Antisemitismus im Kulturbetrieb: Was ist Kunst, was Propaganda?
Eine Tagung in Stuttgart fragt nach Antisemitismus im Kulturbetrieb. Unter anderem wird mehr Aufklärung über islamistische Ideologie gefordert.
![Wir sehen ein rotes Dreieck an einer Wand, darauf hat jemand einen Aufkleber platziert. darauf steht: Free Israel from Islamistic terrorism Wir sehen ein rotes Dreieck an einer Wand, darauf hat jemand einen Aufkleber platziert. darauf steht: Free Israel from Islamistic terrorism](https://taz.de/picture/7311916/14/rotes-dreieck-dpa-1.jpeg)
Um Kontroversen ging es aber nicht während der zwei Tage. Vielmehr waren alle Panelisten und Diskutanten gleichsam von den Fragen geleitet, ob es so etwas wie universelle Ausdrucksformen des Antisemitismus gibt, die gerade im Feld der Wissens- und Kulturproduktion zur Geltung kommen. Und ob in einer solchen Situation ein Diskurs überhaupt möglich ist, aus dem etwaige Lösungen für alle Beteiligten hervorgehen könnten.
Dass es nicht reiche, sich immer wieder für die grenzenlose Freiheit der Kunst auszusprechen, kritisierte auf dem Podium Jonathan Guggenberger, der auch für die taz schreibt. Es müsse rechtlich differenziert werden zwischen Propaganda und Kunst. Dazu gehöre, klar zu benennen, wo Kunst endet und Aktivismus oder Propaganda beginnt.
Die Professorin für Jewish Studies, Lisa Silverman, zog in ihrem Vortrag das Beispiel von Veit Harlans Film „Jud Süß“ von 1940 heran. Sie zieht eine Verbindung von Harlans zwiespältiger Rolle, einerseits Ideologieträger des NS gewesen zu sein und sich andererseits als ein Opfer des Nationalsozialismus darzustellen, zur heutigen Kulturszene. Solche Ähnlichkeiten sieht auch der Historiker Volker Weiß, wenn er auf die klaren Feindbilder in den aktuellen Debatten des Kultur- und Wissenschaftsbetriebs blickt: Die jetzigen Diskussionen um den Nahostkonflikt seien aus einer Ideologie erwachsen, die den Westen als das „große Böse“ darstelle und Palästina als Zentrum aller Ungerechtigkeiten dieser Erde sehe. Die Verbrechen islamistisch orientierter Terrororganisationen würden in diesem Diskurs gar nicht erst berücksichtigt.
Oft fehlt die jüdische Perspektive
Die Historikerin Alexandra Przyrembel fragte dann, wie sich Kapitalismuskritik überhaupt zum Antisemitismus entwickeln konnte. Und dies, obwohl die Rolle von Juden und Jüdinnen in kapitalismuskritischen Protestbewegungen in der Vergangenheit wie auch heute nicht marginal gewesen sei. Es fehle eben in vielen politischen Diskursen die jüdische Sicht.
Über eine jüdische Perspektive aufzuklären, so ein Fazit der Tagung, könnte auch zu einem Wendepunkt in vielen Debatten führen. Gleichzeitig müsse man dringend die Absichten, Ideologien und Machtansprüche des islamistischen Terrors benennen. Das betont auch Autorin Elisa Aseva. Sie plädierte dafür, im Kulturbetrieb besser über Islamismus aufzuklären.
Es gilt, so ein weiteres Fazit der Veranstaltung, sich klar gegen den islamistischen Terror zu positionieren. Dies ist aber in aufgeheizten Debatten besonders schwer. Das machten der langjährige Leiter des Kurzfilmfestivals Oberhausen, Lars Henrik Gass, oder Filmregisseur Rolf Peter Kahl deutlich. Sie sprachen als Akteure des Kulturbetriebs über ihre teils sehr persönlichen Erfahrungen in den letzten Monaten – Gass war heftig von der internationalen Filmszene kritisiert worden, nachdem er sich infolge des 7. Oktobers in den sozialen Medien gegen falsche Sympathien für Hamas-Terroristen ausgesprochen hatte.
Als der Musikkritiker und Poptheoretiker Jens Balzer abschließend zu postkolonialen Sichtweisen anhand von Theorien nach Judith Butler referierte, hätten bei einer offenen, vorher annoncierten Veranstaltung auch Protestaktionen einsetzen können. Balzer sieht ähnliche Denkweisen bei identitären, politischen Gruppen aus dem postkolonialen Milieu und bei der Neuen Rechten.
So aber gab es das ganze Wochenende über keine Störungen. Den Veranstaltern war es gelungen, die Tagung zu einem Safe Space der Wissenschaft zu machen.
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