„April April“ in der Zeitung: Fälschung bedroht Fälschung
Aprilscherze waren für Zeitungsmacher*innen eine Waffe der Aufklärung – bis die „Fake News“ in die Welt kamen.
Was waren das für wunderschöne Späße!
Damals, als wir auf Seite 3 schrieben, dass der Rhein mittels riesiger Wehrstufen aufgestaut werden sollte. Den Vogel allerdings schoss die Süddeutsche Zeitung 1995 ab, als sie unter dem Titel „Riesensauerei von Patting“ von genmanipulierten Turboschweinen zu berichten wusste, denen einige Koteletts hinzugezüchtet worden waren. Diverse Fernsehsender setzten darob Kamerateams in Richtung Deggendorf in Marsch, um dem vermeintlichen Skandal auf den Grund zu gehen.
Nur: Es gab keine Affäre. Egal ob Rhein-Staustufen, Turboschweine oder Nackt-Happenings in der West-Berliner U-Bahnlinie 8 unter der DDR – das war ja alles nur erfunden. Jahr für Jahr wetteiferten die Gazetten um die hohe Kunst des Aprilscherzes.
Der gilt bekanntlich dann als gelungen, wenn die Lesenden eine rundweg gelogene Geschichte schlucken, obwohl diese zwar absolut unglaubwürdig klingt, aber doch so sehr in den Zeitgeist passt, dass sie selbst aufgeklärten Zeitgenossen glaubhaft erscheint.
2. Juni 1967: Ein Schuss tötet den Demonstranten Benno Ohnesorg. Dieses Datum markiert den Beginn einer bis heute geführten Debatte über Gegenöffentlichkeit, über die Medien, über Wahrheit und Lüge, oder, wie man heute formulieren würde, über Fake News und alternative Fakten, über Verschwörungstheorien, bürgerliche Zeitungen und alternative (auch rechte) Blätter, über die „Wahrheit“ und die Deutungshoheit gesellschaftlicher Entwicklungen. Nachdenken über 50 Jahre Gegenöffentlichkeit: taz.gegen den stromDie Sonderausgabe taz.gegen den strom – jetzt im taz Shop und auf www.taz.de/gegenoeffentlichkeit
Aprilscherze in der Zeitung waren Witze als Waffe. Satire pur. Durch Überzeichnung konnten sie im günstigsten Fall besser über gesellschaftliche Missstände aufklären als so manche bierernste Artikelserie. Selbstverständlich zählte dazu am nächsten Tag die Aufklärung der Leser*innen darüber. Heutzutage gibt es kaum mehr Aprilscherze in den Zeitungen.
Die Süddeutsche hat sie ganz auf den Index gesetzt, und auch die taz erlaubt sich diese Art Gegenöffentlichkeit höchst selten, auch wenn darüber kein redaktioneller Beschluss existiert. Der Grund ist die Ausbreitung gefälschter Nachrichten.
Fake News dienen nicht der Aufklärung, im Gegenteil. Sie wollen eine neue Realität erschaffen, ihr Ziel ist es, Menschen durch eine ge- oder verfälschte Berichterstattung so zu manipulieren, dass sie an eine fiktive Realität glauben.
Im extremsten Fall wird der Konsum so gesteuert, dass Leser*innen nur noch der Fälschung glauben, die Realität aber als gelogen ablehnen. Fake News können Verschwörungstheorien populärer machen als die banale Realität. Zugleich zerstören sie den Glauben an das gedruckte Wort, vermitteln sie doch den Eindruck, als gäbe es – um eine Beraterin von US-Präsident Trump zu zitieren – „alternative Fakten“.
Fake News sind ein alter Hut
So werden seriöse Medien zur „Lügenpresse“ umgedichtet, während die Lüge selbst triumphiert. Und deshalb haben es Aprilscherze heutzutage so schwer, sieht man ihnen doch nicht immer gleich an, ob sie die Fiktion im Sinne der Aufklärung verbreiten ober ob sie die Lüge als Waffe der Gegenaufklärung populär machen wollen.
Dabei sind Fake News ein alter Hut. Schon kurz nach der Mondlandung im Jahr 1969 geisterten Informationen durch die Welt, nach denen Neil Armstrong und Kollegen in Wahrheit durch ein Hollywood-Studio mit Mondgestein aus Pappe geschwebt wären. Im Unterschied zu heutigen Zeiten blieb der Glaube an solchen Schwachsinn freilich auf eine kleine Gemeinde eingefleischter Verschwörungs-Fans beschränkt.
Der Grund: Die virale Verbreitung gefälscher Informationen durch das Internet war noch nicht erfunden. Und: Abgesehen von Geheimdiensten, deren Aufgabe schon immer die Verbreitung von Lügen als Mittel zur Manipulation des politischen Gegners war, waren all diejenigen, die heute mit Fake News nicht nur Menschen beeinflussen, sondern damit auch noch viel Geld verdienen können, noch nicht auf diesen Gedanken verfallen. Es ist nicht so, als seien Zeitungen und Nachrichtenportale vor allen Fake News gefeit.
Auch die taz hat einst die Mär von der in US-Militärlaboren erfundenen HIV-Infektion verbreitet, bei der es sich in Wahrheit um eine Desinformationskampagne des sowjetischen Geheimdienstes handelte. Dagegen hilft nur die Überprüfung und nochmalige Überprüfung von Informationsquellen. Die Nachricht kann noch so logisch und glaubwürdig klingen – im Zweifelsfall wird sie entweder nicht verbreitet, oder ihre Glaubwürdigkeit wird anhand weiterer Quellen infrage gestellt.
Blödsinn gehört zur taz
Ja, das kann manchmal ganz schön langweilig sein. Es ist sogar denkbar, dass uns so bisweilen Informationen entgehen, die gar nicht gefälscht waren, an deren Authentizität wir aber trotzdem so stark gezweifelt haben, dass wir uns gegen eine Veröffentlichung entschieden haben.
Wollten wir freilich alles Missverständliche aus der taz vertreiben, käme da ein ziemlich ödes Blatt heraus. Die Kunst des Überzeichnens, der Satire und des höheren Blödsinns gehört nun einmal auch zur taz.
Wer jede Schlagzeile auf der ersten Seite im Maßstab eins zu eins für bare Münze hält, wer in „verboten“ eine seriöse Nachrichtenquelle vermutet oder die „Wahrheit“ als solche betrachtet, der hat nicht verstanden, dass die Vermittlung von Realität eine sehr dehnbare Angelegenheit sein kann. Darauf aufmerksam zu machen zählt zu den Tugenden dieser Zeitung – ganz ohne Fake News.
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