbefristet befristet streiken“), beweist sie damit nur, dass sie ansonsten mit ihrem Latein am Ende ist.

     

    Immerhin erfreulich (für die GDL), dass sie anscheinend derart im Geld schwimmt, dass sie sogar das Streikgeld deutlich über Mindestlohn-Niveau erhöhen kann. Und die (Winkel-)Advokaten, die nach weiteren Gesetzeslücken suchen, tun das bestimmt auch nicht „für lau“.

    • @Pfanni:

      "...juristische Winkelzüge..."

       

      Das ist allerdings eine schräge Interpretation von Herrn Röther. Ob ein Streik unverhältnismäßig ist, hat mit der Dauer nichts zu tun. Die GDL nutzt lediglich die Möglichkeit, die Reaktionen der Bahn weniger planbar zu machen.

  • Ob befristet oder nicht - der Streik scheint im aktuellen Konflikt zwischen der DB und der GDL nicht das richtige Mittel zu sein. Soweit ich weiß und mit dem Zählen nicht durcheinander gekommen bin, läuft seit heute früh die neunte Steikrunde des Tarifzyklus. Große Wirkung bei den avisierten Gegnern (also der DB) scheint das Stehenlassen der Züge nicht zu entfalten. Vielleicht sollte die GDL ihre Strategie überdenken?

    • @Kerstin Demuth:

      Streik ist leider das einzige strategische Mittel, das einer Gewerkschaft zur Verfügung steht, um ihre Forderungen überhaupt auf den Verhandlungstisch zu bringen. Ansonst bleibt nur Verzicht und Auflösung. Das hat doch System. Wer etwas fordert, zieht automatisch die Arschkarte, wenn man ihm nicht entgegenkommt. Was meinen Sie wohl, warum in Deutschland seit Jahren so wenig gestreikt wird und in vielen Bereichen die Lohnentwicklung in Deutschland im europäischen Vergleich schlechter bis negativ verläuft?

  • "…Die Ankündigung der Gewerkschaft über die Streikdauer klingt widersprüchlich. Damit kann sie mit wenig Aufwand den Druck erhöhen.…"

     

    Schön. - Unter Profis nennt man das Optimierung der Möglichkeiten.

    Wo - bitte - Herr Rother - ist das Problem?

  • Die schnellste und beste Streikoption und Solidaridierung ist, sofort Außergewöhnlichen Urlaub (AU) zu nehmen. Am besten bei einem Urlaubsmanager mit ausreichender medizinischer Kompetenz aus dem Marburger Bund.

     

    Ziviler Ungehorsam

    Lesen SGB II § 10 und GG § 6

  • Unbefristete Streiks gibt's ohnehin nur in der Theorie. Der Streik kostet ja nicht nur der Bahn, sondern auch den Streikenden und ihrer Gewerkschaft eine Menge Geld. Der Bahnvorstand rechnet deshalb schon seit Wochen intensiv daran, wie lange die GDL noch durchhalten kann, weil er natürlich auch weiß, dass das Tarifeinheitsgesetz aus der Schublade von Frau Nahles hier nur eine Menge mächtig heißen Dampf aufwirbeln wird, aber Einheitsgewerkschaften á la DDR hier keine Lösung sein können und eher peinlich rüberkommen werden, bis sie dann das Bundesverfassungsgericht einkassiert.

    Frau Nahles versteht von Arbeitnehmerrechten doch nicht mehr als die Kuh vom Eierlegen - woher auch schon, wo sie doch als Berufswunsch "Hausfrau oder Bundeskanzlerin" angegeben hatte, eigentlich nur den SPD-Apparat kennt und selbst den nicht wirklich?

  • Der Bundestag hat auch wenig Aufwand. Er braucht nicht einmal zu streiken - über Bezugserhöhungen entscheidet man/frau da drin selber. Auch darüber, was man macht oder nicht. Für Verbocktes wird man kaum zur Rechenschaft gezogen. Beim Bahnvorstand ist es nicht viel anders. Leicht bekommt man mehr bewilligt, man hat ja beste Kontakte in die Politik. Die werden noch besser, mit zugekauftem CDU-Pofalla. Usw usw...

  • Gute Taktik.

    Oder die langen Güterzüge an zentrale Nord-Süd-Weichentrassen parken.

    Warum machen wir das nicht alle - die einen Job haben?

     

    Da war doch heute gerade der ILO Bericht über die Schere zwischen guten und schlechten Jobs.

    Kein eigener Handlungsbedarf? Und als Erwerbslose und Aufstocker um so mehr.

    • @nzuli sana:

      "Warum machen wir das nicht alle - die einen Job haben?"

       

      Weil die "etablierten" Gewerkschaften völlig zahnlos geworden sind?