Antrag zur Abschaffung von Bettelampeln: Rote Welle für Fußgänger
Bettelampeln werden nur grün, wenn man den Knopf drückt – selbst wenn der Autoverkehr steht. Ein Göttinger Piratenpolitiker will sie abschaffen.
Bettelampeln sind solche, bei denen Fußgänger und Radfahrer die Grünphase über einen Knopf anfordern müssen. Für sie springen die Ampeln, anders als für Autos, Motorräder und Co nicht automatisch auf Grün, obwohl der Querverkehr halten muss.
In Göttingen wurde die erste Bettelampel 2011 in Betrieb genommen. Nach Angaben der Stadtverwaltung kamen in den vergangenen drei Jahren rund 35 weitere dazu. Sie seien installiert worden, um den Busverkehr zu beschleunigen.
Die städtischen Verkehrsplaner hätten damit ein klares Signal gesetzt, sagt Welter-Schultes: Vorrang für den motorisierten Verkehr. „Es ist eine Maßnahme im Sinne der autogerechten Stadt, einem Leitbild der 1970er-Jahre entsprechend.“ Mit moderner Verkehrspolitik, Klimaschutzzielen und einer Verkehrswende seien Bettelampeln nicht zu vereinbaren.
46 Sekunden Wartezeit
Dabei habe der Stadtrat im Klimaplan Verkehrsentwicklung bereits 2015 festgelegt, dass Wartezeiten für Fußgänger und Radfahrer so kurz wie möglich sein sollten. Die Verwaltung ignoriere diesen Beschluss und „verfolgt trotz allen Schönredens immer noch das Ziel der autogerechten Stadt“.
Um das zu veranschaulichen, hat der Pirat sogar ausgerechnet, wie lange Fußgänger in Göttingen im Durchschnitt auf Grün warten müssen: 25 bis 46 Sekunden seien es schon an normalen Ampeln – in vielen anderen Städten müssten Fußgänger nur 14 bis 23 Sekunden warten.
An Bettelampeln betrage die Wartezeit sogar 40 bis 50 Sekunden. „Der Radverkehr wird ebenfalls gravierend benachteiligt“, beklagt Welters-Schultes. „Jede Möglichkeit des flüssigen Fahrens wird durch eine permanente rote Welle genommen.“
Die Sprecherin der Stadtverwaltung, Cordula Dankert, widerspricht. Die bedarfsweise Schaltung erhöhe nicht pauschal die Wartezeiten für querende Fußgänger. Im Gegenteil: „Laufen alle Grünzeiten auch ohne Anforderungen starr mit, erhöht dies wiederum die Wartezeiten an den anderen Querungen und auch die für den Kfz-Verkehr und den ÖPNV.“ Daraus entstehe ein insgesamt starrer Ablauf, der neben den längeren Wartezeiten auch zu erhöhten Lärm- und Schadstoffemissionen führe.
In Göttingen sieht die SPD, die den Oberbürgermeister und die stärkste Fraktion im Rat stellt, durchaus „Veränderungsbedarf“. „Bettelampeln entsprechen nicht einer modernen Mobilitätspolitik. Sie widersprechen der Gleichberechtigung der Radfahrer, PKW und Fußgänger“, sagt eine Fraktionssprecherin.
Problem für Sehbehinderte
Die FDP-Fraktionsvorsitzende Felicitas Oldenburg erklärt, ihre Partei sei „gegen die Ausbremsung von Fahrradfahrern und Fußgängern zugunsten des Autoverkehrs“. Auch bei der Linksfraktion stoßen die Bettelampeln auf Unverständnis. Sie will den Antrag von Welter-Schultes unterstützen.
Die Grünen bemängeln neben ihrer grundsätzlichen Kritik an Bettelampeln, dass diese nur auf Grün springen, wenn der Knopf „mit nicht zu wenig Druck“ betätigt werde. Viele mobilitätseingeschränkte Menschen hätten praktisch keine Möglichkeit, ohne fremde Hilfe über die Straße zu kommen.
Sehbehinderte könnten weder erkennen, „dass sie eine Bedarfsampel zu betätigen haben, noch, ob ihrem Bedarf entsprochen wird“. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) sähe Bettelampeln gern gleich „auf dem Schrottplatz der verkehrspolitischen Irrlichter“.
Die Stadtverwaltung lässt sich von all dem nicht beeindrucken. „Auf Grund der Tatsache, dass die bedarfsorientierten Schaltungen für die Beschleunigung der Busverkehre zwingend erforderlich ist, plant die Verwaltung derzeit keine Änderungen“, so Sprecherin Dankert.
In Hamburg, wo rund 100 Bettelampeln in Betrieb sind, ist man schon flexibler. Dort will die Verkehrsbehörde die betreffenden Kreuzungen dahingehend prüfen, „ob und wie der Verkehrsfluss für Fußgänger und Radfahrer verbessert werden kann“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“