Anzeigenblatt als rechtes Medium: Ganz unauffällig
Das Anzeigenblatt „Neues Gera“ landet freitags in den Briefkästen der Stadt. Ein Beispiel dafür, wie rechte Agitation in bürgerlicher Tarnung geht.
Das Neue Gera sieht auf den ersten Blick wie alle lokalen Anzeigenblätter aus. Etwas antiquierter wirkt der große Titel in verschnörkelter Fraktur, darunter gelb unterlegt „Mit wichtigen Bekanntmachungen aus der Stadt Gera“.
Seit Juli 1993 liegen die 12, manchmal 16 Seiten freitags gratis in den Briefkästen der noch etwa 48.000 Haushalte in der Stadt. Die Druckauflage beträgt 56.000 Exemplare. Das Neue Gera ist auch gebührenfrei als PDF im Netz abrufbar, während die Ostthüringer Zeitung mit ihrem Qualitätsjournalismus stetig teurer wird und an Auflage verliert.
In der Vorweihnachtsausgabe vom 18. Dezember 2020 gibt es digitale Eintrittskarten für Christvespern, Spenden für Kinderprojekte, Coronatesthinweise. Auf Seite 10 steht aber plötzlich in Blau und Rot „Neues aus dem Landtag von Dieter Laudenbach“. Der heutige AfD-Landtagsabgeordnete unterlag in der Stichwahl zum Oberbürgermeister 2018 dem heutigen Amtsinhaber Julian Vonarb.
Laudenbach lamentiert in seinem Beitrag über wirtschaftliche Coronafolgen, ein gespaltenes Land, die Sehnsucht nach Glaube, Halt und nach bleibenden Werten jenseits des Konsums: Der verordnete „Zwangsstopp“ könne sogar einen Sinn haben, wenn 83 Millionen Bürger sich nun über den Sinn ihres Lebens klarwerden würden. Auf der gleichen Seite findet man eine Karikatur mit der Sprechblase: „Man muss auch an die Maske glauben, sonst wirkt sie nicht.“
Verleger steht für ein Interview nicht zur Verfügung
Auf zwei werbefreien Seiten geht es nach Laudenbachs Vorweihnachtspredigt in diesem Sinn weiter. Warnungen eines AfD-Arztes vor Impfungen und der „Propaganda“ von Thüringens Sozialministerin Heike Werner, Alarm wegen des „erschreckenden Kriminalitätsanstiegs“ aufgrund der „Kuscheljustiz“. Die Rubrik „Aus fremder Feder“ wirkt in diesem Kontext überhaupt nicht fremd. Mitleid mit dem angeblich um seinen Wahlsieg betrogenen Donald Trump, Attacken gegen Multikulti, Plädoyers für den totalen Markt und die totale Freiheit.
Autorennamen wie Henryk M. Broder, Vera Lengsfeld, Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, Günter Scholdt aus dem rechtsintellektuellen Tumult-Magazin oder die Geraer AfD-Funktionärin Evelyn Gropp werden in der Regel nicht eingeordnet. Im Landtagswahlkampf 2019 lag ungeniert Björn Höckes „Blauer Mut“ bei, die Zeitung der Thüringer AfD-Landtagsfraktion.
Harald Frank, der Verleger des Neuen Gera, ist Vorsitzender der zwölfköpfigen AfD-Fraktion, der stärksten im Geraer Stadtrat. Wie der promovierte Chemiker in dieses Zeitungsgeschäft kam, lässt er sich nicht fragen. „Ich stehe für ein Interview nicht zur Verfügung“, teilt er der taz mit. Eine Vita von ihm ist nicht auffindbar.
Etwas durchsichtiger erscheint sein politischer Werdegang. Im Landesverband der Familienunternehmer engagiert, zog es ihn zunächst zur FDP, bevor er in Gera 2014 für die neue Liste „Bürgerschaft“ kandidierte. Er wolle nie wieder einer überregionalen Partei beitreten, erklärte er damals. Was er aber 2018 doch tat und zur AfD wechselte. Die konnte den „langjährigen erfahrenen kommunalpolitischen Akteur“ gut brauchen, wie ihn sein Kontrahent von der Linken, Andreas Schubert, bezeichnet.
Sogar linken Kreisen sympathisch
Schubert selbst durfte am 11. Dezember im Neuen Gera gegen die von der „Blockadehaltung der nationalkonservativen Stadtratsmehrheit“, also unter Einschluss der CDU und AfD verhinderte Beschaffung von 12 neuen Straßenbahnen wettern. Am 4. Dezember ist in dem Anzeigenblatt dann von einem „schwarz-braunen Putsch“ die Rede. Gemeint sind wieder CDU und AfD, die den Haushalt gegen den Willen von Linken, SPD und Grünen durchpeitschten.
„Feigenblätter“ nennt das das Bündnis Gera Nazifrei, das zu den Inhalten des Neuen Gera recherchiert. Solche Beiträge sind geschickte Tarnung, sie sollen der Dominanz von AfD und rechter Propaganda das Alibi der Pluralität gegenüberstellen.
Frank scheint ein Meister dieser Tarnung zu sein. Sogar in linken Kreisen wird er als ein kulant und sympathisch wirkender Mensch beschrieben. Er fördert Jugendarbeit und Schulen, die Wohnungsbaugenossenschaft, das Geraer Höhlerfest in der Altstadt. Er unterhält beste Verbindungen zur Industrie- und Handelskammer, wurde 2013 mit dem Mittelstandspreis „Unternehmer des Jahres“ geehrt. „Frank ist ein Paradebeispiel, wie eine als integer bekannte Person diesen Einfluss und seine Macht als Verleger nutzt, um eine politische Strömung zu unterstützen“, sagt ein Aktiver des Nazifrei-Bündnisses, der anonym bleiben will.
Da kann er sich leisten, im Flüchtlingsjahr 2015 im eigenen Neuen Gera zu schreiben: „Wer Asylpolitik (…) wie Opium über die Bürger gießt, versündigt sich am deutschen Volk. Wer dieses Volk abschaffen will, der soll es deutlich sagen.“ Ein Jahr später wähnte sich Frank als Redner einer AfD-Kundgebung mitten im Kommunismus, lehnte Steuern als „Enteignung“ ab, sah die AfD als Opfer von „linken Provokateuren und Schlägern“.
Vom Zentrum für Rechtsextremismusforschung geprüft
Als besondere Form der Mimikry darf Franks langjähriger Coup gelten, alle vier Wochen das Amtsblatt der Stadt Gera beilegen zu dürfen. 2018 beendete der neue Oberbürgermeister dies, nach Angaben der Pressestelle des Rathauses aus Kostengründen. Die Stadt gibt seither ihr Amtsblatt selbst heraus.
Doch der Stadtrat setzte durch, dass die Bekanntmachungen „wieder an alle Haushalte verteilt werden sollen“. Derzeit werden die Ausschreibungsunterlagen für das Amtsblatt formuliert. Frank soll einer von fünf Bewerbern sein, gewiss nicht der aussichtsloseste.
„Schlimm ist, dass eine Mehrheit der Geraer meint, das Neue Gera mit seiner unterschwelligen Ideologie sei das Amtsblatt der Stadt“, sagt eine Jenaer Politikwissenschaftlerin, die ebenfalls anonym bleiben will.
Am Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration der Uni Jena wird inzwischen Material des Anzeigenblattes geprüft. Das Geraer Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus hat darum gebeten, weil es eine Beschwerde beim Deutschen Presserat erwägt. An manchen Briefkästen Geras sieht man inzwischen schon Aufkleber „Kein Neues Gera!“.
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