piwik no script img

Arbeitsbedingungen bei AmazonHygiene „to go“

Amazon-Zusteller erzählten, wegen Zeitdruck in Flaschen urinieren zu müssen. Zuerst dementierte der Konzern, jetzt gab er es offiziell zu.

Eine Mitarbeiterin in einem Amazon Logistikzentrum Foto: Ralph Lueger/imago

Stress ist die Lingua franca des Alltags. Alle kennen ihn, alle hassen ihn, manche lieben ihn. Doch Stress ist nicht gleich Stress. Schlecht für die Gesundheit ist er immer: Während er in Prestigeberufen ein Statussymbol ist, kann er in prekären Jobs existenzbedrohend sein – aber auch entwürdigend.

Dass Menschen in der Lieferbranche unter besonderem Druck stehen, ihre Arbeit schnell zu erledigen, ist auch hierzulande bekannt. Dass sie dabei, wenn sie etwa für Amazon in den USA arbeiten, in Flaschen pinkeln müssen, um ihre eng getaktete, von digitalen Geräten getrackte „Performance“ einzuhalten, ist aber eine weitere Stufe der fortschreitenden Entmenschlichung in Arbeitsprozessen.

Öffentlich breiter diskutiert wurde das nach einem Tweet des demokratischen US-Abgeordneten Mark Pocan. Pocan schrieb nach Berichten von Amazon-Mitarbeiter*innen am 25. März: „Arbeitern 15 US-Dollar pro Stunde zu zahlen, ist kein ‚fortschrittlicher Betrieb‘, wenn man zugleich Gewerkschaften zerschlägt und Arbeiter in Wasserflaschen urinieren lässt“.

Amazon reagiert prompt: „Wenn das wahr wäre, würde niemand für uns arbeiten. Die Wahrheit ist, dass wir über eine Million unglaubliche Mitarbeiter weltweit haben, die stolz auf das sind, was sie tun, und vom ersten Tag an großartige Löhne und eine gute Gesundheitsvorsorge haben.“ Ironisch, dass diese trotzige Beschwörung von Wahrheit nun von der echten Wahrheit eingeholt wurde.

Peinliches Eingeständnis

So erschienen kurz darauf in Vice und The Intercept Artikel, die nachweisen, dass die Sache mit dem Pinkeln nicht mal eine Ausnahme, sondern die Regel ist. Eine ehemalige Mitarbeiterin berichtet auf Twitter, gefeuert worden zu sein, weil sie zu oft auf Toilette ging.

Der öffentliche Druck auf den Konzern stieg daraufhin so, dass er jetzt zugibt, doch davon gewusst zu haben. In der entsprechenden Stellungnahme verweist Amazon jedoch auf die Covid-Situation, wegen der gerade auf dem Land öffentliche Toiletten geschlossen seien. Dass sich die als Entschuldigung camouflagierte Selbstentblößung zudem an den Abgeordneten Pocan persönlich richtet, zeigt, wie viel Amazon von seinen „stolzen Mitarbeiter*innen“ hält.

Es ist zu hoffen, dass von Amazons Eingeständnis ein weltweites Signal ausgeht. Ein Signal für bessere Arbeitsbedingungen in der Pakektzustellungs- und anderen systemrelevanten Branchen, in denen der Arbeitsschutz auch in Deutschland immer öfter missachtet wird. Aber vor allem auch gegen die um sich greifende Normalisierung von Stress im Allgemeinen.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Hoffen, dass es besser wird kann nur von den Menschen ausgehen, die sich nicht von solchen Unternehmen verarschen lassen. Bestimmt wird es von seiten der Industrie keine "Vermenschlichung" von Arbeitsbedingungen geben. Dafür müssen schon die arbeitenden sorgen, wie auch immer. Richtig wählen wäre ein Anfang.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Für bessere Arbeitsbedingungen lohnt es sich unbedingt zu kämpfen!!!

  • Ich wünschte mir, dass alle betroffenen Zusteller nach Schichtende ihre volle Flasche dem Geschäftsführer auf den Schreibtisch stellen, quasi als kleiner Gruß der stolzen Mitarbeiter. In meiner Vorstellung würden dann umgehend Pinkelpausen erlaubt werden. Aber vielleicht ist das zu naiv gedacht, es geht ja um Geld in dieser Welt. :(